Ich habe gestern gestern auf ein Interview mit Christian Drosten (Stollorz, 2020) hingewiesen. Mich interessieren an diesem Interview die Aussagen zur Wissenschaft, aber noch mehr die zum Journalismus. Welche Aufgaben hat Journalismus im Verhältnis zur Wissenschaft?
Für die Position, die Drosten und Volker Stollorz herausarbeiten, ist charakteristisch, dass es keinen für alle gleich direkten Zugang zu Tatsachen gibt. Darin widerspricht sie grundlegend einer Ideologie, die einerseits der größte Teil der kommerziellen traditionellen Medien verbreitet, und die sich in anderer Form auch in den sozialen Medien durchgesetzt hat: Es bestehe kein grundlegender Unterschied zwischen Meinungen und Aussagen über Fakten, und jeder Mensch habe grundsätzlich das gleiche Recht darauf, dass seine Meinung respektiert werde.
Drosten fordert, dass Wissenschaftler sich öffentlich nur zu Themen äußern, in denen sie ausgewiesene Fachleute sind. Er würde sich als Spezialist für Coronaviren nicht einmal zu mit seinem Fachgebiet nah verwandten Themen, z.B. zu Herpesviren, äußern. Zu dem Wissenschaftskonzept hinter diesen Äußerungen gehört, dass eine wissenschaftliche Gemeinschaft Erkenntnisse validiert und einen bestimmten Kenntnisstand feststellen kann, und dass es in dieser Gemeinschaft Gruppen von Fachleuten gibt, die zu ganz bestimmten Themen forschen. In diesem institutionellen Rahmen kann man von wissenschaftlichen Fortschritten sprechen.
(In diesem und ähnlichen Zusammenhängen fällt mir öfter eine Äußerung von Isabelle Stengers ein, die ich leider bisher nur aus einem Interview (Van Reeeth, 2020) kenne: Wissenschaft sei nicht durch einen mysteriösen besonderen Zugang zur Wahrheit gekennzeichnet, sondern dadurch, dass sie herausfindet, auf was sich grundsätzlich alle einigen können.)
Die Aufgabe des Wissenschaftsjournalismus ist anders als die der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Im Wissenschaftsjournalismus kann man nur über Erkenntnisse und Forschungen berichten, über deren Validität in der Wissenschaft selbst entschieden wird. Wissenschaftler*innen und Journalist*innen sind aber, so verstehe ich das Interview, gemeinsam dafür verantwortlich, dass die Gesellschaft faktenbasiert handelt. Drosten sagt, dass er sich nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie bewusst für eine Intervention entschieden habe, denn der einzige Schutz vor dem Sars-2-Virus bestehe in einem adäquaten Handeln der Gesellschaft. Bei dieser Intervention arbeitet er mit Journalist*innen zusammen, und in dieser Vermittlung der Forschung bestehe ein eigener Verantwortungs- oder notwendiger Tätigkeitsbereich neben der wissenschaftlichen Forschung. Zu dieser Tätigkeit gehöre auch, dass Journalist*innen überprüfen, auf welche Forschungen sich Aussagen von Menschen stützen, die in der Öffentlichkeit mit wissenschaftlichem Anspruch auftreten (Talkshow-Professoren).
Das Interview hat den Untertitel So etwas wie eine Meinung gibt es eigentlich in der Wissenschaft nicht, und dieser Satz gilt, wenn man den Aussagen Drostens und seines Interview-Partners folgt, auch für den Journalismus: Die Aufgabe von Journalistinnen und Journalistinnen besteht nicht darin Meinungen zu vertreten, und auch nicht darin—das finde ich viel wichtiger—über Meinungen zu berichten (he said, she said-journalism) und sie ungeprüft zu verbreiten, sondern darin, über erforschte Tatsachen zu informieren, Fakten in der Öffentlichkeit verständlich zu machen und falsche Ansprüche auf Wissenschaftlichkeit kritisierbar zu machen. In der Wissenschaft und im Journalismus können sich Menschen also engagieren, aber nicht für Meinungen, sondern für gesellschaftliches Handeln, das sich an Tatsachen orientiert.
Hinter der Orientierung an Tatsachen und ihrer Erforschung kann eine ethische Haltung stehen—vielleicht steht sie sogar immer dahinter. Aus dieser Haltung ergibt sich die Aufgabe, die Öffentlichkeit zu informieren. Damit vertreten aber weder Wissenschaftler*innen noch Journalist*innen selbst eine Meinung, die man durch andere Meinungen, die alternative facts, relativieren müsste (indem man also z.B. über Klimaleugnung ebenso berichtet wie über die Ergebnisse der Klimaforschung).
Mir hilft dieses Interview, meine eigene Position besser zu bestimmen. Der Arbeit an einer Hochschule (wo ich noch tätig bin) und in der Content-Strategie (deren Ziel Information der Öffentlichkeit ist) sollte keine andere Haltung zu Grunde liegen als die, die in dem Gespräch zwischen und Christian Drosten zum Ausdruck kommt.
Ja. Sehe ich ähnlich