Wer sich auch nur ein bisschen mit der Klimakrise beschäftigt, der hat viele Grafiken gesehen, auf denen Entwicklungen von Temperatur und Treibhausgasen über Zeitspannen gezeigt werden, z.B. seit Beginn der Industrialisierung oder seit 1880. Oft sind auf diesen Charts Schwellenwerte eingetragen, z.B. vorindustrielle Durchschnittstemperaturen. Auf solchen Charts können wir sehen, dass wir jedes Jahr Rekorde brechen.
Diese Darstellungen erwecken den Eindruck, dass die Klimakrise vor allem ein Natur-geschehen ist, auch wenn man weiss, dass ihre Ursachen nicht natürlich sind. Die Darstellungen sind nicht falsch, aber sie blenden die Geschichte, zu der diese Entwicklungen gehören, weitgehend aus. Sie machen sie zu einer Angelegenheit, für die vor allem Klima- und Wetterfachleute zuständig sind und die mit der Gesellschaft wenig zu tun hat. Sie zeigen z.B. hinter den Treibhausgasen nicht die Faktoren, die zu ihrer Emission führen, wie Kraftwerke, Verkehr und Landnutzung. Sie zeigen auch nicht, dass es extreme Unterschiede hinsichtlich der Regionen und der sozialen Gruppen gibt, die die Emissionen durch Konsum und Produktion verursachen. Und sie zeigen weder die Folgen, wie Extremwetter, Dürren und Verlust von Küstenzonen, noch die Verwundbarkeit unterschiedlicher Gruppen durch diese Folgen. Sie stellen einen wichtigen Teil der Klimakatastrophe dar, aber etwa so, wie eine Grafik zum Zweiten Weltkrieg in Deutschland, die die Menge der Flugzeuge im Luftraum in eine Beziehung zur Wohnfläche in den Städten setzt. Wollten wir den Krieg ausgehend von solchen Grafiken beschreiben, dann hätten wir große Mühe, die Akteure und die Folgen des Geschehens auch nur identifizierbar zu machen.
Es geht mir hier nicht um die Qualität von Informationsgrafiken, auch wenn die Gestaltung von Infografiken zur Klimakrise und den mit ihr verbundenen ökologischen Krisen ein wichtiges Thema ist. Es geht mir um die Mehrdimensionalität der aktuellen historischen Prozesse, die von der Fokussierung auf wenige, leicht linear darstellbare Parameter verdeckt wird. Die Emissionen, die von ihnen erzwungene Veränderung der Intensität, mit der die Sonnenstrahlung wieder auf die Erde zurückreflektiert wird, und die sich daraus ergebenden Temperaturveränderung setzen zwar alle Akteure der Klimakrise in eine Beziehung zueinander, aber sie sind nur ein kleiner Teil des relevanten Beziehungsgeflechts und bilden vor allem nicht die einzige oder auch nur die wichtigste Beziehung zwischen diesen Akteuren. Sie sind z.B. nicht zu trennen von den kolonialen und den postkolonialen Machtverhältnissen zwischen globalem Norden und globalem Süden: Reiche, mächtige Länder des Nordens, die zudem noch aufgrund ihres Reichtums verhältnismäßig resilient sind, verschmutzen mit Treibhausgasen globale Gemeingüter wie die Atmospäre und damit vor allem die Lebensgrundlage in den armen Ländern, die auf dies Gemeingüter angewiesen sind.
Treibhausgase und Temperaturerhöhungen bilden eine Kontaktzone zwischen den Akteuren der Klimakrise. Ohne sie wäre diese Krise keine Klimakrise. Sie sind aber nicht die einzige Kontaktzone, und es gibt fast unübersehbar viele Akteure dieser Krise oder Katastrophe. Die Klimakrise ist ein historisches Geschehen von globalen Dimensionen. Um sie als solches zu erzählen und zu begreifen, dürfen wir uns nicht von den Bildern gefangen nehmen lassen, die einen zentralen, aber eben nur einen kleinen Ausschnitts des Geschehens zeigen.