2005 habe ich ein Buch über Newsfeeds geschrieben. Seitdem habe ich mich mit diesem Thema nicht mehr intensiv beschäftigt. Die Schlüsselfunktion, die Newsfeeds für das neue Nachrichtenuniversum haben, ist mir erst im letzten Semester wieder aufgegangen, als ich einen Vortrag über Journalismus als Soziale Technologie für die TU Graz vorbereitete.
Newsfeeds—vielleicht sollte man besser sagen: Streams—sind der für das Web charakteristische Zugang zu Nachrichten. Auf Newsfeeds basierende Techniken bestimmen die Views, die wir auf Nachrichten haben; miteinander verlinkte Daten sind maßgeblich für die unterschiedlichen Modelle der Wirklichkeit, die als Nachrichten transportiert werden; soziale Netze—im Web abgebildete Beziehungen—bilden die Controller, die Steuerelemente für die Produktion wie für die Rezeption von Nachrichten. (Eine verwandte Sicht auf Nachrichten im Web, allerdings viel weiter ausdifferenziert, habe ich in Markus Spaths 5 Jahre live.hackr gefunden, einem der besten neuen deutschsprachigen Texte über Nachrichten im Web.) Jetzt überlege ich, wie ich mein altes (sehr trockenes, weil auf die Datenformate beschränktes) Buch aktualisieren und ergänzen könnte. Im Folgenden ein paar erste Links/Notizen. Sie betreffen vier Gebiete:
- Feedreader und Activity Streams
- Newsfeeds und das Realtime-Web
- Neue RSS-Anwendungen
- Newsfeeds und Web Literacy
Feedreader und Activity Streams
Ich habe den Eindruck, dass einige der interessantesten Entwicklungen bei Feedreadern, also den Werkzeugen zum Lesen von Feeds, mit Activity Streams zusammenhängen, also den Strömen unterschiedlicher Daten, die eine Person oder Institution im Web produziert. FriendFeed, inzwischen von Facebook übernommen, war dafür der Pionier. Cliqset geht wohl in eine ähnliche Richtung. Die Grundfunktionen des Service zeigt dieses Video. Der Ausdruck Activity Streams bezeichnet auch einen neuen Standard zum Austausch dieser Art von Daten. In den Bereich RSS/Activity Streams gehören für mich auch eine Anwendung wie RSS Graffiti, mit der man Newsfeeds in Facebook-Profile und -Seiten integrieren kann.
Newsfeeds und das Realtime-Web
Die wichtigste Veränderung auf dem Gebiet der Newsfeeds gegenüber der Landschaft vor fünf Jahren hängt mit Realtime-Techniken zusammen. Newsreader verbinden User und Nachrichtenquellen immer mehr in Echtzeit miteinander. Twitter machte dabei den Anfang. Die Twitter-Realtime-Technologie ist wie die von Facebook proprietär. PubSubHubbub und RSSCloud sind offene Alternativen. Das schon erwähnte Cliqset verwendet PubSubHubbub (Cliqset Clicks With Pubsubhubbub for Real-Time Updates), ebenso wie eine ganze Reihe anderer neuer Newsfeed-Services und Technologien (Top 10 RSS & Syndication Technologies of 2009, darin u.a. erwähnt: Echo, Fever und PostRank). Über den Stand der Entwicklung auf der Seite der Content-Publisher informiert dieses Post auf dem Blog des Realtime-Anbieters Superfeedr. Twitter und Facebook halten unter anderem an proprietären Realtime-Techniken fest, weil ihnen das exklusive Deals mit Suchmaschinen ermöglicht. (Interessant bei Superfeedr ist übrigens die Nutzung des offenen Chat-Protokolls XMPP.)
Neue Anwendungen von Newsfeeds
Ich habe leider noch nicht herausgefunden, ob Dave Winers Vorschlag einer RSS-Erweiterung für BitTorrent aufgegriffen wurde (dazu: Torrent Sites Get Feedback from RSS Inventor). Das Link zu dieser Erweiterung im Verzeichnis der RSS Extensions ist tot. BitTorrent ist die wohl wichtigste Technologie, um große Datenmengen dezentral im Netz zu publizieren; die User teilen sich dabei ihre Bandbreite. Da Torrent-Verzeichnisse wie Pirate Bay von Rechteinhabern juristisch angegriffen werden, könnten standardisierte Feeds mit Links zu Torrents eine Schlüsselfunktion dabei haben, User über vorhandene Daten zu informieren.
Newsfeeds und Web Literacy
In den USA und weniger intensiv in Deutschland wird gerade darüber debattiert, on das Internet uns dümmer oder intelligenter macht. In diesem cultural war geht es auch um Newsfeeds oder Nachrichtenströme, die die hierarchisch strukturierten Nachrichtenformate der Zeit vor dem Web ablösen. Stowe Boyd wirft Nick Carr und David Brooks vor, einen Krieg gegen den Flow [via Ton] zu führen. Boyd kritisiert eine elitäre Vorstellung des Lesens, in der sich die Leser von unten in eine Welt unterschiedlich wertvoller Texte hineinlesen. Er beschreibt in diesem Post nicht, wie eine dem Flow angemessene Lesefähigkeit aussieht oder aussehen könnte. Konkreter wird Kevin Kelly in Reading in a Whole New Way [via Howard Rheingold]. Kelly findet eine historische Parallele zum Umsturz der Lesegewohnheiten, den das Web mit sich bringt: Im frühen Mittelalter wurde es üblich, Texte leise zu lesen statt sie laut vorzutragen. Lesen im Netz wird sich vom Lesen im Printzeitalter ähnlich deutlich unterscheiden, wie das leise Lesen vom deklamatorischen Lesen in der Antike: Die Leser werden (wie in Minority Report) mit Gesten Informationen in virtuellen Räumen bewegen, und sie werden dabei sozialer lesen als wir es gewohnt sind, jederzeit die Möglichkeit haben, das Gelesene mit anderen zu teilen.
A new idea or unfamiliar fact will provoke a reflex to do something: to research the term, to query your screen “friends” for their opinions, to find alternative views, to create a bookmark, to interact with or tweet the thing rather than simply contemplate it.
Boyd und Kelly schreiben nicht explizit über Newsfeeds, aber was sie über das Lesen im Web sagen, gilt besonders für Nachrichtenströme. (Dave Winers RSS-basierter River of News ist das Gegenbild zur hierarchisch organisierten Zeitung). Um mit solchen Streams umgehen zu können, braucht man spezifische Kompetenzen, ein zentrales Element einer dem Web angepassten Literacy.
Die für mich interessantesten Fragen: Wie kann man die technische Perspektive, ohne die man die Entwicklung von auf dem Gebiet der Newsfeeds nicht versteht, mit der Frage nach Literacy, nach der Verwendung dieser Technologien, zusammenbinden? Kann man Literacy hier als eine zugleich soziale und technische Kompetenz beschreiben? Und: Welche Methoden und Analysewerkzeuge stehen dafür zur Verfügung?
ich mag mich einfach für den theoretischen Input bedanken.
allein dieser kurze Artikel hat bei mir ein mittlere Lawine an *aha* *ah!* Erlebnissen ausgelöst, die ich nun dann meist abends anfangen werde zu sortieren, um sie dann später so für mcih zu nutzen wie sie hängen blieben.
danke schön!
Danke – das freut mich! Ich weiss aber nicht, ob ich so viel Lob verdient habe.
jederzeit das Gelesene mit anderen zu teilen, erleb ich ansatzweise via Twitter – um zu sammeln , wer am gleichen grad *liest* find ich die hashtags nützlich für mich.
die Hierarchie ergibt sich für mich aus dem Vertrauensvorschuss, den der Twitterer bei mir genießt – vertrau ich dem, dann kann er mich mit 140Zeichen soweit verführen einen verlinkten Artikel zu lesen, mittels Retweets lad ich dann andere, die die mir vertrauen ein, ebenfalls diesen verlinkten Artikel zu lesen,
soll Austausch über das gemeinsam Gelesene passieren nutz ich hashtags –
ich lese dadurch mehr und längere Artikel als jede Zeitung mir bietet.
bei den Feeds fehlt mir noch die Querverbindung des gemeinsamen Lesens, dieses GoogleFeature *der und der mag den Artikel auch* ist mir zu umständlich und ich nutz es nicht.
naja da geistert noch mehr rum in mir – und ich weiß nie,ob ich Lob verdient habe ich bin nur mittlerweile so frech es einfach zu genießen, wenn ichs erhalt 🙂
Thanks Heinz for mentioning Superfeedr! I’m not a german speaker, and I used Google Translate to translate what you said. If you need help updating your book I’d be very happy to help!