Auf der Rückfahrt von einem Verwandtenbesuch habe ich am Freitag in Wuppertal Astrid Christofori getroffen und mit ihr ein paar Stunden über Social Media-Kultur gesprochen. Ich habe Astrid erst im Oktober auf dem Coscamp in Dieburg (Hashtag: #cosca14) kennengelernt. Dort haben wir eine fast spontane Session über Rollenbilder von Content-Strategen und BarCamp-Besuchern veranstaltet1.
Ich habe damals wohl nicht wirklich verstanden habe, warum Astrid die Idee zu dieser Session hatte—ich war selbst ganz auf das Thema Content-Strategie fixiert. Gestern habe ich dann besser begriffen, dass es ihr um die Situation von Leuten ging und geht, die bei einem BarCamp auf ein ihnen neues Thema stoßen oder in eine neue Situation geraten. Eigentlich ist ein BarCamp genau dafür gemacht, etwas Neues, Unerwartetes kennenzulernen-um ein Modewort zu benutzen: für Serendipity. Treffen sich aber dabei Routiniers—eines BarCamps, eines Themas oder sogar Routiniers von BarCamps zu einem Thema—dann erschweren sie meist denen den Zugang, die zum ersten Mal mit diesem Thema in Berührung kommen. Sie knüpfen an einen Diskurs an, der schon lange läuft, und sie positionieren sich in diesem Diskurs, statt Fragen zu stellen. Astrid wollte diskutieren: Wie kann man diese Abschließung verhindern, wie kann man ein BarCamp, vor allem ein thematisches BarCamp, für Leute offen halten, denen das Thema oder das Format neu sind? Eine ihrer Ideen: Einige der alten Hasen bieten sich als Paten an und signalisieren, z.B. durch einen Button, dass sie sich gerne um Anfänger kümmern. Auch unsere Session selbst sollte diesen Charakter einer Einführung haben—einer Einführung in einen Kommunikationsstil— und diesen Kommunikationsstil in eine Beziehung zu den Rollenerwartungen auf BarCamps setzen.
Man kann die Frage vielleicht auch anders formulieren: Wie kann man durch Kommunikationskultur einen niederschwelligen Zugang zu einem Thema sicherstellen? Diese Niederschwelligkeit ist nicht nur wichtig, um Wissen gerecht zu verbreiten und nicht einige Wissende zu privilegieren. Vor allem erlaubt sie Diskussionen zwischen Leuten mit unterschiedlichen Perspektiven, aus denen oft eher etwas Neues entsteht als aus dem Austausch von Argumenten und Positionen, die den Teilnehmern schon bekannt sind. Nur in der Distanz zu den eigenen Positionen hat man die Chance, die more beautiful question zu finden, die dann zu tatsächlich neuen Antworten führt.
Astrid hat in unserem Gespräch eine Brücke zu einem ganz alten und vergessenen Austauschformat geschlagen: zu den Salons des 18. und 19. Jahrhunderts2. Die Kunst der Gastgeber und auch der Teilnehmer von Salons habe darin bestanden, neue Mitglieder, z.B. Leute auf der Durchreise, einzuladen, in die Gespräche einzubeziehen und vor allem sie dazu zu bringen, selbst etwas beizutragen. Die besten BarCamps, an die ich mich erinnern kann, lebten von einer ähnlichen Kultur der Gastfreundschaft. Wir sollten—nicht nur, wenn wir BarCamps veranstalten—darüber nachdenken, wie wir durch Gastfreundlichkeit Räume für Gespräche öffnen können.


  1. Ausführlicher Bericht zu der Session von Manuela Seubert: Rollenbilder in der Content Strategie (Session-Rückblick #cosca14) | Seubert PR 
  2. Was mich an ein anderes noch nicht gelesenes Buch erinnert hat:
    Writing on the Wall: Social Media – The First 2,000 Years 

7 Kommentare zu “BarCamps, Salons und Gastfreundschaft

  1. Das ist ein interessanter Artikel. Vielen Dank, Heinz!
    Ich wünschte schon vor 20 oder 30 Jahren, die Salons des 18. Jahrhunderts wieder aufleben zu lassen und beabsichtigte, selber einen Salon zu gründen. Die Barcamps der heutigen Zeit kommen meinem Wunsch entgegen und erfüllen meine Erwartungen weitgehend.
    Es geht mir um periodisch stattfindende Gesprächsrunden, an denen Altbekannte und Neue ungezwungen teilnehmen können und eingefahrene Themen, aber ungeniert auch neue Ideen diskutieren.
    Jede Reglierung und Instituitionalisierung wäre mir aber zuwider. Batches und Göttirollen sind eine gute Idee, beeinträchtigen meines Erachtens aber die UNgezwungenheit, von der ein BarCamp lebt.
    Ich freue mich, an einem BarCamp alte Bekannte zu treffen. Ich möchte durchaus auch „eingefahrene“ Themen besprechen können, ohne ein schlechtes Gewissen „Unwissenden“ gegenüber haben zu müssen. Es muss ihnen aber zu jeder Zeit möglich und gestattet sein, sich in das Thema hinein zu fragen (vielen Dank übrigens für den Buchtip „Die Kunst des klugen Fragens“ von Warren Berger; habe es sogleich bestellt).
    An einem BarCamp müsste niemand auf niemand Rücksicht nehmen müssen, sollten Teilnehmende und Veranstaltende auch unvorbereitet sein dürfen, sollten spontane Sessions möglich sein, sollten ausser den OpenSpace-Regeln keine weiteren empfohlen sein und sollten keine persönlichen Unterscheidungen vorgenommen werden. Alt/jung, Frauen/Männer, Routiniers/Neulinge, Unwissende/Wissende – solche Kategorien empfinde ich auf einem BarCamp als kontraproduktiv.

  2. Prinzipiell bin ich sehr dafür, „Newbies“ besser einzubinden.
    Aber ob so ein Button der richtige Weg ist, weiß ich nicht. Das hat gleich wieder etwas von „Sonderrolle“, die ich auf Barcamps immer versuche zu vermeiden um die Augenhöhe zwischen den Teilnehmern sicherzustellen. Das kippt im Zweifelsfall schnell in ein „erfahrene Teilnehmer“ und „unerfahrene Teilnehmer“, was psychologisch dazu führen kann, dass man sich als Newbie als Teilnehmer zweiter Klasse fühlt. Dann hätte man das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
    Vielleicht sollte man aber dazu anregen, die neuen im persönlichen Gespräch mitzunehmen oder diesen mehr klar machen, dass sie jeden(!) anderen alles Fragen können und sich von ihm helfen lassen können.
    So ein Element habe ich in jeder meiner Barcamp-Eröffnungen schon drin, aber vielleicht sollte ich das mal noch überarbeiten.

  3. Für die Newbies haben wir schon viel ausprobiert: Extra Newbie-Sessions am Freitagabend/Vorabend, Newbie-Session direkt nach der Sessionplanung, Patenschaften… War alles nicht wirklich produktiv… Beim Tourismuscamp und Castlecamp sind bei der Sessionplanung zunächst die Newbies aufgefordert, Ihre Sessions anzubieten. Klappt ganz gut!
    Wir haben auch schon angedacht, die Sessions zu kennzeichnen, ob sie für Anfänger, Fortgeschrittene oder Profis in einem Themengebiet sind…
    Ansonsten kann ich nur sagen: Fragen stellen, Fragen stellen, Fragen stellen. Wenn man eine Abkürzung nicht kennt, fragen! Wenn man etwas nicht versteht, fragen! Das ist ja das schöne am Barcamp: Man kann mit dem Session haltenden kommunizieren. Und wenn man gar nichts kapiert – ich sag nur ‚papperlapapp‘ – dann kann man immer noch raus gehen… Barcamper beißen nicht! Wirklich nicht!

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