Gestern habe ich die Diskussion zwischen den drei deutschen Kanzlerkandidat:innen bei RTL gesehen. Sie war deprimierend. Ich will nicht Pessimismus predigen, weil es noch möglich ist, die Klimakatastrophe aufzuhalten. Aber wenn man aus dieser Diskussion auf die Chancen einer angemessenen Klimapolitik im größten europäischen Industrieland schließen kann, dann besteht aller Anlass zur Verzweiflung.

Wir haben nur noch wenige Jahre, um die globale Erhitzung zu stoppen, bevor sie 2° Celsius überschreitet. Gelingt das nicht, ist das Leben von Hunderten von Millionen bedroht, Ökosysteme wie die Korallenriffe werden komplett verschwinden, das Risiko einer nicht mehr zu bremsenden weiteren Erhitzung, die die Existenz der gesamten Menschheit bedroht, erhöht sich gravierend. Der Weltklimarat hat gerade eindeutig festgestellt, wie ernst Lage ist. Auf Twitter wird ein Video-Ausschnitt geteilt, in dem Hans-Jörg Schellnhuber davon spricht, dass wir gerade unsere Kinder in einen Autobus setzen, der mit 98% Wahrscheinlichkeit verunglücken wird.

Wonach fragen die Moderator:innen des größten deutschen Privatsenders angesichts dieser Situation? Danach ob innerdeutsche Flüge verboten werden sollen, und ob man in Zukunft an die Ostsee statt nach Malle fliegen soll. Und was antworten Armin Laschet, Olaf Scholz und auch Annalena Baerbock? Das Verbote nicht geplant sind und man keine Empfehlungen für privates Verhalten geben werde. Die Hauptgefahr der Klimakrise scheint darin zu bestehen, dass ihre Bekämpfung das Wachstum der Wirtschaft gefährdet. Die Kandidat:innen wagen es nicht nur nicht, die Wahrheit zu sagen (die sie kennen, selbst wenn sie sie nur in Teilen verstehen), sie betreiben bewusste Verharmlosung: die Klimakrise als Chance, die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie zu vergrößern.

Im politischen Spektrum sind, offenbar auch aus Angst vor den Populisten, alle Kandidat:innen um mindestens eine Farbe nach rechts gerückt: Der eher christlich-soziale Armin Laschet spricht wie ein Neoliberaler von Entfesselung der Wirtschaft, Olaf Scholz fährt einen vorsichtigen Merkel-Kurs und Annalena Baerbock gibt eine sozialdemokratische Wahlkämpferin aus dem letzten Jahrhundert. Man spielt das klassische bundesrepublikanische Weihestück von der Sicherung, Steigerung und Verteilung des Wohlstands. Wenn von Transformation die Rede ist, dann ist damit eine Verschiebung der staatlichen Mittel gemeint.

Wer gehofft hat, dass in Deutschland ein Klimawahlkampf geführt wird, lernt, dass „Klima“ als öffentliche Worthülse die „Digitalisierung“ beerbt. Alle reden davon, niemand will deshalb etwas ändern. Die Grünen passen sich daran an. Sie legen sich in das Prokrustesbett des deutschen Wirtschaftswachstums, anstatt zu riskieren es anzusägen. Das wird es ihnen kaum möglich machen, energisch gegen die Verschlimmerung der Klimakrise durch noch mehr internationalen Handel, durch noch mehr Überkonsum und durch noch mehr fossile Infrastruktur vorzugehen. Die Parteien, die sie als Mehrheitsbeschaffer brauchen, weil die FDP nicht ausreicht, werden sie auswechseln, wenn sie gefährlich werden.

Dieser Wahlkampf zeigt, dass die ritualisierten politischen Formate angesichts der Klimakrise versagen. Die Grünen und die Klimakrise sollten sich nicht auf sie beschränken. Sie sollten endlich Bürger:innenräte fordern und kompromisslos die wissenschaftlich gesicherte Wahrheit sagen, auch wenn das kurzfristig Wähler:innen verschreckt und medialen Gegenwind provoziert. Die ökologischen Katastrophen werden sich von Jahr zu Jahr verschlimmern. Dann braucht man politische Kräfte, die disruptiven Wandel organisieren können statt Kontinuität sicherzustellen.

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