In dem Artikel des Standard über den WMO-Bericht zum Klima des letzten Jahres (tberg, red, APA 2024) wird auch auf eine neue Studie zur Prognose der Emissionen bis 2050 (Vashold and Crespo Cuaresma 2024) eingegangen. Die Autoren, Lukas Vashold und Jesús Crespo Cuaresma, modellieren die Emissionen nach Ländern und nach Sektoren und beziehen dabei außer den erkennbaren Tendenzen für die Sektoren die Prognosen für die Entwicklung des BIP und der Bevölkerung ein. Die Ergebnisse sind, vorsichtig gesagt, desillusionierend. In verständlicher Form werden sie auf einer eigenen Website visualisiert, der World Emissions Clock.

Die Studie selbst ist keine Prognose, sondern eine Basis für die Bewertung von Prognosen und der nationalen Klimapläne (NDCs). Sie geht, grob gesagt, von der wahrscheinlichen Entwicklung aus—einem Business as Usual-Szenario, das dem Middle-of-the-Road-Entwicklungspfad des Weltklimarats entspricht. Damit verglichen wird die Entwicklung der Emissionen bei Einhaltung der jetzigen Commitments der Staaten und die Entwicklung, die für die Einhaltung der Pariser Klimaziele notwendig wäre.

Studien zur Entwicklung des Klimas werden immer detaillierter. Sie erfassen regionale Unterschiede inzwischen schon sehr genau. Ähnlich wird hier—so verstehe ich das Paper—viel genauer als bisher auf die Entwicklung der verschiedenen Sektoren, die Emissionen verursachen, in nahezu allen Ländern der Erde eingegangen. Durch die Ausgangsbasis (Sektoren in Ländern) sind die Daten besser vergleichbar als in bisherigen Modellierungen. Außerdem wird die Ungewissheit besser quantifiziert.

Es wird so vor allem erkennbar, welche Emissionen—welche Sektoren? welche Länder?—das Klimasystem über die 1,5° und 2°-Grenze hinaustreiben. Die Energiesysteme und die Industrie der Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen, die Wirtschaften der vom Öl abhängigen Staaten des mittleren Ostens und der weltweit wachsende Verkehr wirken sich besonders stark aus—auf der Basis der historischen Emissionen der heute reichen Länder. Diese Faktoren werden, wenn es nicht zu großen Änderungen kommt, für ein weitgehend gleichbleibendes Niveau der Gesamtemissionen über 2050 hinaus sorgen—das heisst: für ein weiteres Ansteigen des Treibhausgas-Gehalts der Atmosphäre. Die Energiewende in Nordamerika und Europa und die —beschränkte—Entkoppelung des Wirtschaftswachstums dort von den Treibhausgasemissionen spielen für die globale Entwicklung nur eine untergeordnete Rolle, genauso wie das rasante Wachstum der Erneuerbaren in China.

Schon bei einer oberflächlichen ersten Lektüre des Papers stößt man auf viele wichtige Einzelheiten. So geben Länder mit stark steigenden Emissionen wie die Türkei, der Iran und Indonesien für ein Business-as-usual-Szenario so hohe Emissionswerte an, dass sie ihre Selbstverpflichtungen für den Emissionsabbau ohne jede aktive Klimapolitik übererfüllen.

Es ist sehr schwer, aus diesem Material Schlüsse dafür zu ziehen, was die Klimabewegung in einem der reichsten Länder der Welt wie Österreich tun kann. Klar ist, dass der Abbau der Verkehrsemissionen hier oberste Priorität hat. Selbst wenn die Klimapolitik sonst konsequent wäre, würde der Verkehr dafür sorgen, dass Länder wie Österreich und Deutschland lange über 2050 hinaus große Mengen CO2 emittieren. Ein Verzicht aus Sektorziele, wie ihn die deutsche Bundesregierung betreibt, ist also der genau falsche Weg.

Noch deutlicher zeigt die Studie aber, dass ein auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts ausgerichtetes „Entwicklungsmodell“ in Verbindung mit den bestehenden Verkehrs-, Energie- und Industriesystemen in eine katastrophale Zukunft führt. Die Studie geht nicht auf die Macht- und Verteilungsfragen ein, die gelöst werden müssen, um dieses Modell schnell abzuschaffen. Sie stellen sich länderintern, aber vor allem international. Nur wenn das akkumulierte und von wenigen kontrollierte Kapital dazu genutzt wird, in den ärmeren Länder ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, ohne dafür fossile Energien zu nutzen (und die CO2-Senken agroindustriell zu zerstören), gibt es wenigstens eine Chance, der Klimahölle zu entgehen.

tberg, red, APA. 2024. “Weltwetterorganisation Zeichnet Düsteres Bild Vom Klima Des Letzten Jahres – Natur – derStandard.de › Wissen Und Gesellschaft.” Der Standard, March 19, 2024. https://www.derstandard.de/story/3000000212370/weltwetterorganisation-zeichnet-duesteres-bild-vom-klima-des-letzten-jahres.
Vashold, Lukas, and Jesús Crespo Cuaresma. 2024. “A Unified Modelling Framework for Projecting Sectoral Greenhouse Gas Emissions.” Communications Earth & Environment 5 (1): 139. https://doi.org/10.1038/s43247-024-01288-9.

Ein Kommentar zu “Erste Lektüre: „A unified modelling framework for projecting sectoral greenhouse gas emissions“

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