Ein paar Überlegungen zur Vermittlung von Webkompetenz. Wenn ich damit etwas völlig Banales oder Naives schreibe, bitte ich (nicht aus affektierter Bescheidenheit) um Nachsicht oder um Präzisierungen und Hinweise; es geht mir hier vor allem um eine Selbstverständigung.
Ich habe mir neulich aufgeschrieben, dass Wissen immer Wissen von Gruppen ist, dass es kein isoliertes Wissen von Individuen gibt. Wenn diese These stimmt, dann ist Lernen, also das Erwerben von Wissen, immer das Erlernen des Verhaltens oder der Handlungsweisen bestimmter Gruppen. Es kann dann kein Lernen geben, das nicht soziales Lernen ist — auch wenn die Gruppen, in denen und für die das Lernen stattfindet, sich selbst nicht unbedingt oder meist nicht als Gruppen verstehen, sondern als Agenten von übersozialen Größen, z.B. einer Wissenschaft oder des Rechts.
Das bedeutet nicht, Wissen im Sinne von Sachwissen
zu relativieren, also es zu einer Gruppenideologie zu erklären, hinter der man dann die wahren, nämlich die sozialen Verhältnisse entdecken kann. Im Sinne der Actor Network Theory würde ich soziale Gruppen eher als auch durch materielle oder nichtmenschliche Aktanten mitkonstituiert verstehen, wobei diese Aktanten einerseits in der Gruppe repräsentiert oder übersetzt werden und sie andererseits die Gruppe strukturieren.
Ich will darauf hinaus, das Lernen immer auch das Lernen der Praxis oder der Praktiken in bestimmten sozialen Gruppen ist. Wer Jura studiert, erwirbt nicht vor allem Wissen über das Recht, sondern er erlernt bestimmte juristische Praktiken, z.B. bestimmte Beweis- und Begründungsstrategien. Wer eine Wissenschaft studiert, erlernt die Forschungs- und damit auch die sozialen Praktiken einer bestimmten Scientific Community. An der Fachhochschule bilden wir Menschen in den Handlungsweisen von wissensintensiven, transdisziplinären communities of praxis aus. Media literacy oder network literacy ist nicht Wissen über Medien und auch nicht das mehr oder weniger automatisierte Beherrschen von bestimmten Handlungsabläufen, sondern das Beherrschen der Art und Weise, in denen bestimmte Gruppen mit Medien umgehen. Vielleicht sollte man eher zwischen zwei Formen oder zwei Ebenen von media literacy unterscheiden: Es gibt media literacy im (weiteren) Sinne des praktischen Umgangs mit Medien, und es gibt media literacy im (engeren) Sinne des Erlernens und Beherrschens der Praktiken von Gruppen, die durch Medien mitkonstituiert werden, die es also ohne Medien so überhaupt nicht gäbe.
Anders formuliert: network literacy im engeren Sinn besteht darin, Praktiken von Gruppen zu beherrschen, die durch das Web oder durch Netzmedien mitkonstituiert werden, die also ohne das Web gar nicht oder anders existieren würden. (Analog dazu könnte man sagen: Literarische Bildung besteht darin, die Praktiken von Gruppen zu beherrschen, die es ohne Literatur nicht oder so nicht gäbe.) Vermitteln von media literacy würde dann bedeuten: in die Praxis von Gruppen und damit in Gruppen einzuführen, die durch das Web oder Netzmedien konstituiert werden. Tatsächlich muss man den Ausdruck network literacy
mit Jill Walker Rettberg im Plural verwenden, also von network literacies sprechen: Es gibt unterschiedliche soziale Gruppen, für die die Webkommunikation eine große Rolle spielt, und es gibt deshalb unterschiedliche Formen von Webkompetenz, zwischen denen aber so etwas wie eine Familienähnlichkeit besteht. (Der Ausdruck Gruppe ist hier nur ein Kürzel für soziale Entitäten, ich lasse ihn hier nur provisorisch undefiniert.)
Wenn ich erforschen will, wie network literacies vermittelt werden können, muss ich mich also damit beschäftigen, wie Menschen in die Praxis von Gruppen oder communities eingeführt werden (eingeführt werden können), für die die Kommunikation mit Netzmedien essentiell ist. Das Bedürfnis nach einer Vermittlung von network literacies wird in dem Maß wachsen, in dem mehr Gruppen auf Webkommunikation angewiesen sind, wobei sich besondere Formen der Netzkompetenz in webbasierten Unternehmen, in der Wissenschaft oder im Bereich von Medien und aktueller Information herausbilden soll. Die Vermittlung der Netzwerkkompetenz — das ist für mich das vorläufige Ergebnis dieser Überlegungen — ist die Einführung in die Kommunikationsform netzbasierter Communities und damit von der Teilnahme an solchen Gruppen nicht zu trennen.