Zurück aus London. Zwei Tage auf der Content Strategy Applied. Zusammen mit Irene Michl habe ich zum ersten Mal unseren Studiengang einem internationalen Fachpublikum vorgestellt. Großer Dank an Rahel Bailie – nicht nur dafür, dass sie uns diese Gelegenheit gegeben hat, sondern vor allem dafür, dass sie zusammen mit Lucie Hyde diese sehr konzentrierte Veranstaltung organisiert hat!


Soweit ich es selbst einschätzen kann, hatten wir Erfolg. Wir haben vor dem Abschluss des ersten Tages gesprochen, nach den Slots für Fachthemen, die parallel in drei Tracks stattfanden. Es gab viel Applaus – auch, weil ich zum Abschluss gesagt habe, dass wir wiederkommen, möchten, brexit, or not brexit. In diesem Publikum spielen Brexiters keine Rolle. Und in fast keinem Gespräch am Rande fehlte eine ironische Bemerkung über Trump.
Tweets von der Konferenz und über die Konferenz: CS Applied 2017 (@CSApplied2017) | Twitter und Hashtag #CSApplied17 auf Twitter.
Meine Fotos: #CSApplied17 – Google Photos (nur als Erinnerungsstütze, wenn ich die Präsentationen nicht online gefunden habe.)
Lanyrd-Seite: Content Strategy Applied, 9th-10th February 2017.
Die Perspektive, mit der ich auf die Beiträge zu einer solchen Konferenz blicke, ist natürlich stark durch meinen gegenwärtigen Job geprägt. Ich frage mich vor allem, was alle diese Inhalte zusammen hält und wie sie zu der Art und Weise passen, wie wir Contentstrategie unterrichten.
Im Nachhinein denke ich, dass die verschiedenen Vorträge, die ich gehört habe, sich sehr gut gegenseitig ergänzen. Sie kreisten sie um zwei große Themen: das Erkennen von Nutzer-Interessen in Verbindung mit Inhalts-Modellen und Entwurfsprozesse für Inhalte.

Inhaltsmodelle und Nutzerabsichten

Wie kann man Inhalte so entwickeln, dass sie die Bedürfnisse von Nutzerinnen erfüllen? Wann ist welcher Inhalt gefragt? Wenn man Inhalte nutzerbezogen entwickelt, liegt es nahe, den einzelnen Abschnitten der Interaktion mit einer App oder Webapp Inhalte zuzuordnen. Dazu braucht man Modelle der Interaktionen – der User Journeys – und der Inhalte, der Content Types. Die meisten Vorträge, die ich auf der #CSApplied17 gehört habe, stellten Methoden vor, um diese Zuordnung vorzunehmen. Schwerpunkte dabei waren die Auswertung von Daten über das Nutzerverhalten mit Deep Learning-Algorithmen und User Journey Mapping als Ausgangspunkt für die Modellierung von Inhalten. James Mathewson stellte gleich zu Beginn der Konferenz in seiner Keynote vor, wie IBM mit künstlicher Intelligenz Inhalte und User Journeys aufeinander bezieht. Noz Urbina und Marie Girard gingen detailliert auf Content Modelling und Experience Journey Mapping ein. Inhaltsmodelle erwiesen sich als ein Kernstück der Content Strategie, ein Common Ground für unterschiedliche Analyse- und Design-Methoden und für Frontend- wie für Backend-Contentstrategie. Erfolgreich sind die Modelle, wenn nicht nur die praktischen und intellektuellen Interessen der Nutzer angesprochen werden, sondern wenn die emotionale Qualität der Inhalte den Bedürfnissen der Menschen entspricht, die sich für ein Produkt oder einen Service interessieren.

Datenquellen und Daten-Auswertung

Die quantitativen Methoden, die James Mathewson vorstellte, unterscheiden sich deutlich von dem Vorgehen, das Noz Urbina und Marie Girard beschrieben, aber beide Ansätze greifen ineinander. IBM konstruiert mit Hilfe von künstlicher Intelligenz eine große Zahl von unterschiedlichen Wegen durch eine Site und dazugehörige Nutzer-Personas. Bei der qualitativen Methode des Experience Mapping werden dagegen Nutzer befragt, um ihren Umgang mit Inhalten in Verbindung mit den anderen Aspekten der Nutzung eines Services möglichst genau abzubilden.
Contentstrategen im real life haben oft nicht die Ressourcen und das Budget für solche aufwändigen empirischen Untersuchungen. Sie müssen mit AdHoc-Hypothesen arbeiten. Ob diese Annahmen praktikabel sind, erweist sich in der Zusammenarbeit mit den anderen Mitgliedern eines digitalen Teams. Deshalb bildete der Vortrag von Frances Gordon einen interessanten Kontrapunkt zu den Präsentationen von Mathewson, Girard und Urbina. Sie beschrieb, wie sie als Contentstrategin für ein ein Fintech-Unternehmen mit Kunden vor allem in der Dritten Welt auf der Basis von minimalem Datenmaterial vorgeht. In solchen Situationen ist es wichtig, die Hypothesen mit Teams von Entwicklern und Designern umzusetzen, zu testen und zu revidieren. Auch für den Erfolg der AB-Tests in einer Echzeit-Umgebung, die Kathy Matosich von Facebook beschrieb, ist die schnelle Zusammenarbeit in einem Team entscheidend. Allerdings ging es hier bei ihr nur um den Test einzelner Elemente des Interface und nicht um einen kompletten Content-Typ. Im Nachhinein überlege ich, ob es nicht eine andere Gemeinsamkeit zwischen dem minimalistischen Ansatz von Frances Gordon und dem Teambuilding-Konzept von Matosich gibt: Sie arbeiten für Nutzerinnen und Nutzer, deren Bedürfnisse sich kaum aus ihrem Suchverhalten entnehmen lassen. Die Kunden des Fintech-Unternehmen Gordons verlassen sich auf die Empfehlungen von Personen und haben kaum Vertrauen in die Inhalte Webseiten, die man über eine Suchmaschine findet. Und auch Facebook kann nicht auf Suchdaten zurückgreifen, wenn es – das war das Beispiel Matosichs – eine Feature wie Einladungen zu Events optimiert.

Inhaltsqualität und Inhaltserstellung

In den Präsentationen zu Inhaltsentwicklung und Designprozessen spielte einerseits agiles Vorgehen eine große Rolle. Ich habe dazu nur den Vortrag von Helen Schrader und Babak Zand gehört, einen von mehreren zu diesem Thema. Andererseits stellte Lisa Moore das Konzept des High Fidelity Content vor. Gemeint ist damit das Entwickeln von echten, komplett ausgearbeiteten Inhalten beim Prototyping, um Annahmen einem Realitätstest zu unterziehen und mögliche Probleme bei der Umsetzung einer Content-Strategie früh zu erkennen.

Kontrolle der Terminologie

Ein weiterer Aspekt, den ich sehr interessant fand: Sowohl IBM als auch Facebook verwenden die Software von Acrolinx , um die Terminologie zu überwachen, die bei ihrem Inhalten angewendet wird. Andrew Bredenkamp, der Gründer und Chef von Acrolinx, hielt selbst auch einen Vortrag, der aber nicht der eigene Software gewidmet war, sondern Translators without Borders als einem Projekt angewandter Contentstrategie. Für mich übrigens auch eine Brücke zu Frances Gordons Präsentation über Banking Software für Schwellenländer.

Intelligent Content und nutzerbezogenes Content-Design

Unter dem Gesichtspunkt des nutzerbezogenen Designs konnte ich Stefan Gentz‚ Vorstellung des Adobe Experience Managers mehr abgewinnen als einer reinen Marketing-Präsentation. Wichtig fand ich vor allem die Aussage, dass man die Auswahl der Formate, in denen Inhalte rezipiert werden, den Nutzern überlassen soll. Dieser Ansatz verbindet das Konzept des intelligent content mit der nutzerbezogenen Entwicklung von Inhalten und löst es aus der Einbettung in content engineering bzw. content management.

Ist Contentstrategie der richtige Markenname?

Während der Konferenz habe ich mich mit Kolleginnen aus England unterhalten, die große Zweifel daran hatten, dass es sinnvoll ist, den Ausdruck Contentstrategie überhaupt gegenüber Kunden zu verwenden. Viele Contentstrategen bekommen bei der Produktion von Websites nur Jobs als Autoren oder für andere relativ untergeordnete Tätigkeiten. Deshalb suchen sie nach anderen Berufsbezeichnungen wie Digital Strategist. Ich glaube, dass diese Perspektive zu beschränkt ist. Gerade auf dieser Konferenz konnte man sehen, dass große Firmen Contentstrategie inhouse methodisch und in Teams betreiben.
Für mich ist auf dieser Konferenz noch deutlicher geworden, was Contentstrategie im Kern ist: die strategisch orientierte Entwicklung von Inhalten für digitale Services. Der Contentstrategie geht es nicht um Inhalte, die als solche konsumiert werden – es geht also nicht um die klassischen Medieninhalte und auch nicht um Werbeinhalte. Es geht um Inhalte, die zu einem Produkt oder Service gehören und Bestandteil von Applikationen sind, die interaktiv genutzt werden. Da diese Inhalte sich an Nutzer wenden, nicht nur an Leser oder Zuschauer, müssen sie designt werden, und da sie eine messbare Funktion innerhalb eines Service bzw. Geschäftsprozess haben, müssen sie so geplant werden, dass sie die Geschäftsprozesse optimal unterstützen. Damit ist für mich die Kernaufgabe der Contentstrategie beschrieben. Ich kann mir schwer vorstellen, dass man diesen Begriff durch etwas anderes ersetzen kann. Die verschiedenen Verfahren, die auf der CSApplied vorgestellt wurden, passen zu diesem Konzept von Contentstrategie. So fatal es ist, dass die Bezeichnung Contentstrategie von unterschiedlichen Beratern zu unterschiedlichsten Zwecken verwendet wird: Sie eignet sich als Marke für die nutzerbezogene Entwicklung digitaler oder primär digitaler Inhalte einer Organisation besser als jede andere. Gerade deshalb muss man die Besonderheiten dieses Ansatzes gegenüber anderen Form des Umgangs mit Medien noch deutlicher herausarbeiten hervorheben muss.

Tweets und Links zu den Sessions, die ich besucht habe:

James Mathewson: Cognitive Content Strategy: How to Use Artificial Intelligence to Model Audience Intent


Artikel von James Mathewson zum selben Thema: Cognitive content strategy

Frances Gordon: Content strategy applied to a fintech start-up in frontier markets

Marie Girard: Chicken or egg? Solving the strategy vs. structure dilemma

Lisa M. Moore: Reality check: Using high-fidelity content to deliver better customer experiences

Kathy Matosich: Turning Co-Workers into Collaborators

Babak Zand und Helen Schrader: Agile Content Strategy: developing and implementing a content strategy with few resources

Madi Weland Solomon: Future Facing, Future Feeds: Getting and Benchmarking New Busines Revenue

Noz Urbina: Omnichannel Customer Journey Mapping


Präsentation User Journey Modelling: 2016-12 urbina consutling – user journeys – v4.pptx
Präsentation Adaptive Content Modelling: 2017-Urbina-Consulting-Adaptive-Content-Modelling-HalfDay-v3-SimCorp.pptx
User Journey Map Template: 2016 UC CJM with Guidance.xlsx

Stefan Gentz: Convergence of Marketing and Technical Communication

Content Modelling Workshop mit Marie Girard

Andrew Bredenkamp: Content for Humanity

Closing Session: Trends

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