Gestern habe ich fast den ganzen Tag Blogposts über die Zeitungskrise in den USA gelesen. Dabei bin ich mit den Nachrichten zu diesem Thema, die ich mir unter Read it later aufgehoben habe, noch lange nicht fertig. Interessant sind sie wahrscheinlich vor allem für Leute, die sich für die alten Medien interessieren oder berufsmäßig interessieren müssen. Wie der neue Journalismus — der Journalismus nach den halboffiziösen zentralisierten Massenmedien — aussieht, lässt sich aus den Berichten vom Untergang der amerikanischen Presse nicht herauslesen.
Drei Einträge habe ich gefunden, die wichtige Aussagen über die Zukunft enthalten:
Jeff Jarvis beschreibt, wie dezentrierter Lokaljournalismus gemacht werden könnte, also ein Journalismus, der sich nicht mehr als das wichtigste Instrument versteht, in dem sich eine Community über sich selbst verständigt: A scenario for news. Jarvis ist für mich der wichtigste Vordenker eines kollaborativen Journalismus, bei dem jede Aktivität ihren Sinn durch die Position erhält, die sie in einem Netzwerk einnimmt. (Von Dezentrierung spreche ich zur Interpretation, das Wort kommt nicht in den Texten vor, auf die ich hinweise.)
Welche Folgen eine solche Dezentrierung für den Journalisten haben kann, beschreibt Doc Searls am Beispiel von Robert Scoble: Being Robert Scoble. Scoble managt nicht eine Community, sondern er lässt sich von ihr managen, er agiert als ihr Organ. Er dirigiert nicht ein Orchester, sondern spielt in einer Jazzband mit.
Technik (was immer dieser Ausdruck tatsächlich meint) spielt eine zentrale Rolle für die Zukunft des Journalismus. Um es angelehnt an Marx zu formulieren: Die Produktivkräfte sind über die Produktionsverhältnisse hinausgewachsen. Das traditionelle Medienbusiness wird mit der webbasierten Mitteilung von Nachrichten nicht fertig. Wenn man verstehen will, welche Möglichkeit der Journalismus oder Postjournalismus der Zukunft hat, muss man die Techniken studieren, auf denen er beruht (so wie der bisherige Journalismus auf Techniken wie dem Druck und dem Rundfunk beruht). Amy L. Webb sagt in Reshaping the Conversation, dass die meisten Medienfirmen nur Dame spielen, während Google und Adobe Schach spielen:
Here’s the real problem facing our newsrooms. Most people are out there playing checkers while companies like Google and Adobe are playing chess. NOTHING WILL CHANGE in journalism unless the conversation is refocused on what matters most: How can the ever-hastening disruptive change be either met or overcome by adapting technology and creative business models?
Auch hier kann man — im Verhältnis zum bisherigen, inhaltlich definierten Journalismus — von Dezentrierung sprechen: Inhaltliche und technische Kompetenz lassen sich im Journalismus der Zukunft noch weniger trennen als in der Vergangenheit; die Qualität von Journalisten hängt davon ab, dass sie fortgeschrittene Technik verwenden, und sie stellen ihren Communities Techniken zur Verfügung, um Nachrichten auszutauschen, zu prüfen und zu kommentieren.
Ad Scoble: Ich verfolge ihn ja schon eine ganze Weile. Vom Vorbild wurde er aber schön langsam zum Junkie, der vom Realtime-Web süchtig ist.
Das merkt man deutlich an seiner Kommunikation: Von langen, wirklich guten und tiefgreifenden Analysen hin zu Halbsätzen auf Twitter, denen kein Mensch mehr wirklich folgen kann. In diversen Podcasts der letzte Zeit (Net@Night oder Gillmor Gang) ging er nicht einmal mehr auf Fragen ein, brachte wichtige Sätze nicht mehr zu Ende.
Das größte Problem für den (Online-)Journalismus ist der Faktor Zeit. Es muss immer schneller gehen, deshalb wird schlampiger gearbeitet und hastiger analysiert.