Zwei Graduierungsreden an renommierten amerikanischen Journalismus-Schulen: Barbara Ehrenreich begrüßt die Absolventen der Berkeley’s Graduate School of Journalism: Welcome to a dying industry, journalism grads!. Nicholas Leman stellt bei der Graduierung der Columbia Journalism School fest:

This sudden and dramatic change has generated a big, urgent conversation about the need for a “new business model” for news production. That conversation is important, but it isn’t all-important. There is a subtler but no less pressing need for a different kind of conversation, which will take place in a wider realm, about our purpose—what we do and how we interact with other elements in society.

Ich verfolge die Diskussionen über den Journalismus in den USA seit Jahren. Trotzdem überrascht mich, wie radikal dort am Ende der Ausbildung alles in Frage gestellt wird, was bisher über den Journalismus gesagt wird. Dabei verstärken sich die Wirtschaftskrise, deren Ausmaß immer deutlicher wird, und das Internet wechselseitig: Journalismus kann sich nicht mehr so finanzieren wie bisher, und zugleich verändern sich seine Rolle und seine Formen radikal. Wer heute Journalist wird, weiß weder, wovon er in Zukunft leben wird, noch wie seine Arbeit aussehen wird.

Barbara Ehrenreich reagiert auf diese Situation mit einer Partisanenmentalität:

As long as there is a story to be told, an injustice to be exposed, a mystery to be solved, we will find a way to do it. A recession won’t stop us. A dying industry won’t stop us. Even poverty won’t stop us because we are all on a mission here. That’s the meaning of your journalism degree. Do not consider it a certificate promising some sort of entitlement. Consider it a license to fight. In the ’70s, it was gonzo journalism. For us right now, it’s guerrilla journalism, and we will not be stopped.

Das ist glänzend formuliert, klingt aber essentialistisch, als gäbe es ein gleichbleibendes Wesen des Journalismus. Guerilla-Journalismus mag die Antwort auf die Krise sein, aber Guerilleros kämpfen mit anderen Zielen als übliche Soldaten; sie brauchen eine Bevölkerung, die sie trägt und enden als Attrappen, wenn sie sich für regulär ausgeben.

Mit gefällt Lemans gelassenere, aber radikalere Haltung besser. Journalismus ist neu zu definieren:

You will not only have to reinvent journalism, you will also have to reinvent the conversation about journalism, making it less internal to the profession, and more interactive with the rest of society. That’s an enormous job; I wonder whether any generation of journalists has had a more momentous mission than yours. But, to me, and I hope to you too, it sounds like fun.

Wie verhalten wir uns hier in dieser Situation? Wer glaubt, dass uns diese Krise erspart bleiben wird?

4 Kommentare zu “Journalismus am Nullpunkt

  1. Ehrenreichs „Idealismus“ ist gut für die Motivation, aber der Ansatz von Leman scheint mir realitätsnäher. Die Rolle des Journalismus wird sicher nicht „intern“ neu definiert, sondern als Aushandlung mit den Stakeholdern. Was wohl auch die Frage ein wenig beantwortet, ob uns die Krise erspart bleiben wird. Auf gut Österreichisch: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.

  2. Ich denke, diese Krise ist schon da. Hier in Deutschland kann man Sie schon sehr sehr deutlich spüren. Klar ist, dass das alte Geschäftsmodell des Verlags vorbei ist. Wir müssen, glaub ich, Journalismus in vielen Punkten neu denken:
    * Geschwindigkeit
    * Gesellschaft
    * Geld
    * Geistiges Eigentum
    * Perfossionalität
    * Darreichung
    * Interaktion
    * Beziehung
    Denke auch, dass die Reformen (Revolutionen?) nicht aus den Verlagen kommen können, weil die einfach nicht die Kompetenz und den Mut haben, dinge radikal zu verändern. Ich glaube das ist erst möglich etwas neues Aufzubauen, wenn das alte System in Trümmern liegt.

  3. Die Geschehnisse des heutigen/gestrigen Tages machen für mich eines klar: Wer heute mit Journalismus beginnt, sollte sich auch gleich die Mechanismen des „Self Publishings“ aneignen.

  4. lieber Heinz,
    wollte schon beim ersten mal lesen dieses eintrags die these aufstellen, dass der journalismus zu wesentlichen teilen deswegen darnieder liegt, weil „er“ sich über jahre und jahrzehnte vor aller augen korrumpiert hat.
    Und ich wollte damit die frage an Dich als beobachter verbinden, ob es in den usa denn irgendeine ernstzunehmende aufarbeitung der verbrechen des journalismus gibt?
    Womit ich z.B. und exemplarisch die rolle vor, für und im irak-krieg meine. Womit ich z.B. exemplarisch die aktive mittäterschaft meine, die das system der massenmedien für das deregulierte finanzsystem eingenommen hat.
    Ich glaube, dass die branche und profession ohne eine groß angelegte und tiefgreifende aufarbeitung der eigenen rolle nicht wieder auf die beine wird kommen können. Aber gibt es irgendwelche anzeichen für so etwas?
    Abgesehen von solchen highlights wie jon stewart gegen kramer …
    a propos jon stewart und rolle der medien, der aktuelle anlass für diesen kommentar, das:
    http://www.thedailyshow.com/video/index.jhtml?videoId=228987&title=corporate-synerjoe
    lg

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