Es ärgert mich, dass ich schon wieder über FH-Interna (aber sind es noch Interna?) schreibe. Im Moment habe ich den Kopf für andere Themen nicht frei. Gestern ist in der Presse ein Artikel über unseren Studiengang erschienen: Gefälschte Tests? Anzeigen gegen Grazer FH; heute eine APA-Meldung, die fast textgleich vom ORF und der Kleinen Zeitung übernommen wurde, in beiden Fällen auf der Startseite verlinkt. Die FH hat jetzt gerade mit einer Aussendung reagiert. Studierende haben eine Facebook-Page gestartet, die inzwischen über 100 Fans hat und mir als bisher beste—um nicht zu sagen: einzige—organisierte Initiative der Öffentlichkeitsarbeit gegen diese Kampagne erscheint.

Hier wird organisiert Rufmord betrieben—von jemand, der anonym agiert und damit rechnet, dass die FH nicht riskiert, öffentlich gegen ihn vorzugehen. Wer Namen nennt, muss mit Klagen rechnen; umgekehrt wird aber ein Name im übelsten Korruptionskontext genannt. Hier tritt jemand bewusst in den Unterleib um sich dann zu beschweren, wenn eine Hand gegen ihn erhoben wird

Eben habe ich einen Brief von Heinz M. Fischer an Michael Fleischhacker zur Kenntnis erhalten:

Sehr geehrter Herr Chefredakteur!
Lieber Michael!

Mit gewissem Erstaunen, wohl aber auch mit einer bestimmten Irritation habe ich in der heutigen Ausgabe der Presse den Artikel „Gefälschte Tests, unfaire Noten? Anzeigen gegen Grazer FH“ rezipiert; eröffnet er mir doch neue, bisher unbekannte Perspektiven von Qualitätsjournalismus, für den die Presse angeblich steht (oder gestanden ist), diesen Anspruch womöglich aber auch schon über Bord geworfen hat.

Einer der Autoren – Alexander Bühler – ist ein langjähriger Kollege jenes gekündigten Mitarbeiters der FH JOANNEUM, von dem diese Kampagne mutmaßlich losgetreten worden ist. Ich gehe aus, das ich Dir bekannt gewesen. Der Anwalt dieses Mitarbeiters hat dem Wissenschaftsministerium jedenfalls das ominöse Konvolut zukommen lassen. Die Presse hat es – natürlich zufällig – erhalten, und ebenso zufällig ist Alexander Bühler einer jener Journalisten, der sich dieses „Falles“ angenommen hat. Sehr saubere Konstruktion!

Es werden Behauptungen als Tatsachen hingestellt, ohne dass diese auch nur Ansatzweise hinterfragt werden (Aufträge für Parteien, Schmiergelder, Bestechung….). Weil dann hätte sich ja ergeben, dass diese Unterstellungen haltlos sind, und dann wäre die Story zusammengebrochen, und das wäre schade gewesen. Manipulation & Korruption an einer Hochschule klingt halt schon sehr fein.

Durch Formulierungen wie „…hätten die Alarmglocken schrillen müssen…“ wird suggeriert, dass großer Aufdeckungsjournalismus gefordert war, um einen „Skandal“ im Bildungsbereich freizulegen. Warum haben die Alarmglocken im Ministerium, Fachhochschulrat und anderen Stellen, die diese dubiosen Unterlagen erhalten haben, eben nicht geschrillt? Könnte das sachliche Gründe haben?

Die Qualität des großartigen Konvoluts, aus dem genüsslich zitiert wird, ist in keiner Weise hinterfragt worden. Warum auch? Vielleicht hätte sich herausgestellt, dass es sich um ein groteskes und absurdes Konstrukt handelt, das höchstens an einen Ort gehört – in den Mistkübel.

Dass ein Artikel derart unreflektiert – und es ist offensichtlich, wer und was dahinter steckt – in einem von Dir verantworteten Blatt erscheint, bloß um billigen öffentlichen Effekt zu erzielen, finde ich höchst erstaunlich. Aber es geht um meine Reputation, um jene eines Studienganges, den ich mit viel persönlicher Energie hochgezogen habe und der zu den erfolgreichsten FH-Studiengängen Österreichs zählt, und um den erstklassigen Ruf der FH JOANNEUM. Und dieses Image und dieses Prestige werde ich mir durch Journalisten, die meinen, grandiose investigative Leistungen erbracht zu haben, nicht beschädigen lassen.

Beste Grüße und weiterhin viel Erfolg,
Heinz

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Update, 28.10.2010: Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen Heinz Fischer inzwischen eingestellt.

Ich beschäftige mich gerade wieder mit Google Buzz—u.a. weil ich heute beim Grazer Webmontag etwas darüber sagen möchte. Ich fühle mich nicht als Experte, ich habe mich noch nicht richtig mit Buzz vertraut gemacht. Wie über allen anderen sozialen Technologien im Anfangsstadium kann man über Buzz nur vernünftig etwas sagen, wenn man es praktiziert hat. Mein Hauptproblem dabei, Buzz zu praktizieren, ist nicht eine schlechte signal vs. noise ratio sondern die hohe Qualität der Diskussionen, denen ich folge. Man kann sie kaum in Echtzeit verarbeiten.

Buzz fasziniert mich noch immer. Trotzdem kommt es mir vor, als wäre Buzz falsch herum gelauncht worden. Interessant und innovativ an Buzz sind die vielen offenen Technologien, auf denen es aufbaut (dazu z.B. James Clark und
Louis Gray). Als Produkt, als Community oder soziales Netzwerk dagegen wirkt Buzz auf mich wie auf dem Reissbrett entworfen, wie eine von Technikern und Produktmanagern erdachte Verpackung für möglichst viele und möglichst fortgeschrittene Features. Buzz fehlt die evolutionäre Entwicklung, es ist anders als Twitter, Friendfeed und auch Facebook top down konzipiert und konsequenterweise ja auch so eingeführt worden.

Mich erinnert das an Microsoft-Produkte und ihre Featuritis (ich sage das als Google-Fan). Die Stärke von Imperien wie Google liegt nicht in Produkten, die Sex haben und die Benutzer verführen. Google sollte sich auf die Infrastruktur konzentrieren. Dort hat auch Microsoft seine Stärken—etwa mit der Entwicklung des XMLHttpRequest. Ein soziales Netz, dass von einem Großkonzern gestartet wird, hat etwas von einer Betriebsfeier: Buffet und Band mögen gut sein—aber Gäste und Umgebung wirken immer aufgedonnert.

Habe erst ein wenig mit Google Buzz herumgespielt. Informativ ist die Aufzeichnung des Google Buzz Launch Event, man erfährt einiges darüber, was Google mit Buzz vorhat. Mein erster Eindruck: Buzz ist nach Twitter die erste Microblogging-Plattform mit Aussicht auf einen Massenerfolg. Ich glaube nicht wie Steve Rubel, dass Buzz als Rohrkrepierer endet, dazu hat es sich zu schnell verbreitet, und dazu ist es zu gut mit anderen Google-Diensten integriert. Ich verstehe Buzz nicht vor allem als Alternative zu Twitter. Buzz hat viele ganz andere Features, dafür fehlen ihm wichtige Funktionen von Twitter.

Twitter Buzz
Umfangsbegrenzung ja nein
Threaded Conversations nein ja
Posten an Gruppen nein ja
@-Replies ja ja
Retweeten/Weitersenden ja nein
Hashtags ja nein
Geoinformation optional ja
Automatisiertes Erkennen relevanter Informationen nein ja
Gmail/Google Profile-Integration nein ja

Mein zweiter Eindruck: Buzz ist nicht als Konkurrenz zu Twitter, sondern als Konkurrenz zu Facebook angelegt.

Buzz ist nicht nur eng mit GMail verbunden, sondern auch mit den Google-Profilen. Gmail-Benutzer erhalten mit Buzz einen Activity-Stream, der eher mit Facebook als mit Twitter Ähnlichkeit hat. Anders als Facebook (und Twitter) ist Buzz aber an offenen Standards orientiert (siehe dazu How Google Buzz is Disruptive: Open Data Standards). Mit Buzz, Open Social, GMail, Greader und GTalk hat man via Google fast alle wichtigen Funktionen zur Verfügung, die Facebook anbietet, aber eher als einen Baukasten, dessen Teile man leicht durch andere Teile ersetzen kann.

Mein dritter Eindruck: Buzz macht es noch schwieriger, den eigene Lifestream zu organisieren. Schon vor Buzz musste man sich entscheiden, auf welchen Plattformen man Inhalte erzeugt, und welche man eher zum Sammeln und Abspielen verwendet. Ich benutze selbst Typepad und Twitter zum Schreiben; Diigo, GReader, Posterous und einige andere Tools zum Sammeln und Sharen; Friendfeed, Facebook und soup.io zum Verbreiten. Ich benutze die Tools ähnlich wie Louis Gray, der in The New 2010 Social Media Data Flow, With Buzz in einer Grafik zeigt, wie er seinen Activity- oder Lifestream organisiert:

Ich werde Buzz auch zum Sammeln und Verbreiten verwenden, hoffe aber, dass sich dort auch Unterhaltungen entwickeln, und die werden außerhalb von Buzz, also z.B. bei Facebook und Friendfeed, vorerst nicht zu verfolgen sein. Das Problem, wie man Kommentare jenseits von Daten-Silos verfügbar macht, ist nicht gelöst; Buzz soll in absehbarer Zeit das Salmon Protocol unterstützen.

Vierter Eindruck: Spätestens mit Buzz etabliert sich eine eigene, webtypische Art asynchronen dialogischen Schreibens. Es gibt verschiedene unscharfe Bezeichnungen für dieses „Genre“: Microblogging, Activity Streams, vielleicht auch einfach Twittern. Es handelt sich um Schreibweisen mit offenen Grenzen zu Blogs auf der einen Seite und zum Instant Messaging auf der anderen Seite. Im Gegensatz zum Email sind sie hypertextuell, tenedenziell öffentlich und an URLs gebunden. Bisher werden diese Schreibformen meist mit den Plattformen, z.B. Twitter oder Facebook, identifiziert, auf denen man sie ausüben kann. Je mehr solcher Plattformen aber existieren, desto mehr wird sichtbar, dass es sich hier um etwas wie eine eigene Textsorte handelt, die an die hypermediale Umgebung des Webs gebunden ist.

Maryanne_wolf Auf Maryanne Wolfs Buch Proust and the Squid (dt.: Das lesende Gehirn) bin ich durch ein Interview mit der Autorin gestoßen; jetzt hat mich Schirrmachers Payback dazu gebracht, es tatsächlich zu lesen (und mir noch einige andere Titel zu bestellen).

Maryanne Wolf gibt einen Überblick über das, was man vor allem durch die Hirnforschung über die Mechanismen weiss, die das Lesen ermöglichen; sie beschreibt ausführlich, wie sich die Schrift und das Lesen historisch entwickelt haben, und sie schildert, wie Kinder lernen zu lesen und dabei die Geschichte der Schrift individuell wiederholen. (Ihre Darstellung erinnert an die Biogenetische Grundregel.) Drei fundamentale Eigenschaften des Gehirns machen das Lesen möglich:

  • das Umwidmen („repurposing“ oder „recycling“) von Funktionen, vor allem der Fähigleit, Repräsentationen zu speichern;

  • die Spezialisierung von Gehirnbereichen auf erlernte (also nicht genetisch vorgegebene) Aufgaben; und

  • die Automatisierung von oft wiederholten Funktionen, durch die Kapazitäten für neue Aufgaben freigesetzt werden.

Wenn das Gehirn die Fähigkeit erworben hat flüssig zu lesen, gewinnt es zusätzliche Zeitressourcen für das Denken, für die Bildung von Hypothesen und das Überschreiten dessen, was, z.B. im gerade gelesenen Text, vorgegeben ist. Die Automatisierung führt zu einer Entlastung, die neue, nicht genetisch vorgegebene Leistungen erlaubt.

Wolf leitet ein Zentrum zur Erforschung des Lesens und zur Therapie von Lesestörungen. Sie bettet die Darstellung wissenschaftlicher Forschungen in Reflexionen zur Bedeutung des Lesens ein, die immer wieder die eigene lebenslange Lektüreerfahrung und die eigene Biographie (z.B. als Mutter eines Kindes mit einer Leseschwäche) berühren. Lesen ist eine von der Natur gar nicht vorgesehene Tätigkeit, die ganze Gesellschaften ebenso umgeformt hat, wie sie jedes individuum umformt, das die Welt eines Buches nachschafft und sie sein Leben lang nie ganz verlässt. Für Maryanne Wolf ist das Lesen der Gipfel des für das Gehirn und damit auch für die Kultur Erreichten. Dabei befasst sie sich ausführlich mit Dyslexien, also Lesestörungen—vielleicht der interessanteste Teil ihres Buchs. Bei Dyslexien, die wahrscheinlich genetisch angelegt sind, werden Funktionen, die für das Lesen wichtig sind, von anderen Teilen des Gehirns übernommen als bei den meisten Menschen; bestimmte Regionen der rechten Hirnhälfte spielen eine wichtigere Rolle als im „Normalfall“. Menschen mit Dyslexien fällt das Lesen schwerer als anderen, sie verfügen dafür aber oft über besondere Begabungen vor allem bei der Mustererkennung und der Raumwahrnehmung.

Maryanne Wolf wird manchmal, auch von Frank Schirrmacher, als Kronzeugin für die kulturkonservative These angeführt, das Lesen auf dem Bildschirm und die Überflutung mit Informationen in der beginnenden digitalen Zivilisation gefährdeten die Bildung und die Lesefähigkeit. Tatsächlich warnt sie eindringlich davor, das Lesen als eine generative Fähigkeit, die Neues entstehen lässt, durch bloß reaktive „Informationsverarbeitung“ zu ersetzen. Ihre Thesen lassen sich aber nicht plakativ verwenden, um das gute Alte zu beschwören. Dazu argumentiert sie zu vorsichtig und dazu denkt sie zu differenziert. Sie stellt dar, was Literacy bedeutet, wie unwahrscheinlich sie ist und wie viel sie vorausetzt. Sie ruft nicht dazu auf, auf die nächste Stufe der Literacy zu verzichten, zu der die weltweite Vernetzung und die sofortige Erreichbarkeit von Informationen gehören. Sie insistiert nur darauf, nicht die Zeit zu verspielen, die durch diese neue Ebene der Entlastung gewonnen werden kann.

Thomas Knapp hat dazu aufgerufen, in einer Blogparade Prognosen zum österreichischen Wahljahr 2010 abzugeben; Christian Klepej, Gerald Bäck und Angela Lehner haben schon reagiert.

Ich traue mir nicht zu, etwas zu den Regionalwahlen außerhalb der Steiermark zu sagen—außer vielleicht, dass es die ÖVP in Wien wohl noch schwerer haben wird als bei den letzten Wahlen. Heinz Fischer wird—nonanet—Bundespräsident bleiben.

Hier in der Steiermark stehen Gemeinderats- und Regionalwahlen an. Hat man mit Leuten im Umfeld der Politik zu tun, merkt man: Die Frage, ob die SPÖ weiter an der Spitze bleibt, dominiert. Die Nervosität hat wenig mit den Handlungsmöglichkeiten der steirischen Landesregierung oder politischen Unterschieden zu tun, dafür viel mit persönlichem Einfluss, Posten- oder Fördergeldvergaben und Eitelkeiten. Das Proporzsystem, die lange gemeinsame Sozialisation der politischen Klasse in der Steiermark, die Kompetenzüberschneidungen mit dem Bund und die desaströse Finanzsituation sorgen dafür, dass sich die Balance nur wenig verschieben kann—aber man kämpft erbittert. Es ist wie in einer Firma, in der kleine Karriesprünge persönliche Tragödien auslösen können. Schwierig ist es nur, den Wählern zu erklären, warum sie sich für eine der großen Parteien entscheiden sollen.

Viele Wähler werden eher die Person als die Partei an der Spitze ankreuzen. Ein Vorteil für die SPÖ: Franz Voves ist Hermann Schützenhöfer in der persönlichen Wirkung und rhetorisch deutlich überlegen. Außerdem hat er es immer wieder geschafft, sich als eigenwillig und als Entscheider zu präsentieren. Schützenhöfer steht für Provinzialität—als Provinzler wird er gerade wieder plakatiert—und ist rhetorisch eine Schlaftablette. Regierungsmannschaft und Regierungspolitik der SPÖ fehlte der Glanz—aber die ÖVP hat es nicht verstanden, Alternativen zu entwickeln. Mit einer Kristina Edlinger-Ploder an der Spitze hätte sie bei weitem bessere Chancen.

Voves wird vor Schützenhöfer liegen—bekommt er auch eine Mehrheit im Landtag? Die KPÖ, die jetzt für eine linke Mehrheit sorgt, dürfte im nächsten Landtag durch die FPÖ ersetzt werden. Es ist schwer zu sagen, ob den Rechtsradikalen eher die das Land Kärnten regierenden politischen Banditen schaden oder ob ihr ein Erfolg des Wiener Ungustl nützen wird. Weder Voves noch Schützenhöfer schließen eine Koalition mit den Populisten aus. Die FPÖ dürfte eine Königsmacher-Rolle erhalten, aber eine geschwächte ÖVP wird eher an einer großen Koalition festhalten als in den kommenden Jahren mit der FPÖ Krisenmanagement zu betreiben.

Entscheiden werden wenige 10.000 Stimmen. Wer gewinnen will, muss viele kleine Gruppen für sich mobilisieren und dafür alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen. Außerdem werden nicht alle KPÖ-Wähler zur FPÖ wechseln, die SPÖ kann ihnen etwas anbieten. Die Situation wird also lange offen bleiben.

Zusammenfassung:

  1. Die SPÖ wird stärkste Partei.

  2. FPÖ und ÖVP werden Königsmacher.

  3. Kleine Wählergruppen und bisherige KPÖ-Wähler spielen eine wichtige Rolle.

Leider habe ich mir die Stelle nicht notiert—irgendwo habe ich zum Jahreswechsel gelesen, dass 2009 „Social Media“ als Buzzword „Web 2.0“ überholt hat. Ich habe den Eindruck, dass der Ausdruck, übrigens auch sein deutsches Pendant „soziale Medien“, oft schon selbstverständlich geworden ist. Mir selbst haben im letzten Jahr Internetausdrucker vorgeworfen, dass ich „Online-Journalismus“ und „Soziale Medien“ gleich setze. Anlässe, wieder einmal darüber nachzudenken, was mir diesem Ausdruck gemeint ist, und ob es sinnvoll ist, ihn zu benutzen.

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Ich experimentiere gerade zum ersten Mal etwas mit Google Wave, wir verwenden es zur Kommunikation über ein neues Projekt. Während des kurzen Hypes im Herbst, als die Einladungen noch selten waren, hatte ich nicht genug Zeit, um mehr zu tun, als ein paar öffentliche Waves zu öffnen, und jetzt scheint das Interesse schon weitgehend wieder verschwunden zu sein.

Zu Unrecht, glaube ich. Google hat vielleicht einen Fehler damit gemacht, Wave gleich als eierlegende Wollmilchsau anzukündigen, die alle möglichen Probleme der Online-Kooperation lösen kann. Die ersten Erfahrungen waren dann zwangsläufig enttäuschend, weil man gar nicht wusste, wozu man die vielen Features überhaupt braucht.

Man findet wohl einen viel einfacheren Zugang, wenn man Wave zunächst so verwendet, wie es vor allem gedacht ist, nämlich als bessere Alternative zur Email. Wave ist nicht um die einzelne Botschaft oder Mail herum organisiert, sondern um Konversationen oder Threads, von denen außerdem noch mehrere zu einer Wave zusammengefasst werden (die einzelne Konversation ist im Wave-Lingo ein Wavelet, die einzelne Botschaft—das Gegenstück zur Mail—ein Blip). Man kann, wie wahrscheinlich schon fast jede(r) gesehen hat, Personen einfach an solchen Konversationen beteiligen (so dass sie gleich die gesamte Konversation sehen und man ihnen nicht mühsam alte Emails forwarden muss), man kann alle Teile einer Konversation editieren und auf Details antworten, man kann das ganze wie in einem Chat in Echtzeit tun, und man kann Dokumente einbetten, die für alle Teilnehmer sichtbar sind. Das allein ist eine Serie von extrem nützlichen Funktionen. Man hat sie sehr schnell kennengelernt. Ich frage mich, warum man beim herkömmlichen Email bleiben soll, wenn man diese viel bequemere Möglichkeit hat zu kommunizieren.

Umgekehrt sehe ich nicht, was Email mehr kann als Wave – außer dass es viele verbreiteter ist. Wo Wave zu komplex ist, sind wohl Twitter-Botschaften oder Instant Messages die Alternative, nicht Email.

Sicher: Wave ist serverseitig eine sehr komplexe Angelegenheit, während man auf dem kleinsten Rechner Email-Server betreiben kann, wenn man will. Aber auch andere Kommunikationsformen wie Twitter verlangen eine sehr komplexe Server-Technologie und sind dabei im Gegensatz zu Wave proprietär.

Jedenfalls ermutigen mich die ersten Versuche, Wave weiterzuverwenden, und ich hoffe, dass ich wenigstens einige Leute in meiner Umgebung dazu bringen kann, es ebenfalls regelmäßig zu verwenden.

Mich interessiert vor allem, wie man Wave als Publikationstool verwenden kann, und in welchem Verhältnis es zu anderen XMPP-Anwendungen steht. Aber auch wenn Wave nicht mehr wäre als ein Email 2.0: Man sollte es nicht totsagen, obwohl es noch gar nicht ganz bei den Nutzern angekommen ist.

Ein paar der interessantesten Theoretiker des neuen Journalismus lehren in New York. Zwei von ihnen, Jay Rosen und Clay Shirky, haben vor Weihnachten an der New York University miteinander diskutiert. Fast in der Mitte der Diskussion erzählt Shirky, dass seine Studenten gedruckte Zeitungen gar nicht mehr aus eigener Anschauung kennen. „I have to buy physical newspapers“, sagt er—die er dann gleich zerschnitten hat, um an Gewicht festzustellen, wieviel Papier tatsächlich für journalistische Inhalte verwendet wurde, statt z.B. für Kreuzworträtsel und Horoskope.

Videos der Diskussion finden sich mit weiterem Material in der Dokumentation der New York University und bei YouTube. Hier das erste:

Wenn man sich dafür interessiert, was Öffentlichkeit heute sein kann, lohnt es sich, der Diskussion in Ruhe zu folgen. Ich habe es noch nicht geschafft, wenigstens den wichtigsten der vielen Anregungen nachzugehen. Rosen und Shirky interessieren sich für den Printjournalismus nur noch als historisches Phänomen. Sie halten die Suche nach neuen Business-Modellen für die Nicht-mehr-Print-Zeitungen für unwichtig, wenn man die Frage beantworten will, wie eine kritische Öffentlichkeit im Zeitalter der superdistribution funktionieren kann. Denn selbst wenn es Geschäftsmodelle für „Online-Zeitungen“ gäbe: In Web werden nicht Journalisten und Verlage steuern, welche Nachrichten wie viele Bürger erreichen.

Rosen und Shirky haben unterschiedliche Augangspunkte—Rosen die Tradition des Bürgerjournalismus, Shirky die Soziologie der kollektiven Handlung. Beide sehen die entscheidende Veränderung für den Journalismus durch das Netz darin, dass sich die Kontrolle über die Nachrichten auf das vernetzte frühere Publikum verschiebt. Die Diskussion zeigt: In den USA funktioniert die Blogosphäre als demokratisches Kontrollorgan, wenn auch nur sehr eingeschränkt. Bei uns sind wir davon noch weit entfernt.

Bemerkenswert ist auch, wie früh Shirky und Rosen radikale Veränderungen im Nachrichtenuniversum voraussahen, und wie spät man, wenn überhaupt, auf sie hörte. Speziell hier in Österreich sollte man das ernst nehmen. Die Presse in Österreich scheint bisher von der Krise weit weniger getroffen zu werden als die in den USA, während in Deutschland die Zahlen für die verkauften Auflagen schon seit Jahren sinken. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass durch Presseförderung und Regierungsanzeigen die österreichische Presse ohnehin nicht wirklich marktwirtschaftlich funktioniert, und auch damit, dass die Presse in Österreich nie das Ansehen als vierte Säule der Demokratie hatte, das sie in den USA immer mehr verloren hat. Eine Rolle spielt sicher auch, dass sich der Online-Markt und vor allem die Online-Werbung in Österreich erst langsam entwickeln. Aber zu glauben, dass Print-Zeitungen oder Online-Produkte, die das Print-Modell ins Web übertragen, eine längere wirtschaftliche Zukunft hätten, ist in Österreich heute nicht weniger naiv, als es das in den USA vor ein paar Jahren war.