Ich lese gerade Clay Shirks Here Comes Everybody. Ich empfehle das Buch jedem, der sich für die gesellschaftlichen Folgen des Internets interessiert.
Shirkys Ausgangspunkt ist, dass das Internet drastisch die Kosten reduziert, die für die Bildung und Organisation von Gruppen anfallen. Mit Kosten
ist nicht nur finanzieller Aufwand gemeint, sondern auch Aufmerksamkeit und Zeit. Clay popularisiert Yochai Benklers Analyse der Netz-Ökonomie: Das Netz ermöglicht, dass neben Märkten und Hierarchien ein dritter Typ von Organisationen entsteht, in denen Menschen ohne unmittelbare wirtschaftliche Interessen kollektiv handeln.
In dem Kapitel Everyone is a Media Outlet
stellt Shirky dar, welche Folgen es für den Journalismus hat, dass Medien nahezu kostenlos produziert und vertrieben werden können. Man übertreibt nicht, wenn man das Ergebnis so zusammenfasst: Der Journalismus wird das Internet nicht überleben. Er ist an die technische und ökonomische Infrastruktur der Industriegesellschaft gebunden. Als Journalist oder Journalistin kann man sinnvoll nur Menschen bezeichnen, deren Arbeit von einem Verlag oder Medienhaus veröffentlicht wird. Das Netz macht Verlage und Medienhäuser (englisch: media outlets) überflüssig. Damit löst sich der Journalismus als Profession auf.
Drei Gedanken unterhalb dieser allgemeinen These notiere ich mir. Sie sind nicht ganz neu, aber sie werden selten so stringent formuliert wie von Shirky:
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Die Medienwirtschaft, wie wir sie bisher kennen, hängt von der Knappheit an Publikations- und Distributionsressourcen ab. Es war teuer, Medien zu produzieren, und es war noch teurer, Medien unter die Leute zu bringen. Die Ressourcenknappheit war der Grund und auch die Legitimation dafür, dass eine Profession, eben die Journalisten, kontrollierte, was überhaupt publiziert wurde. Letztlich ist auch das journalistische Ethos, die besondere Verantwortung der Journalisten daran gebunden, dass sie Zugang zu knappen und teuren Ressourcen haben.
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Wie jede Profession definieren auch die Journalisten ein eigenes System von Normen und Standards; sie erfüllen ihre gesellschaftliche Funktion z.T. sogar gerade dadurch, dass sie sich ihre Regeln selbst geben. Dies Autoreferentialität, die Orientierung der Arbeit an der eigenen sozialen Gruppe, nicht nur an der allgemeinen Öffentlichkeit, kann heute von einer Stärke zu einer Schwäche werden. Sie erschwert es, die technischen und ökonomischen Veränderungen wahrzunehmen, die die Existenz der Profession in Frage stellen.
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(zum Stichwort unbundling): Die Ressourcenknappheit ist die Ursache dafür, dass in journalistischen Produkten Inhalte miteinander verbunden werden, die nichts miteinander zu tun haben: Kulturberichte, Horoskope und Kleinanzeigen. In Print- und Broadcastformaten wird zusammengepackt, was sich zusammen vertreiben und verkaufen lässt. Diese Kombinationen werden überflüssig, wenn die Kosten für die Distribution gegen Null gehen.
Shirky ist anders als viele Autoren, die sich mit dem Web beschäftigen, nicht einfach ein Idealist. Er orientiert sich an ökonomischen und gesellschaflichen Fakten, die er theoretisch durchdringt. Dennoch gelingt es ihm, ein populäres Sachbuch zu schreiben, das keine Fachkenntnisse und nur minimales Wissen über das Internet vorausetzt. Ich hoffe, dass das Buch bald ins Deutsche übersetzt wird: Es könnte vielen, die das Internet noch immer nicht ernst nehmen, zeigen, wie dramatisch und unausweichlich die Folgen des Netzes für Gesellschaft und Wirtschaft sind.
…das klingt sehr spannend. Ich schreibe gerade einen Artikel über „Politische Kommunikation 2.0“. Werde zumindest die Frage stellen, was mit der Politik passiert, wenn das Internet den (zumindest herkömmlichen) Journalismus nicht überleben sollte. Habe schon ein Statement aus deinem Weblog dafür zitiert! Tolle Informationsquelle. Vielen Dank! David
Da bin ich gespannt – und hoffe auf eine Session mit dir beim Politcomp 😉