Ist Dialog der richtige Ausdruck für Interaktionen mit sozialen Medien, vor allem in der Online PR? Marie-Christine Schindler zweifelt daran. In Alle sprechen vom Dialog – gibt es ihn? [via Thomas Pleil] schlägt sie vor, von Gesprächen zu sprechen.

Zu den Gesprächen gehören außer dem Dialog z.B. Interview, Diskussion, Konversation und Geplauder. Für Marie-Christine Schindler ist (im Interesse ihrer Kunden) vor allem die Meinung wichtig, die durch das Gespräch entsteht. Ziel der Kommunikation einer Organisation ist die Überzeugung. Die Überzeugung, etwas die Überzeugung vom Wert eines Produkts oder der Qualität einer Firma, hängt fast immer vom Kontext, der Welt darum herum ab.

Feedback in Online-Gesprächen betrachtet Marie-Christine Schindler als Bestätigung. Sie listet verschiedene Beispiele für Betätigungen auf: Gefällt-mir-Buttons, Mag ich-/Mag ich nicht-Buttons, Flattr, Faven, Rating, Bewertungsplattformen. Subskriptionen von Blogs und Newsfeeds, Verlinkungen bei Facebook u.ä. versteht sie als Wertschätzung. Auch Kommentare und Fortsetzungen von Diskussionen interpretiert sie als Wertschätzung. Zum Schluss weist sie darauf hin, dass Konversationen im Web verteilt sind, und sagt sehr schön:

Wenn ein Blog ohne Kommentare dasteht bedeutet das nicht, dass über das Thema nicht gesprochen worden wäre, aber eben möglicherweise anderswo. Gemeinschaft entsteht nicht allein über den Austausch von Inhalten, sondern über die Sprache. Dieses Thema greifen wir im nächsten Beitrag auf.

Schindler verweist auf Mirko Langes Kritik an der These, das Social Media dialogorientiert sein müssen (Es braucht keinen Dialog für erfolgreiche Social Media:). Lange wendet sich nicht dagegen, von Dialogen zu sprechen; für Lange kann die Kommunikation mit sozialen Medien oft, vielleicht fast immer, ohne Dialoge auskommen—so wenn Marken einen Twitter-Channel als Plattform zum Broadcasting an Fans benutzen. Mirko Lange sieht es als wichtigstes Ziel der Social Media Communication, Fürsprecher zu gewinnen.

Christoph Bauer vertritt in seinem Post beim PR Blogger Der Online-Dialog – Versuch einer Definition keine Gegenthese; er fragt nach online-spezifischen Gesetzen für den Dialog im Web und spricht über den philosophischen Hintergrund des Begriffs Dialog, der in unserer Tradition bis auf Platon zurückgeht. Als wichtigste Qualitäten von Online-Dialogen begreift er Involvement, Vertrauen, Respekt und Hoffnung.

Was ist den drei Posts gemeinsam? Die Autoren stellen fest, dass das Wort Dialog inflationär verwendet wird, um die Kommunikation mit sozialen Medien zu charakterisieren. Marie-Christine Schindler hält den Ausdruck für nicht adäquat; für Mirko Lange wird die Bedeutung von Dialogen in der Online-Kommunikation überschätzt; Christoph Bauer glaubt, dass die Ansprüche dialogischer Kommunikation oft verkürzt verstanden werden.

Gemeinsam ist den Autoren auch, dass sie Dialoge und Gespräche als eine vor allem auf subjektive, innere Zustände gerichtete Form der Interaktion verstehen. Diese Zustände sind als Voraussetzungen (Vertrauen bei Bauer) und als Ergebnisse der Kommunikation (Überzeugung bei Schindler) relevant. Ich würde keinem der drei wichtigen Posts zum Thema Dialog widersprechen. Ich vermute aber, dass man den Besonderheiten von Dialogen und Gesprächen in der Online-Kommunikation gerechter werden kann, wenn man Dialoge nicht vor allem als Mittel versteht, einen inneren Zustand, z.B. eine Meinung zu erzeugen. Ich sehe sie eher als soziale Produktionen (oder Produktionen von sozialen Strukturen), wobei Web-Dialoge oder Web-Gespräche Hypertexte sind, auf die man sich später anders beziehen kann als z.B. auf mündliche Konversationen. Zur Kommunikation im Web gehört, dass sie sich in einer bestimmten Weise dokumentiert und damit für andere (auch für Maschinen) transparent und verständlich macht. Durch die Online-Interaktionen (auch wenn nur auf einen Button geklickt wird) erzeugen die Beteiligten eine soziale Realität. Bestandteil dieser sozialen Realität ist, dass sich die Teilnehmer kategorisieren, etwa indem sie sich selbst als jemand bezeichnen, der etwas mag, oder indem sie etwas bewerten.

Vielleicht trifft der Ausdruck „speech exchange systems“, der wohl auf Harvey Sacks zurückgeht, diese Zusammenhänge genauer als Dialog oder Konversation. Im Web, bei den sozialen Medien, haben wir es mit neuartigen speech exchange systems zu tun, die Ähnlichkeiten mit bestehenden (wie bestimmten Dialogen), aber andererseits ganz andere Eigenschaften haben, die mit der Hypertextualität, der Beobachtbarkeit und Verarbeitbarkeit im Web zu tun haben. Wobei man hier mit einem Ausdruck wie „Eigenschaften“ vorsichtig umgehen muss, denn diese Eigenschaften sind nicht einfach gegeben, sondern sie müssen von den Akteuren „eingebracht“, in der Kommunikation realisiert werden (was diese z.B. dann nicht tun, wenn sie Twitter wie einen Instant Messenger benutzen).

4 Kommentare zu “Online-Konversation als soziale Produktion

  1. Eine interessante Gegenüberstellung. Spannend auch die Perspektive, Dialog nicht als Mittel zum Zweck, sondern als Produkt zu betrachten. Gerade in der Online-Kommunikation entstehen solche Produkte spontaner. Was mir beim Speech Exchange System fehlt ist die Verbindlichkeit. Eine innere Haltung, die in allen drei beleuchtete Posts ein Thema sind.
    Ich schätze solche Diskussionen, weil sie mir immer wieder einen höchst wertvollen Perspektivenwechsel bringen. Darum: besonderen Dank für diesen Beitrag.

  2. Ich finde Ihre Zusammenfassung von einigen Diskussionsbeiträgen, die sich mit der Dialog- und Kommunikationsfrage im Social Web beschäftigen, ziemlich spannend. Aber vor allem Ihr Hinweis auf den „dokumentarischen“ Charakter der Online Kommunikation ist sehr treffend:

    „Zur Kommunikation im Web gehört, dass sie sich in einer bestimmten Weise dokumentiert und damit für andere (auch für Maschinen) transparent und verständlich macht.

    Hier, denke ich, wird es sich zeigen, wie sich die lange Halbwertszeit von „Kommunikations-Informationen“, sprich Hypertexten, auf längere Sicht auf die Online Kommunikation, aber letztendlich auch auf das Denken auswirken wird. Vielen Dank für Ihren interessanten Blog-Artikel!

  3. Ich bitte um Entschuldigung, dass aus meinem Beitrag eine gehörige Portion Enttäuschung spricht: Beim Lesen des velinkten Artikels von Christoph Bauer hat mich sein Kommentar „Bisher habe ich aber noch keine wissenschaftlichere Definition (bzw. überhaupt keine Definition) des ganzen Konstrukts im deutschsprachigen Web gefunden“ doch sehr frustriert, bemühe ich mich doch seit geraumer Zeit, eine wissenschaftlich fundierte und gleichzeitig verständliche Theoriebasis für Kommunikation und Medien zu vermitteln. Speziell den Gesprächscharakter von bestimmten Formen der Oline-Kommunikation habe ich vor Monaten bereits sehr detailliert herausgearbeitet: http://kontextschmiede.de/wie-der-schmutz-ins-internet-kommt/
    Nun beruht das Reichweitenproblem wohl auf Gegenseitigkeit, immerhin waren mir die hier vorgestellten Artikel auch noch nicht begegnet. Aber speziell bei meinem Versuch, ein Modell zur Onlinekommunikation zu entwickeln, aus dem sich handfeste Lösungsansätze für das Publizieren im Internet ergeben, hoffe ich eigentlich auch eine Zielgruppe zu erreichen, die von dieser Theoriebasis profitieren könnte. Offensichtlich hoffe ich da vergeblich.
    Da frage ich mich doch, ob das an meiner mangelnden Vermittlungskompetenz liegt. Vielleicht sind trotz meiner Bemühungen, aus den theoretischen Vorüberlegungen immer auch Anwendungsbeispiele zu entwickeln, meine Beiträge unverständlich oder gar belanglos. Jedenfalls möchte ich hier noch einmal für die Idee werben, sich einer trennscharfen Phänomenologie der Kommunikation zu bedienen:
    Nicht erst seit „social media“ tauschen sich die Menschen aus. Medien sind immer soziale Konstrukte. Nur weil die Massenmedien historisch ein asymmetrisches Machtverhältnis zwischen Sendern und Empfängern etabliert haben, ist dieses Paradigma kein notwendiges, noch ein hinreichendes Kriterium für eine Definition von verschiedenen Medien. „Social Media“ ist ein ganz schlimmes Buzzword, das funktionale Kriterien verschleiert, statt über die Funktion solcherart bezeichneter Kommunikationsformen aufzuklären.
    Die von Heinz Wittenbrinck vorgeschlagenen Kriterien wie „dokumentarisch“ oder Arten von Speech Exchange Systems scheinen mir da ein vielversprechender Ansatz, wirklich saubere Trennschärfe in die Beschreibung verschiedener Kommunikationstypologien zu bekommen. Sie könnten mit Definitionen von Textsorte und weiteren Modellen aus der Pragmatik, zum Beispiel der Sprechakttheorie angereichert werden. Dann ergäbe sich sehr wohl eine Beschreibung von „Verbindlichkeit“, die Frau Schindler in der EMCA vermisst.
    Ihren Schluss „Wenn ein Blog ohne Kommentare dasteht bedeutet das nicht, dass über das Thema nicht gesprochen worden wäre, aber eben möglicherweise anderswo.“ habe ich nun einmal zum Anlass genommen, den Dialog hier hin zu tragen. Danke für diesen Anstoß.

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