Martin Lindnder hat fast verblüfft eine Erfahrung beim Lernen im Web beschrieben
unfassbar, wieviel man im Sozialen Web in kürzester zeit lernen kann, wenn es aktuelle themen sind und man ein bisschen nach dichteren diskurs-stellen sucht.
»Hotspots« nennt Martin die dichteren Diskursstellen.
Markus Spath hat Martin Lindners Statement relativiert und darauf hingewiesen, dass die schnellen Lernprozesse im Web es eher erschweren können, sich einen existierenden »body of knowledge« anzueignen. Andererseits spricht Spath von den
supereffiziente[n] lernknoten, auf denen sich in echtzeit wissens- und erkenntnisprozesse intensivieren an denen sich der Wissensaustausch und der Wissenaufbau rasend schnell vollziehen.
Ich habe diese beiden Statements bei Instapaper zufällig in der Nähe von einigen Artikeln über Crowdsourcing, Liquid Journalism
und neuen Wissenschaftsjournalismus gespeichert. Aber gibt es nicht auch einen inneren Zusammenhang? Gehört es nicht zu den Aufgaben des Journalismus, Wissen über neue Gegenstände zu verbreiten, also ein Wissen, das es vorher gar nicht gab? Auch Journalistinnen schreiben vielleicht am wirkungsvollsten, wenn sie etwas vermitteln, das sie sich selbst gerade aneignen, so wie die Lehrer und Mitlerner, von denen Martin Lindner spricht:
ein javascipt-tutorial von jemand, bei dem man spürt, dass sie/er es gerade #jetzt begriffen hat, ist viel wirkungsvoller als eine (auch didaktisch gute) erklärung von wissenden. das war übrigens auch in guten uni-seminaren so.
Diese Art journalistischer Arbeit findet damit in einer Zone statt, in der Wissen nicht schon vorhanden ist, sondern erst erzeugt wird. Wir sehen das bei Berichten über Themen wie die arabische Revolution oder die Finanzkrise. Das Wissen der Handelnden und das Wissen der Journalisten sind hier begrenzt, vielleicht sogar extrem begrenzt, und die Journalistinnen arbeiten an den Grenzen dieses Wissens.
Das Netz bietet die Möglichkeiten, die es nie vorher gab, Wissen mit hoher Geschwindigkeit gemeinsam mit anderen zu erweitern. Crowdsourcing ist dafür nur ein Beispiel. Ein weiteres ist informierter Wissenschaftsjournalismus, der in Kooperation von Wissenschaftlern und Journalisten entsteht. Experten, Journalisten, die Leute, über die die Journalisten berichten und die Leute, für die Journalisten berichten, erweitern ihr Wissen gemeinsam. Die Rolle der Journalisten verändert sich. Sie stehen nicht mehr zwischen den Wissenden auf der einen und den Unwissenden auf der anderen Seite. Sie verbinden Wissensquellen miteinander und moderieren öffentliches Lernen.
Für mich stellt sich die Frage, ob diese neue Form kollaborativer Arbeit an den Grenzen des Unbekannten nicht die bekannten journalistischen Formate viel radikaler sprengt, als es die bereits viel diskutierten Formen des Prozess- und des Linkjournalismus tun. Bisher habe ich journalistische Formate, wie sie z.B. Jeff Jarvis in Replacing the Article fordert, vor allem als neue Formen verstanden, die aber ähnliche Funktionen haben wie Artikel und Geschichten bisher. Kollaborative Formate, die auf der einen Seite zeigen, was man gerade nicht weiß, welche Informationen fehlen, und es auf der anderen Seite Teilnehmern erlauben, das Wissen in Echtzeit zu erweitern, müssen anders aussehen. Sie müssten z.B. Informationsströme aus verschiedenen Quellen miteinander verbinden. Letztlich müssten sie, wie immer man sich das vorstellen kann, um die Hotspots, an denen Wissen entsteht, herum organisiert sein und Verknüpfungen zu Primärquellen bieten. Ich hoffe, dass ein Projekt wie Lux zeigen wird, wie das konkret geschehen könnte.
Spannend! Danke für den gelungenen Blogpost – sehr inspirierend. Schöne Grüße, Stefan Heijnk
ich habe das da selber noch nicht auf journalismus angewandt, sondern eher auf lehren/lernen/studieren, aber du hast natürlich recht.
lustiger weise ist aber gerade zeitlich parallel dazu, wiederum auf g+, eine initiative entstanden, die auf einen dynamischen, an diskurs-hotspots orientierten post-journalismus hinaus will. das ideal ist, das systematisch zu verstärken und in eine plattform hinein zu „designen“. (als nachfogeprojekt zu carta.)
ausgangspunkt ist eben die beobachtung, dass das in den gelungensten fällen eben spontan im netz bereits passiert. so etwas geschieht typischer weise tatsächlich in diskursiv verdichteten ökosystemen, aber erfahrungsgemäß genügt da schon eine handvoll aktiver leute (und etwas das dreifache als „resonanzkörper“), um einen „hotspot“ zu schaffen.
da müsste man IMHO tatsächlich systematisch weiterdenken, wie man das systematisieren könnte.