Ich habe überlegt, ob ich dieses Post Inhalt ohne Interface nennen sollte. Aber es geht mir nicht um Interfaces als solche, sondern um die verschiedenen Kästen, in denen wir im Web Inhalt unterbringen, und die wir dann zu Websites zusammenstapeln.
Ich glaube, dass wir für unsere Inhalte im Web immer weniger Rahmen brauchen. Es reicht, Text, Bilder oder andere Inhalte zu publizieren und die Kontroll- und Navigationselemente in diesen Inhalten selbst unterzubringen. Roy Fielding:
When I say hypertext, I mean the simultaneous presentation of information and controls such that the information becomes the affordance through which the user (or automaton) obtains choices and selects actions. Hypermedia is just an expansion on what text means to include temporal anchors within a media stream; most researchers have dropped the distinction.
Ich komme auf diesen Gedanken, weil ich einige Texte gelesen habe, die sich alle vom herkömmlichen Modell der Website als einer Art von Inhaltslager distanzieren. Ihre Aussagen und Ansatzpunkte sind völlig unterschiedlich. Aber sie sind alle interessant, wenn man über die Frage nachdenkt, wie man Webdesign als Inhaltsdesign angehen kann. Vielleicht sollte es heißen: als Inhalts- und Dialogdesign.
In How to Bake Content Strategy into Your Web Design Process beschreibt James Deer, wie man den kompletten Designprozess einer Website ausgehend von der Content-Strategie organisieren kann. Er orientiert sich wie alle Vertreterinnen der Content-Strategie an Artefakten und Tools. Diese Tools—eines, GatherContent, hat er selbst entwickelt—sind alle direkt auf die Arbeit mit den Inhalten bezogen. So werden Sitemaps aus Content Maps abgeleitet.
Our New Shrines von Craig Mod gibt keine praktischen Handlungsanweisungen. Mod beschreibt ein Startup, das über eine in wenigen Minuten erstellte Facebook-Seite Millionen von Followern erreicht. Der Angelpunkt seiner Überlegungen ist, dass im Web die Hüllen, in die man die Inhalte steckt, bedeutungslos werden. Die Community muss entwickelt werden, bevor man sich damit beschäftigt, in welche Schreine man die Inhalte packt:
We’ve spent a lot of time building shrines first and audience second. The most important asset of a contemporary publisher is strong community. What if you focused on that, first?
Die Publikationsformate—Blog, Magazin, Zeitung, Soziales Netzwerk—gehen ineinander über, sie sind austauschbar. Relevant sind nur noch die inhaltlichen Unterschiede:
Differences in types of content are now largely semantic.
Mod kommt zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie Anil Dash in Stop Publishing Web Pages. Bei Dash ist es allerdings eher die Entwicklung von Hard- und Software, die die herkömmliche Website obsolet macht. Inhalt wird in Streams konsumiert, die von den Unsern mit unterschiedlichen Applikationen und auf verschiedenen Geräten sortiert und strukturiert werden. Wie diese Streams, die jede hierarchische Ordnung unterlaufen, inhaltlich organisiert werden, kann nicht mehr der Publisher bestimmen.
Thomas Pleil wendet sich in Corporate Websites: Ungenutzte (Dialog-)Potenziale? nicht gegen das Modell der Website, aber gegen ein Modell von Websites, das von den meisten großen Organisationen und Unternehmen nicht in Frage gestellt wird: Websites werden vor allem für statische Informationen benutzt; in ihnen spricht das Unternehmen, aber es spricht nicht mit seinen Bezugsgruppen. Auf Studien gestützt und sehr sorgfältig argumentiert Pleil dafür, Websites für Interaktion und Dialoge zu öffnen, statt diese peripheren Social Media-Outlets zu überlassen.
Für mich verbindet diese vier Texte, dass sie Publikationen im Web explizit nicht als Schreine verstehen, in denen Inhalte unterzubringen sind. Die Autoren fordern, Webkommunikation von den Inhalten, den Dialogen und der Interaktion her zu verstehen. Alle vier Texte zeigen, dass es alles andere als trivial ist, jenseits der gewohnten Metaphern für Websites und Webdesign zu denken.
Zum Schluss ein Hinweis auf einen weiteren Text, der sich zwar nicht mit Webinhalten beschäftigt, aber in seiner Weise mit dem Interface als Schrein: The best interface is no interface, heisst es im Blog der kalifornischen Designfirma Cooper. Sehenswerter Beispiele belegen diesen Satz. Die Texte von Deer, Mod, Dash und Pfeil enthalten Argumente dafür, dass er auch für das Interface Website gilt.
Ich bin jetzt nicht dazu gekommen deinen Links zu folgen – aber dein Artikel allein bietet da schon einige Gedankenansätze.
Sorry, wenn ich hier wieder auf app.net zu sprechen komme. Ich müsste wohl mehr erwähnen, aber in dieses Service bin ich eben im Moment etwas vertiefter.
Es scheint mir nämlich genau dieser Ansatz zu sein. Jedes einzelne Posting steht für sich allein und wird in das Netz geschickt (Text, ev. mit Fotos, Landkarten, Videos, Links,…). Ob er jetzt auf einer aggregierenden Website auftaucht oder in einer App – ich kann es dann nicht mehr steuern und voraussagen. Auch die aggregierende Website kann entweder all meine Postings sammeln, nur die mit einem speziellen Tag oder nach einem ganz anderen Muster.
Schlussendlich könnte auch meine eigene Website (und die wäre dann kaum mehr statisch zu nennen) je nach Nutzerbedürfnis meine Postings unterschiedlichst gruppieren, auswählen oder darstellen.
Und eventuell ist es gar nicht mehr mein Text/Posting das die Seite schafft. So bestehend ja auch schon Dienste, die nur die Links aus Tweets auslesen, diese Seite aufrufen und daraus eine „Nachrichtenseite“ erstellen.
Andererseits: Wenn sich das alles auflöst wird vielleicht das Bedürfnis stärker auch einen Ort (mein Blog?) zu haben, an dem die Darstellung bzw. die Ordnung meiner Postings wieder so stattfindet, wie ich es gerne möchte. Das Blog ist dann ev. nicht mehr der Ort der Entstehung von originären Texten, aber es ist der Ort der selbstbestimmten Darstellung.
Danke, das geht genau in die Richtung, in die ich auch denke! Ein gutes Beispiel ist Medium. Wenn ich es richtig verstehe, kann man dort einfach posten, und aus den Posts können ganz unterschiedlich Collections entstehen. Das einzelne Post braucht Metainformationen und ein Permalink, aber es kann ganz unterschiedlich in Sammlungen eingebunden werden. Mir schwebt immer vor allem diese Seite vor: https://medium.com/p/9e53ca408c48. (Ich versuch das, wie gesagt, bei meinem Blog zu imitieren – was aber nicht einfach ist.) Ich glaube auch, dass dann das eigene Blog so etwas wie die persönliche Sammlung des Contents wird, aber das durchaus andere Sammlungen möglich sind. Mir fallen da auch die Readlists ein, die man jetzt mit Readability machen kann http://readlists.com/.)
Danke für den Hinweis auf Medium 🙂