Maël Roth hat sich neulich auf Facebook knapp und deutlich gegen die Kritik an den sozialen Medien gewendet, die inzwischen zur einem Thema der Hauptnachrichten geworden ist. Ich habe selbst in der letzten Zeit auch einiges dazu geschrieben, und ich kann noch nicht sagen, dass ich zu einer eindeutigen Position gefunden habe. Ich habe mich jetzt pragmatisch erst einmal dafür entschieden, bei allen meinen mobilen Geräten Facebook und auch den Facebook Messenger zu löschen. Auf dem Computer verwende ich den Facebook Container von Mozilla. Ich verhindere also, dass Facebook Daten über mein Surfverhalten bekommt, und, was mir noch wichtiger ist, ich komme gar nicht in Versuchung, ständig auf jedem Gerät in meinen Facebook-Newsfeed zu gehen. Ich bin schon vor einiger Zeit dazu übergegangen, kurze Posts nicht über Facebook zu schicken, sondern über mein Microblog, von wo sie dann automatisch (oder manchmal auch manuell) auf Facebook weitergeschickt werden.

Maëls Posting erweckt den Eindruck, Social Media und Plattformen wie Facebook, LinkedIn und so weiter seien dasselbe. Vielleicht rede ich jetzt als ein sehr alter Social Media Nutzer, und vielleicht bin ich auch inzwischen nostalgisch: Aber ich kann mich gut an eine Zeit erinnern, in der man soziale Medien ohne Facebook betrieben hat. Ich habe 2006 etwas zum Begriff der "People Centered Navigation" gepostet, auf den ich durch Ton Zijlstra gekommen bin. Damals hat man vor allem über Blogs intensiv miteinander kommuniziert und sich vernetzt—ich würde sagen, zum Teil intensiver, als es über Facebook üblich ist.

Ich versuche meine Gedanken zu ordnen, und ich werde dabei nicht referenzieren, was man eigentlich referenzieren müsste. Mein erster Gedanke: Zu glauben, dass Facebook sich jetzt aufgrund des Cambridge Analytica-Skandals grundlegend wandeln würde, ist naiv. Facebook hat sich bei eingreifender Kritik an seiner Geschäftspolitik nie anders als reaktiv verhalten. Das hängt nicht damit zusammen, dass Facebook als solches eine böse Firma ist, sondern es ergibt sich einfach aus dem Geschäftsmodell von Facebook. Facebook lebt davon, Daten über seine Nutzer weiterzuverkaufen, denn nichts anderes findet statt, wenn personalisierte Werbung geschaltet wird. Diese Werbung ist als solche von den Usern nicht gewollt, sondern sie wird in der Regel einfach in Kauf genommen, weil man sie nicht verhindern kann. Facebook versucht mit allen Mitteln, so genau wie möglich die User zu analysieren, und damit bietet es die Möglichkeit, Werbung—positiv gesagt—extrem zielgenau zu schalten, negativ gesagt: die User so intensiv wie möglich in eine bestimmte Richtung zu manipulieren. Die Möglichkeiten der Manipulation nehmen mit dem zur Verfügung stehenden Werbebudget zu. Das bedeutet: Wer es sich leisten kann, wie in diesem Fall die Leute, die für Trump und den Brexit Kampagnen getrieben haben, kann versuchen, Facebook-User geschickt zu beeinflussen. Dieses ganze Modell widerspricht meiner Ansicht nach der Grundintention des Web, Benutzerinnen und Benutzer, Kundinnen und Kunden in den Mittelpunkt zu stellen und ihnen möglichst viel Freiheit dabei zu geben, Angebote zu nutzen.

Ein zweiter Grund dafür, dass ich Facebook gegenüber grundsätzlich kritisch bin, besteht darin, dass Facebook eine enorme Macht über seine User hat, und dass weder die User noch übrigens die Unternehmen, die Facebook nutzen, dem irgendetwas Gleichwertiges entgegensetzen können. Facebook kann nach eigener Interessenlage, eventuell aber auch aufgrund von politischem Druck, entscheiden was mit seinen Daten passiert, und es gibt so gut wie keine Möglichkeit dagegen zu agieren. Es war und ist extrem naiv anzunehmen, dass die Macht, die Facebook hat, nicht missbraucht werden wird—so wie auch politische Macht immer wieder missbraucht wird. Wer Facebook unterstützt, sorgt dafür, dass diese Macht weiter wächst. Das geschieht auf Kosten von dezentralen, offenen Kommunikationsformen und -strukturen, die weniger leicht für Manipulation verwendet werden können, und bei denen weniger Gefahr besteht, dass Benutzerdaten missbraucht werden. Konkret geht der Machtgewinn von Facebook zu Lasten des offenen oder unabhängigen Web, für das die Entwicklung von Facebook insgesamt bei weitem mehr negative als positive Folgen hatte.

Ein dritter Punkt: Facebook zieht möglichst viele Inhalte auf die eigene Plattform, damit die User dort möglichst lange bleiben. Der Erfolg von Facebook ist damit verbunden, dass immer mehr direkt auf Facebook publiziert wird, und das heißt, dass unabhängige Webangebote eine immer geringere Rolle spielen. Blogs, die vor Facebook eine regelrechte Blüte erlebten, haben massiv an Bedeutung verloren, und vor allem haben sie sich viel mehr klassischen Publikationen mit Artikeln angenähert, während schnelle Diskussionsbeiträge, spontane Äußerungen von Eindrücken, Postings zu Fundstücken im Web und ähnliches alle in den Facebook-Newsfeed oder auch zu anderen sozialen Medien gewandert sind. Das führt zu einer Abhängigkeit von Facebook, es führt aber vor allem auch zu einer immer größeren Monotonie, und es führt dadurch, dass Facebook und andere Plattformen grundsätzlich das bevorzugen, was von möglichst vielen Usern angeschaut und geteilt wird, zu einer Normalisierung—also nicht zu der immer größeren Differenzierung, die durch das offene Web und das freie persönliche Publizieren möglich geworden ist. Diese Entwicklung hin zur Monotonie, zum überall gleichen Newsfeed in derselben eintönigen Farbe stört mich bei Facebook am meisten. Anders als Maël Roth glaube ich, dass Facebook dazu beigetragen hat, die Kontaktmöglichkeiten und die Fantasie im Netz zu begrenzen, wobei ich durchaus weiß, dass Facebook für viele überhaupt erst einen Zugang zur Welt der Online-Kommunikation hergestellt hat.

Facebook tut alles dafür, die Userinnen und User auf seiner eigenen Plattform zu halten, es okkupiert ihre Aufmerksamkeit und drückt alle anderen Angebote in den Hintergrund. Das ist kurzfristig praktisch, natürlich auch für mich, aber es führt zu Verflachung, zu Langeweile und zu weniger Aufmerksamkeit für das Besondere, das sich nicht gleich in Klischees und Hashtags pressen lässt.

Aus allen diesen Gründen wäre es kein Schaden, wenn Facebook verschwinden würde. Und auch wenn Facebook nicht verschwindet—was ja viel wahrscheinlicher ist—ist es sinnvoll, sich für freie, dezentrale Plattform einzusetzen, also für das offene Web. Da ich Lehrer an einer öffentlich finanzierten Hochschule bin, glaube ich, dass ich in noch höherem Maße als andere die Aufgabe habe, das Wissen über diese Publikationsmöglichkeiten zu verbreiten. Auch aus diesem Grunde setze ich mich dafür ein, so intensiv wie möglich Alternativen zu Facebook zu suchen—und das kann ich naheliegenderweise nicht dann, wenn ich selbst intensiv Facebook benutze.

Bedeutet das alles, dass ich grundsätzlich gegen Werbung im Netz bin und dass ich ein nicht kommerzielles Internet möchte? Nein, das bedeutet es nicht. Ich glaube nur, dass die Kontrolle über das, was sie sehen möchten, so weit wie möglich bei den Nutzerinnen und Nutzern liegen sollten, dass sie also gezielt suchen sollten, statt mit Botschaften bombardiert zu werden, die sie sich nicht gewünscht haben. Unternehmen im Internet sollten durch möglichst gute und brauchbare Inhalte überzeugen und auf sich aufmerksam machen, und diese Inhalte sollte man so gut wie möglich finden. Benutzerinnen und Benutzer sollten sie sich gegenseitig empfehlen, was ja die Funktion von Links ist. Davon profitieren vor allem Firmen und Angebote, die nicht bereits über Budgets verfügen, mit denen etablierte Marken sich noch breiter machen können—und das ist letztlich auch wirtschaftlich der sinnvollere Weg.

3 Kommentare zu “Facebook? Nur noch im Container!

  1. Lieber Heinz,

    danke für deinen langen Kommentar in Form dieses Posts, der meinen Gedankengang anreichert :=)

    Ich bin immer dankbar für nuancierte Kommentare und Meinungsverschiedenheiten, denn sofern man offen für die Sicht anderer ist, reichert es auch eigene Meinungen an. :=)

    Einerseits stehe ich zu meiner Meinung, dass soziale Medien einem viel mehr bringen können, als man denkt, wenn man diese Art der Offenheit leben möchte (nicht jeder will es und das ist verständlich). Hierbei beziehe ich mich aber allgemein auf „sozialen Medien“, weniger auf Facebook allein – denn ich halte es auch hier für wichtig, dafür zu sorgen, dass man sich selbst nicht von etwas anhängig macht (und somit manipulierbarer).

    Andererseits gibst du mir zu denken, denn im großen und ganzen stimmt es, dass wenn man es hinnimmt, sich die Normalität immer mehr verschiebt. Ich muss in dem Zusammenhang an das Konzept „Overton Window“ denken (großartig erklärt auf dem Vox YouTube Channel: https://www.youtube.com/watch?v=_v-hzc6blGI). Und gerade das könnte auch beim Thema Daten und Social Media passieren… Bei mir persönlich sehe ich es nicht so kritisch, weil ich schon darauf achte, was mir wann wie angezeigt werden sollte (alles, was Nutzern an Newsfeed-Kontrollmöglichkeiten gegeben wird, nutze ich aktiv) – allerdings ist die Zahl der Nutzer, die eben ihre Medien nicht aktiv gestalten sondern vielmehr passiv konsumieren viel größer…

    Also auf einer persönlichen Ebene bleibe ich auf meinem Standpunkt: Social Media hat mir unglaublich viel gebracht in den letzten Jahren und wird es (hoffentlich) noch. Das bedeutet aber nicht, dass ich die Entwicklung kritisch betrachte und jeden Quatsch mitmachen möchte. Auf einer Gesellschaftlichen Ebene steht es außer Frage, dass sich etwas ändern muss…

    Danke für deinen Post! 🙂

    LG!

    Maël

    • Danke für die Antwort, Maël! Ich wollte nicht soziale Medien al solche kritisieren, und schon gar nicht die Offenheit, die man braucht, um mit ihnen zu leben. Ich kritisiere die monopolistischen Strukturen und das auf Werbung basierende Geschäftsmodell dahinter. Ich will damit auch nicht Firmen wie Facebook verdammen – ich hoffe nur, dass sie den Weg von Compuserve und AOL gehen, und dass sich letzlich das dezentrale Web durchsetzt. Das wird nur mit viel Unterstützung für offene Plattformen wie WordPress und Mozilla gehen.

  2. Ich orientiere mich (wieder) verstärkt auf dezentralisierten tools, zurück zum Ausgangspunkt das Social Media tools nur funktionieren wenn sie ‚kleiner‘ als mich sind (also Kontrolle und Macht bei mir, oder meinen sozialen Umkreis liegen. Punkt 6 in https://www.zylstra.org/blog/2016/08/on-agency-summary-and-my-manifesto/) Die ‚people centered navigation‘ wie ich sie hatte wurde weitgehend zerstört und FB u.a. sind daran weitgehend Schuld. (Paragraph „destructive side of FB“ in https://www.zylstra.org/blog/2018/03/going-semifreddo-turkey-on-fb/ )

    In Gegensatz zu wenn FB ende September 2006 generell und weltweit verfügbar wurde (Also genau an dem Moment als du auf dem Vienna Barcamp Anfang Oktober 2006 mich über people centered navigation reden hörtest), gibt es jetzt nicht nur individuelle tools wie Blogs self-hosted sondern auch die geteilte Platforme die wir 2006 nur zentralisiert zur Verfügung hatten (FB, yasns). Ein Scenario wobei man seine eigene Instanz von irgendeinen tool (zB Diaspora, Mastodon etc, oder ‚Get Together‘ als Meetup-alternative) hosted und einen bestimmten sozialen Umkreis dazu einlädt ist jetzt viel machbarer als 2006. Das bringt diese Platforme näher zum „kleiner als mich“ Kriterium.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.