Können Utopien plötzlich Wirklichkeit werden? […]?—Ja.
Eben habe ich diesen Satz Robert Musils gelesen1. Mir ist dabei eine Bemerkung von Helge Fahrnberger eingefallen:
Das Internet ist das größte bildungspolitische Projekt der Menschheitsgeschichte.
Das Internet ist eine Wirklichkeit gewordene Utopie, und es war der Anlass für die Verwirklichung weiterer Utopien. Linux und die Wikipedia sind zwei der bekanntesten.
Wie das Gegenteil der Haltung aussieht, der das Internet seine Existenz verdankt, zeigt gerade die Aktion Mein Kopf gehört mir des Handelsblattes. Die meisten dieser über 160 Statements zum Urheberrecht sind so flach-falsch wie der Titel der PR-Kollektion. Zum Aufgebot der Vorkämpfer des geistigen Eigentums gehören Paradeintellektuelle wie der ehrenwerte Herr Middelhoff. Dirk von Gehlen hat die wichtigsten Argumente gegen die im Handelsblatt ausgebreiteten Binsenweisheiten angeführt:
- Digitale Kopien lassen sich nicht mehr aus der Welt schaffen.
- Der Kampf für das Urheberrecht der vordigitalen Zeit gefährdet die intellektuelle und kulturelle Produktivität, als deren Verteidung er sich ausgibt.
Mich selbst stört am meisten der borniert-antiutopische Impuls der Handelsblatt-Aktion. Die Möglichkeiten und Potenziale eines kollektiven Handelns, das sich an gemeinsamen statt nur individuellen Vorteilen orientiert, werden schlicht ignoriert. Was realistisch scheint, ist letztlich unrealistisch: Kultur als Ergebnis individuell-ökonomischen Handelns ihrer Teilnehmer. Das Handelsblatt betreibt eine FUD-Kampagne gegen die Möglichkeiten des Netzes: Sie soll mit Fear, Uncertainity und Doubt verhindern, dass das Urheberrecht endlich netzgemäß gestaltet und gelebt wird. Eine Nominierung für den Wolfgang Lorenz Gedenkpreis fuer internetfreie Minuten ist der Aktion sicher.
In Oliver Pfohlmanns Musil-Büchlein findet sich noch ein anderer Satz Robert Musils, über den die „Mein Kopf gehört mir“-Verfechter nachdenken sollten:
Meine Achtung vor dem Leser hat mich gehindert, Erwerbsschriftsteller zu sein.2
1Klagenfurter Ausgabe, 2009, „Transkriptionen und Faksimiles / Nachlass: Hefte“, 19 / 22; zitiert nach Oliver Pfohlmann: Musil, S.84
2Klagenfurter Ausgabe, 2009, „Transkriptionen und Faksimiles / Nachlass: Mappen“, II/1/57; zitiert nach Oliver Pfohlmann: Musil, S.90
100% Zustimmung! Wir haben den Hitchhiker’s Guide to the Galaxy in unseren Händen und ich kann nicht verstehen, dass sich Menschen vor den Möglichkeiten des Internets verschließen und stattdessen nur die paar Raubkopierer sehen wollen.