Dreimal Daten zur Klimakatastrophe mit Interpretationen: zur Wahrscheinlichkeit des Kippens des nordatlantischen Strömungssystems Amoc (und damit eines Zusammenbruchs des Golfstroms), zur Erhitzung der Erde im Jänner und in den 11 Monaten davor und zum Bedarf nach fossilen Energien bis 2100, wenn das business as usual weitergeht.
Amoc: Eine neue Studie bestätigt, dass das atlantische Strömungssystem Amoc sehr nahe an einem Kipppunkt ist (Studie: https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adk1189). An diesem Punkt schlägt das System in einen anderen Zustand um. Der Golfstrom, wie wir ihn kennen, würde verschwinden, sodass es in Europa, vor allem in Großbritannien und Norwegen, dramatisch kälter würde. Aber auch das Klima in Südamerika würde sich verändern. Das Risiko dafür, dass auch der Amazonas-Regenwald einen Kipppunkt erreicht, jenseits dessen er mehr CO2 emittiert als absorbiert, würde sich deutlich erhöhen. Stefan Rahmstorf hat die Studie erläutert. Sie beruht vor allem auf den enorm gewachsenen Möglichkeiten, Modelle dieses Strömungssystems durchzurechnen. Die Ergebnisse dieser Modellrechnungen bestätigen nicht nur, dass der Kipppunkt zwischen 2025 und 2095 überschritten werden kann, wenn die globale Erhitzung nicht gestoppt wird. Sie ergeben auch, dass es einen Indikator dafür gibt, dass dieser Punkt fast erreicht ist, nämlich den Salzgehalt des Ozeanwassers im Südatlantik. Dort wird—wenn ich das richtig wiedergebe—Süßwasser in dieses Strömungssystem hineingesaugt. Die tatsächlichen Daten aus dieser Gegend zeigen genau die Veränderung des Salzgehalts, die sich als Signal aus dem Modell ergibt.
Das heisst: Wenn die globale Erhitzung nicht gestoppt wird, besteht ein hohes Risiko dafür, dass sich das Klimasystem in wenigen Jahren mit katastrophalen Folgen verändert. Mich erinnert diese Aussicht und der Umgang mit ihr an eine berühmte Ansprache von Carl Sagan. Darin verweist Sagan auf die gigantischen Geldmengen, die im kalten Krieg ausgegeben wurde, um das Risiko eines atomaren Angriffs auf die USA zu minimieren. Er fragt, warum nicht genauso viel investiert wird, um die nicht geringeren Risiken der globalen Erhitzung so sicher wie möglich auszuschließen. (So gestellt, enthält die Frage vielleicht einen Teil ihrer Antwort. Es geht nicht vor allem um Investitionen, von denen in diesem Fall ein Teil der Wirtschaft der USA profitiert hat, sondern um einen Verzicht auf weitere Bereicherung und um den Transfer von Kapital in andere Länder. Außerdem haben die Militärausgaben während des Kalten Kriegs die geopolitische Vormachtstellung der USA gestärkt. Investitionen oder gar Investitionsverzichte zum Stopp der globalen Erhitzung wurden und werden dagegen von den entscheidenden Gruppen in den USA als Schwächung verstanden.)
1,5°: Man kann die neue Studie zur Amoc auch als einen weiteres Warnsignal dafür verstehen, auf keinen Fall die 1,5°-Grenze zu überschreiten—so verzweifelt solche Warnungen inzwischen auch klingen. Die letzten Publikationen zu den Kipp-Elementen sagen deutlich, dass das Risiko, sie auszulösen, mit jedem Zehntelgrad wächst und bereits jenseits der 1,5° unvertretbar hoch ist. Die Copernicus-Daten vom Jänner haben ein weiteres Mal gezeigt, wie schnell sich die Erhitzung der Erde fortsetzt. Die Erde bewegt sich weiter ungebremst in die Risikozone hinein, in der Kipp-Elemente des Klimasystems ausgelöst werden können. Die Amoc ist nur eines von ihnen. In einem Interview mit der Libération beantwortet die Klimatologin Françoise Vimeux sehr klar die Frage, was die neuesten Copernicus Daten über die Erreichbarkeit des 1,5°-Ziels aussagen. Sie stellt klar, dass die 1,5°-Grenze im Sinne der Klimawissenschaft erst durchbrochen ist, wenn die Jahresdurchschnittstemperatur über längere Zeit in zwei von drei Jahren über 1,5° liegt. Dies wird den aktuellen Prognosen zufolge in den 2030er Jahren der Fall sein. Das Fenster, um die Erhitzung auf dieser Höhe zu begrenzen, schließe sich allerdings sehr schnell.
Fossile Nachfrage: Wie unzureichend die Versuche sind, das 1,5°-Fenster offenzuhalten, zeigt ein Briefing der Rhodium-Gruppe (Bericht im Guardian: The world is reducing its reliance on fossil fuels – except for in three key sectors). Dabei wird die Politik als der entscheidende Faktor identifiziert. Nur veränderte policies führen—und zwar in Jahrzehnten—zu den Transformationen, ohne die Dekarbonisierung unmöglich ist.
Eine Dekarbonisierung mit Folgen für das Klima gibt es bisher nur in zwei Sektoren: Bei der Stromproduktion und im Verkehr. Und selbst in diesen Sektoren wird 2050 noch enorm viel fossile Energie verbraucht werden, wenn sich die aktuellen Trends fortsetzen. Bis 2100 würde danach der Erdgasbedarf um 126% wachsen. Die Rhodium-Fachleute gehen von einem anhaltenden Wirtschaftswachstum und einer entsprechend steigenden Nachfrage nach Energie aus. Außerdem werden Kohle, Öl und Gas auch in großen Industriesektoren außerhalb der Energieproduktion gebraucht. Auch dort verursachen sie erhebliche Emissionen.
Für das Rhodium Briefing wurden aktuelle Trends in die Zukunft projiziert. Die Verfasser:innen bezeichnen diese Entwicklung nicht als unabwendbares Schicksal. Sie weisen darauf hin, dass nur politische Veränderungen und massive Umsteuerungen der Investitionen erreichen können, dass Kohle, Öl und Gas tatsächlich aus der Weltwirtschaft verschwinden. Bei der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien und bei der Elektromobilität seien die entsprechenden Weichen schon vor Jahrzehnten gestellt worden—in den anderen Sektoren nicht.
Von einer Reduzierung der Nachfrage, wie sie Degrowth-Vertreter befürworten, ist in diesem Briefing nicht die Rede. Das macht diese Modellierung durch einen Thinktank, der den amerikanischen Demokraten nahesteht, aber nicht weniger wichtig.