Ich habe noch nie etwas zu Twitter geschrieben, weil mir dazu nie etwas Interessantes eingefallen ist. Währenddessen häufen sich in meinen ungelesenen starred items und meiner Read It Later-Liste Texte über Twitter. Ein paar meiner Studis und Kollegen sind sehr erfolgreiche Twitterer, und viele sind von Twitter begeistert. Hier ein paar erste Bemerkungen zu Twitter bzw. zum Microblogging (ich verwende die Ausdrücke synonym). Sie gehören in eine Materialsammlung zu den Formen der Webkommunikation (und sind weder inhaltlich noch stilistisch ausgereift).
Ich finde, fast alle Texte über Twitter, die nicht einfach Tools beschreiben, haben etwas gemeinsam: Sie schreiben, wie man Twitter für das nutzt, was die Autorin auch schon am meisten interessiert hat, bevor es Twitter gab — dabei kann es sich um Marketing, Journalismus, PR, Wissensaustausch oder Celebrity Gossip handeln. Je mehr ich über Twitter nachdenke, desto mehr finde ich: Die Frage: Welchen Sinn hat Twitter? hat keinen Sinn. Twitter ist kein Werkzeug, sondern eine Kommunikationsform. Und wie Kommunikation selbst haben auch Kommunikationsformen wohl keinen höheren Zweck — oder sehr viele unterschiedliche Zwecke, die immer wieder neu besprochen, ausgehandelt und festgelegt werden, während man kommuniziert. Mit Twitter kann man twittern, so wie man mit einem Telefon telefonieren, oder mit einem Blog bloggen kann.

Punkte, die mir bei Twitter wichtig sind:

  1. Twittern/Microblogging ist ein eigenes Format der Webkommunikation, das nicht durch andere Formen (z.B. Blogs, Wikis) ersetzbar ist, aber mit ihnen verglichen werden kann.
  2. Twitter erlaubt es offenen Gruppen von Menschen (und auch Services) im Web, sich zu beobachten und zu kommunizieren, und erleichtert es ihnen damit, sich zu organisieren.
  3. Twitter ist ein Teil des Webs. Twitter kann damit die Möglichkeiten des Webs und der Webkommunikation nutzen und ist für andere Formen der Webkommunikation einschließlich aller technischen Erweiterungen direkt anschlussfähig.
  4. Man twittert in der Öffentlichkeit des Webs; Twittern ist eine Publikationsform und eine Option für jeden, der im Web publiziert.

Weblogs — Twitter — Wikis

Vom Bloggen unterscheidet sich Twittern u.a. dadurch,

  • dass es in Echtzeit beobachtet wird,
  • dass Twitterer ihre Follower kennen, und
  • dass man mehrere oder viele Twitterer gleichzeitig beobachtet.

Wie das Bloggen ist Twittern aber eine hypertextuelle Gattung. Es ist also auch asynchron beobachtbar, und jede Äußerung ist verlinkbar, so dass man immer wieder an sie anschließen kann. Der Übergang zwischen Twittern und Bloggen ist fließend — man kann ohne Follower twittern, und man kann Twitterer im Web beobachten, ohne sich bei dem Service anzumelden. Aber das Besondere an Twitter besteht darin, dass man anderen ohne einen zwischengeschalteten Service (wie einen Feedreader) in Echtzeit folgt, und dass man weiß, wer einem selbst folgt.
Mit dem Schreiben in Wikis hat Microblogging auf den ersten Blick wenig gemeinsam, aber auch bei Twitter arbeiten viele Autoren zusammen an Seiten, und wie in einem Wiki kann man sehr leicht zwischen den Seiten navigieren. Wie
Wikis macht es auch Twitter so leicht wie nur möglich mitzumachen. Es gibt (Hashtags, @-Syntax) sogar etwas wie ein spezielles Markup. Während bei einem Wiki Wissen zusammengestellt wird und damit etwas Dauerhaftes entsteht (das aber trotzdem von einer Community getragen und geschützt werden muss, wie es für die Wikipedia Clay Shirky beschreibt), erfährt man bei Twitter, was gerade los ist. Wikis wurden von vielen für etwas Absurdes gehalten, bis dann die Wikipedia gezeigt hat, was mit diesem Format möglich ist. Genauso hielten und halten viele Twitter für sinnlos. Möglicherweise werden sie erleben, dass Twitter alles, was mit Nachrichten zu tun hat, so revolutioniert wie es die Wikis mit dem Wissensaustausch getan haben und tun.

Many to many

Am interessantesten erscheint mir bei Twitter, dass damit viele mit vielen kommunizieren können. Das wird nicht durch das Subskribieren von Twitterern ermöglicht, sondern durch die Beschränkung der Länge der Tweets auf 140 Zeichen. Man twittert immer in eine Wolke von Menschen hinein. Ein Menge von Botschaften unterschiedlicher Sprecher tritt an die Stelle von Monologen oder Dialogen.
Mit Twitter wird eine andere Form von Community oder Gruppe möglich als durch Wikis (zielgerichtete Kollaboration) oder Blogs (Gedanken- und Erfahrungsaustausch). Durch Twitternachrichten lässt sich eine Webcommunity permanent beobachten. Vielleicht ist das der Kern des Phänomens: Twitter gibt Communities im Weg die Möglichkeit, sich in Echtzeit zu wahrzunehmen. Dabei ist der Austausch synchron und asynchron ohne Medienbruch für andere Webteilnehmer prinzipiell offen; das unterscheidet Twitter von Gruppenchats oder dem Austausch in social networks.

Anschlusskommunikation

Twitter erlaubt einen unmittelbaren, interaktiven Umgang mit Echtzeitkommunikation über die unmittelbare Kommunikationssituation hinaus. Es macht Echtzeitkommunikation im Web anschlussfähig, weil sie direkt im Web beobachtbar und adressierbar ist. Man kann auf Tweets verlinken, man kann Streams von Tweets in Widgets zeigen, und man kann sie mit den verschiedensten Tools auswerten bzw. für Mashups verwenden. Vielleicht kann man sagen: Twittern erschließt für das Web eine Kommunikationsform, die vorher zwar im Internet (seit dem IRC) aber nur außerhalb des Webs möglich war. Damit erschließt es umgekehrt für die Echtzeitkommunition die Vielfalt der Möglichkeiten des Webs.

Twittern als Publikationsform

Wenn man twittert, statt zu chatten, begibt man sich in die Öffentlichkeit des Webs (auch wenn sich diese Öffentlichkeit einschränken lässt, indem man seine Tweets nur Followern zugänglich macht, die man vorher akzeptiert). Noch mehr als andere Formen der Webkommunikation ist dabei Twittern writing as a performing art. Twittern hat nur da einen Sinn, wo man die Vorteile des Webs benötigt, z.B. Verlinkbarkeit von Informationen, Zugänglichkeit für eine große, potenziell unbeschränkte Öffentlichkeit und Kombinierbarkeit von verschiedenen Medien. Wenn Twittern nicht nur eine Kuriosität ist, sondern eine der wichtgen Kommunikationsformen im Web, ist es damit eine ständigen Option für alle, die im Web publizieren. Wo immer öffentliche Information in Echtzeit (und am besten durch mehrere Autoren) sinnvoll ist, stellt sich die Frage, warum man nicht einfach twittert.

Leider komme ich im Moment kaum dazu zu bloggen; vor allem weil ich mit der Neufassung eines Forschungsantrags für ein Kompetenzzentrum Webkommunikation beschäftigt bin.

Heute und morgen bin ich auf einer Klausurtagung unseres Studiengangs. Um mich vorzubereiten, habe ich in ein paar Thesen mein derzeitiges Selbstverständnis als Lehrender formuliert. Ich hoffe, sie sind ohne die eigentlich nötigen Erläuterungen nicht zu kryptisch:

  • Der Studiengang ist eine Lerncommunity, in der Wissen ausgetauscht und damit
    erweitert wird.
  • Seine Aufgabe ist es, den Studierenden eine — offene — Toolbox mit Werkzeugen zu vermitteln, um nachhaltige… Dialoge mit der Öffentlichkeit und Stakeholdern (Gerrit Eicker) beginnen und führen zu können. Theorie ist nichts Sekundäres, sondern das Wissen, mit dem man von der eigenen Kommunikation Rechenschaft ablegen kann.
  • Professionelle Kommunikation lässt sich heute nur über einen offenen, experimentellen Zugang vermitteln.
  • Der Kontext, in dem wir Inhalte vermitteln, ist für den Erfolg nicht weniger entscheidend als die Inhalte selbst. Durch diesen Kontext lernen die Studierenden, wie sie weiterlernen.
  • Die wichtigsten Komponenten der Lehre sind die Vermittlung von Techniken, die Analyse von Beispielen und die von Lehrenden und Mitstudierenden unterstützte eigene Praxis.
  • Die Studierenden lernen zu einem großen Teil selbstgesteuert und voneinander. Als Lehrende sollten wir sie dabei unterstützen und nicht ersetzen.
  • Die Möglichkeiten der Vernetzung und die Inhalte, die wir unterrichten, erfordern, dass wir weitgehend öffentlich unterrichten und uns den damit gegebenen Risiken aussetzen.

Ich werde an dieses Thesen weiterarbeiten und sie ausführlich begründen, sobald ich dazu komme. Ich freue mich auf interne und externe Diskussionen, durch die ich sie ergänzen oder revidieren kann.

Wir starten im Herbst einen Bachelor-Studiengang Journalismus und PR. Darin bin ich für das Gebiet Web zuständig — zusammen mit Karin, die uns international vernetzt und sich mit didaktischen Themen beschäftigt, und hoffentlich oft im team teaching mit Boris, Maria und anderen Kollegen. Als ich vor ein paar Jahren begonnen habe, an der Fachhochschule zu unterrichten, bin ich aus der Praxis in die Lehre hineingestolpert. Jetzt haben wir eine Chance, etwas systematischer zu überlegen, was unser Unterricht soll und wie wir ihn anlegen.

Die Studenten haben drei Jahre Zeit, von denen sie ein halbes im Praktikum sind. Für das Thema Web stehen in den ersten Semestern ein paar Stunden zur Verfügung; im letzten Semester ist es dann möglich, sich auf Soziale Medien zu spezialisieren — als Alternative zu Journalismus oder PR. Das ist nicht sehr viel Zeit, und den größten Teil des Studiums werden sich die meisten mit älteren Medien und den herkömmlichen Formen der PR beschäftigen. Ein Teil wird nach dem Abschluss weiterstudieren, alle sollten nach dem Examen darauf vorbereitet sein, in der Medienbranche zu arbeiten. (Natürlich müssen wir alle Themen crossmedial unterrichten. Aber Spannungen, Debatten zwischen den Vertretern alter und neuer Medien sind lehrreicher als künstliche Harmonisierung.)

Was müssen die Studenten wissen? Was sind die wichtigsten Themen? Klar ist, dass es nicht vor allem um Faktenwissen gehen kann, das funktioniert schon quantitiv nicht, und die meisten Fakten, die man ihnen beibringen könnte, sind ohnehin schon in ein paar Jahren veraltet. Der Satz

life is not about stuff; it’s about possibilities

gilt ganz sicher für jede Art von Bildung oder Ausbildung.

Ich suche nach einer Formulierung (einem mission statement oder einer Leitlinie), die unterschiedliche Ansprüche erfüllt:

  1. Die Studenten müssen sie verstehen, und zwar so, dass sich ihr möglichst viel von dem, was wir in unserem Unterricht machen, zuordnen lässt.

  2. Sie muss sowohl für den Journalismus wie für die Unternehmenskommunikation gelten.

  3. Sie muss gültig sein, auch wenn alle hergebrachten Begriffe von Professionalität im Medienbereich in eine Krise geraten sind.

Als allgemeinste Zusammenfassung unserer Ziele fällt mir ein: den Studenten beibringen, wie sie mit den Mitteln des Web Mehrwert für ihre Leser oder User erzeugen. Das klingt nach langweiliger Unternehmenspräsentation. Vielleicht könnte ich auch sagen: den Studentinnen beibringen, wie man die Leser mit den Mitteln des Web so informieren und unterhalten kann, dass sie wiederkommen, dass sie der Autorin oder dem Medium, in dem sie schreibt, die Treue halten. Im Kern ist das eine uralte Zielsetzung. Nur die Mittel sind neu. Die Leserinnen oder Userinnen sollen etwas von dem haben, was ihnen Journalisten oder Unternehmenskomunikatoren bieten, und Professionalität besteht zu einem großen Teil darin, zu wissen, wie sie möglichst viel davon bekommen.

Ganz zufrieden bin ich mit der Orientierung am Mehrwert nicht — aber ich werde daran weiterdenken, bis ich auf eine prägnantere oder präzisere Formel stoße. Vielleicht fällt ja den Studierenden eine ein?

Meine Arbeit bestünde dann übrigens zu einem guten Teil darin herauszufinden, wo und wie sich mit den Mitteln des Web die Qualität von Nachrichten (im allerweitesten Sinn) verbessern lässt, und noch mehr darin, die Studentinnen anzuregen, das selbst zu entdecken. Ein interessanter Job — ich wünsche mir keinen anderen.

network literacies sind eine Form der Bildung, und Bildung bedeutet immer Teilhabe an Kommunikation. Wer nicht genug gebildet ist, kann an Kommunikation, die für ihn wichtig sein könnte, nicht oder nicht ausreichend teilnehmen. Wer nicht humanistisch gebildet ist, findet keinen Zugang zu einem Teil der literarischen Tradition. Selbst der altertümliche Ausdruck Herzensbildung meint die Teilhabe an der Gefühlen anderer, die durch Erfahrung und Erziehung kultivierte Fähigkeit, sich in andere einzufühlen.

Bildung als Teilhabe

Wer nicht über network literacies verfügt, kann die Netzmedien, kann das Internet und die mit ihm amalgamierten mobilen Medien nicht ausreichend nutzen, um an wichtigen Gebieten der gesellschaftlichen und privaten Kommunikation teilzuhaben. Umgekehrt: network literacies sind die Fähigkeiten oder die Kompetenzen, die man benötigt, um an der auf dem Internet und mobiler Kommunikation beruhenden aktuellen Zivilisation teilzunehmen. Der Ausdruck meint also einerseits technische Fähigkeiten. Andererseits bezieht er sich aber auf die Kompetenz, diese Fähigkeiten kommunikativ zu verwenden. Das lässt sich durch eine Analogie mit der humanistischen Bildung verdeutlichen. Zur humanistischen Bildung gehören technische Fähigkeiten, z.B. ein gewisses Maß an Kenntnis antiker Sprachen. Die humanistischen Bildung besteht aber nicht in diesen technischen Fähigkeiten sondern in der Kompetenz, sie situationsbezogen zu benutzen. Und diese Kompetenz, sie situationsbezogen zu benutzen, hängt von einem sozialen Wissen um das, was möglich und angemessen ist, ab.

Eine Umwelt mit einem Netzwerk teilen

Wer network literacies besitzt, kann Situationen so übersetzen, dass er als Angehöriger einer im Netz kommunizierenden Gruppe mit ihnen umgehen kann. Christoph Chorherr hat gezeigt, dass er die Ausgangssituation der Grünen im österreichischen Wahlkampf so interpretieren kann, dass eine im Netz kommunizierende Gruppe, nämlich die österreichische Blogger-Szene, produktiv an ihr mitarbeitet. Dazu gehören technische Kenntnisse: Chorherr weiß, wie man ein Weblog schreibt. Diese technische Fähigkeit allein reicht aber nicht, um andere Blogger dazu zu bringen, Ideen für den grünen Wahlkampf zu entwickeln. Chorherr verwendet seine technischen Fähigkeiten, um mit anderen ein Problem zu lösen — anders gesagt: um eine Situation in ein mit anderen lösbares Problem zu verwandeln. Die Situation wird damit zur Umwelt eines Netzwerks (Netzwerk hier verstanden als eine Form der sozialen Organisation), und das Netzwerk verändert sich, indem es sich auf diese Umwelt bezieht.

Technisches und soziales Wissen

Wenn diese Überlegung richtig ist, gehören zu den network literacies zwei Komponenten: einerseits technische (zu denen ich auch die sprachlichen und gestalterischen rechne) und andererseits soziales Wissen. Das soziale Wissen besteht in der Fähigkeit, in einer online kommunizierenden Gruppe auf Situationen zu reagieren bzw. darin, Situationen in einer online kommunizierenden Gruppe zu interpretieren. Geht man von Clay Shirkys Stufen der Gruppenbildung aus — Teilen, Kollaboration, kollektive Aktion — dann beginnen network literacies mit der Fähigkeit, Informationen online so zu teilen, dass die Möglichkeiten der Gruppenmitglieder gesteigert werden. Sie setzen sich fort in den Fähigkeiten, gemeinsam etwas zu schaffen und gemeinsam Ziele zu erreichen, z.B. politisch zu agieren.

Probleme lösbarer machen

Was erspare ich Menschen, denen ich network literacies vermittele? Sie können spezifische Probleme leichter lösen, weil sie von Gruppen unterstützt werden, mit denen sie online (aber meist nicht nur online) verbunden sind. Sie werden nicht versuchen, auf Situationen, die sich in die Umwelt einer online agierenden Gruppe übersetzen lassen, zu antworten, indem sie sich individuell anstrengen oder Organisationsformen aus der analogen Welt anwenden. Sie nutzen die Ressourcen online kommunizierender Gruppen und stellen ihre Ressourcen einem Netzwerk zur Verfügung zu stellen. Ich nehme meine eigene Situation als Lehrender als Beispiel: auf network literacies greife ich in dem Maß zurück, in dem ich Situationen, die ich im Unterricht bewältigen muss, in die Umwelt der online vernetzten learning community des Studiengangs, in dem ich arbeite, übersetze; zu ihr gehören viele Studierende und eine hoffentlich wachsende Zahl von Lehrenden. Die Studenten untereinander und ich als Lehrender können uns über Lernziele, Probleme, Bedarf nach zusätzlichen Informationen und wichtige Nachrichten auf dem Laufenden halten und uns gegenseitig unterstützen. Eine zweite — mit der ersten verschränkte — Gruppe bilden die Menschen außerhalb des Studiengangs, mit denen ich via Blog, Twitter oder Facebook in Verbindung stehe. Auch mit ihnen teile ich Fragestellungen, Interessen und Probleme. Um die Ressourcen beider Gruppen zu nutzen und ihnen meine Ressourcen zur Verfügung zu stellen, reicht technisches Wissen allein nicht aus. Ich muss besondere, individuelle Situationen in und für ein Netzwerk interpretieren.

[Letzte Version: 17. Juli 2008]

Die Synapsen des World Wide Web heißen Links. Von den Servern über die Browser bis zu den Suchmaschinen hat die Infrastruktur des Web nur einen Sinn: An jedem Ort der Welt kann jede Nutzerin jedem Verweis folgen — verwiesen wird auf Texte, auf Medien und immer mehr auch auf Personen, Orte, Institutionen und Dienste.

Verlinkter Text, Hypertext lässt Bibliotheken in der Vorgeschichte verschwinden, so wie er die gedruckten Lexika überflüssig gemacht hat. Links sind zum wichtigsten Hilfsmittel für den Austauch, die Vermittlung und die Erweiterung des Wissens geworden: ohne Links keine Wikipedia und kein Google.

Warum schreibe ich diese Binsenweisheiten: Weil ich auf drei Texte gestoßen bin, die angehenden Journalistinnen vermitteln können, wie und vor allem warum man Links setzt. In meinem Unterricht werde ich sie zur Pflichtlektüre erklären.

Am detailreichsten Burkhard Schröder in der Telepolis: Project Xanadu, reloaded. Mit deutscher Gründlichkeit und auch mit deutschem Ernst führt er in die Kunst des Verlinkens journalistischer Text ein und hält zugleich ein Plädoyer: Zu berichten, ohne auf online erreichbare Belege und Erklärungen zu verweisen, verstößt nicht nur gegen die Regeln der journalistischen Professionalität, sondern auch gegen die journalistische Ethik. Wer nicht oder schlecht verlinkt, erklärt seine Leserinnen für dümmer als sich selbst.

Fast so pointiert wie ein Katechismus: Christiane Schulzki-Haddouti, Die Linkrevolution. Sie beschreibt, wie sich die soziale Rolle von Journalistinnen durch Links verändert. Hypertext-Autoren schreiben nicht nur anders als ihre Print-Kollegen; sie begeben sie sich in andere Verbindungen zu Lesern, Kollegen und Konkurrenten. Durch Links verknüpfen sie ihre Arbeit mit den Texten professioneller und nicht professioneller Schreiber; Links verdanken sie ihre Relevanz und ihre Reputation.

Wer die Texte von Burkhard Schröder und Christiane Schulzki-Haddouti kennt, wird von Robert Niles (How, and where, to hyperlink within a news story) nicht viel Neues lernen. Lesenswert ist sein Artikel trotzdem, weil er außer attribution, der Angabe von Quellenangaben, und context, der Herstellung von Zusammenhang, noch eine dritte Aufgabe der Links betont: in ihnen sind easter eggs versteckt. Links machen einen Text und seine Autorin nicht nur glaubwürdiger und inhaltsreicher: sie schenken den Lesern etwas, stoßen sie auf auf Unerwartetes, laden sie zu neuen Beziehungen ein. Den Klick auf ein Link diktiert das Lustprinzip nicht weniger als das Realitätsprinzip.

Dan Gillmor formuliert Prinzipien einer neuen Medienbildung (leider scheint es für media literacy keine anderen Äquivalente zu geben als die hässliche Medienkompetenz und die überhöhte Medienbildung). In diesem kurzen Essay bleibt er sehr allgemein. Er fordert eine Medienerziehung, die der Demokratisierung der Medien Rechnung trägt. Prinzipien der herkömmlichen journalistischen Ethik wie Gründlichkeit, Genauigkeit und Fairness müssen Allgemeingut werden, wenn jede und jeder medial kommuniziert. Mit Unbehagen liest man, dass kritisches Denken in den amerikanischen Bildungseinrichtungen zunehmend als störend empfunden wird. Gillmor reflektiert in diesem Text nicht über den Gegensatz zwischen der Demokratisierung der Medienproduktion und der zumindest latent autoritären und konformistischen Haltung, die offenbar weite Teile des öffentlichen Lebens in den USA bestimmt (ich sage das mit aller Vorsicht, weil ich es selbst nicht beurteilen kann). Besteht zwischen beiden Phänomenen ein Zusammenhang?

Gillmor weist auf die Selbstverständlichkeit hin, dass Medienkompetenz nicht vor allem darin besteht, Techniken zu beherrschen, sondern darin, die Glaubwürdigkeit von Informationen beurteilen und rhetorische Mechanismen durchschauen zu können. Zum Schluss ein paar gute Sätze über Transparenz. Etwa:

It’s difficult, in fact, to name a business as opaque as journalism, the practitioners of which insist that others explain their actions but usually refuse to amplify on their own.

Frei übersetzt:

Tatsächlich findet man kaum eine Branche, die so undurchsichtig ist wie der Journalismus. Seine Vertreter bestehen darauf, dass andere ihre Handlungen erklären, lassen sich aber nur unwillig über ihre eigenen aus.