Eric Holthaus bezeichnet sich auf seinem Twitter-Profil als Ecosocialist. Ich habe kurz darüber nachgedacht, ob ich dieses Label übernehmen soll. Ich würde niemand korrigieren, der mich so bezeichnet. Aber ich möchte mich nicht gerne selbst so klassifizieren. Die politische Haltung, zu der ich gerade finde (und über die ich hier immer wieder schreibe) ist vielleicht auch ökosozialistisch, aber sie hat einen anderen Kern. Wenn ich müsste, würde ich sie lieber mit Wörtern bezeichnen, die in die Gegenwart gehören. #degrowth ist wahrscheinlich eine solche Bezeichnung.
Mir ist eine klar sozialistische Haltung nie unsympathisch gewesen. Aber ich habe den Glauben, der zu ihr gehört, schon zu Anfang meiner Studienzeit verloren, erst recht, als ich von einem tschechoslowakischen Emigranten aus erster Hand über die Verhältnisse im sozialistischen Lager erfuhr. Neulich hat Rossana Rossanda in einem Interview gesagt, sie sei noch immer Kommunistin, während Leute wie Walter Veltroni stolz behaupten, nie Kommunisten gewesen zu sein. Auch wenn ich diese Konsequenz schätze: Für mich ist der Ausdruck Kommunismus nach den Verbrechen, die unter seiner Flagge begangen wurden, diskreditiert—weniger durch Usurpatoren wie Stalin als durch alle, die sich nicht deutlich genug von ihnen distanziert haben.
Ich denke über den Ausdruck Kommunismus auch nach, weil ich gerade Jason Hickels Aufsatz Degrowth: a theory of radical abundance (pdf) gelesen habe. Hickel stellt, sehr vereinfacht gesagt, den kapitalistischen Vermarktungsmechanismen das Prinzip der commons, der Gemeingüter gegenüber. Alternativen zum Kapitalismus und seinem Wachstumsimperativ sind möglich wenn viele Güter gemeinsam genutzt werden können, und der Kapitalismus versagt am drastischsten da, wo es um gemeinsame Ressourcen geht wie die Atmosphäre. Eine Postwachstums-Gesellschaft wäre eine auf Gemeingütern aufbauende Gesellschaft, also eine kommunistische Gesellschaft im ursprünglichen Sinn.
Trotz aller Berührungspunkte zu den sozialistischen und kommunistischen Bewegungen der letzten beiden Jahrhunderte glaube ich nicht, dass wir uns heute linear als Fortsetzer dieser Bewegungen verstehen sollten. Zum Sozialismus gehörte fast überall eine eurozentrische Fortschrittsideologie, die sich von den liberalen Fortschrittsvorstellungen nicht grundsätzlich unterscheidet. Auch die Vorstellung, dass die Gesellschaft ein Zusammenschluss oder Kollektiv von Menschen ist, zu dem nichtmenschliche Wesen nur als Umwelt oder Natur gehören, gehört zu sozialistischen wie zur liberalen Vorstellungswert. (Ich denke hier laut, ich weiß, dass es zu jedem dieser Themen Bibliotheken gibt.)
Zu #degrowth würde es viel eher passen, überhaupt nicht in den Kategorien großer Kollektive, einer globalen Gesellschaft oder globalen Entwicklung zu denken, sondern von kleinen, stark individualisierten Netzwerken auszugehen, auf die Ausdrücke wie Gesellschaft nicht passen. So weit ich weiss—ich kenne sie kaum—haben Leute wie Ivan Illich und Paolo Freire solche Konzepte entwickelt. Ich sehe auch im offenen Web und in der Layer-Architektur des Internets Modelle oder Ausgangspunkte für nichtkapitalistische soziale Organisationsformen, die sich selbst begrenzen. Ich weiss, dass es genug ähnliche Utopien gibt, und mir ist klar, dass man leicht ins Idyllische abdriftet, wenn man sie sich zu genau vorstellt. Ich glaube, dass es wichtig ist, bei solchen Entwürfen nicht nur menschliche, sondern auch nichtmenschliche, natürliche und technische Akteure mitzudenken.
#degrowth-Konzepte haben eine globale Perspektive, weil sie von globalen Problemen ausgehen. Von ihnen ausgehende politische Konzepte müssen aber auf Ebenen jenseits oder diesseits des Globalen abzielen, so wie es bei Latours Idee des Terrestrischen der Fall ist. Wenn man sie mit dem Namen der großen politischen Ideologien der letzten beiden Jahrhundert belegt, verfehlt man ihre Besonderheiten.