Die Kleine Zeitung hat zum ersten Mal einen der längeren Artikel Ernst Sittingers über die FH Joanneum in ihre Online-Ausgabe aufgenommen: Fachhochschul-Wirbel: Rektor zwischen Fronten. Damit ist er nicht nur dauerhaft öffentlich zugänglich archiviert, sondern auch verlinkbar und online diskutierbar. Allerdings sind Kommentare in der Kleinen selbst auf 1000 Zeichen beschränkt.

Kaum einem steirischen Politikern und auch nur wenigen an unserer Hochschule dürfte bewusst sein, dass durch Online-Publikationen eine neue Form der öffentlichen Diskussion möglich wird, die nicht von dem leicht kontrollierbaren Zugang zu dem beschränkten Platz in der gedruckten Zeitung abhängig ist. Leider machen die Betroffenen davon kaum Gebrauch. Wie ungewohnt diese Form der Öffentlichkeit ist, zeigen Kommentierer, die bedauern, dass die Diskussion überhaupt öffentlich geführt wird. Dabei demonstriert der Inhalt des Artikels, wie wichtig Öffentlichkeit wäre, damit Entscheidungen (in diesem Fall immerhin über eine der größten österreichischen Fachhochschulen) transparent und sachgerecht getroffen werden:

Ernst Sittinger hat die für die FH zuständige steirische Landesrätin Bettina Vollath zu einem fünfseitigen Brief befragt, den der Rektor der FH […] an den österreichischen Fachhochschulrat geschrieben hat, und in dem er die Unhaltbarkeit seiner eigenen Position (einerseits gewählter Vertreter des FH Kollegiums, andererseits weisungsgebundener Geschäftsführer) erläutert (Details im Artikel Ernst Sittingers). Die Antworten der Landesrätin sind ein Musterbeispiel für den politischen Versuch, Verantwortung zu verschieben, Sprachregelungen vorzunehmen und dabei auch wahrheitswidrige Behauptungen nicht zu scheuen. Der Rektor hat sehr wohl versucht, vor seinem Brief ein Gespräch mit der Landesrätin zu führen; ein Termin mit ihrem Referenten fand statt. Grund für den Schlamassel an der FH ist nicht eine unklare Rechtslage (GmbH-Recht versus Fachhochschulrecht), sondern der Unwille der Landesregierung und des FH-Aufsichtsrats, Forschung und Lehre an der FH Joanneum auch nur ein Minimum an Selbstbestimmung zuzuerkennen. Man möchte die FH nach außen mit dem Titel Hochschule schmücken und verwendet nach innen die GmbH-Strukturen, um die FH wie einen bürokratisierten Staatsbetrieb zu führen. Da lässt sich dann zum Beispiel Kritikern leicht mit der Keule des betriebsschädigenden Verhaltens drohen.

Die FH Joanneum ist eine aus öffentlichen Mitteln finanzierte Hochschule (wobei in Österreich übrigens der Bund 90% der Kosten jedes Studienplatzes deckt und die Kommunen die FH-Infrastruktur stellen; das Land, das die die FH kontrolliert, finanziert sie nur zu einem kleinen Teil). Es gibt keinen Gund dafür, dass Prozesse an einer solchen Institution nicht auch öffentlich diskutiert werden — wie sollen die Wähler sonst bei den nächsten Wahlen beurteilen, wie die Politiker mit ihren Mandaten umgegangen sind? Die tröpfelnde Diskussion über Ernst Sittingers Artikel zeigt, wie zögernd die neuen Formen der Öffentlichkeit, die das Web bietet, auf der regionalen und lokale Ebene angenommen werden. Aber sie ist ein Signal dafür, dass man politischen Sprachregelungen sofort und auf derselben Plattform widersprechen kann.

(Anmerkung, 13.4.2010: An der mit Auslassungszeichen versehenen Stelle wurde ein Name entfernt.)

Meral schreibt über, die Politiker, die am PolitCamp Graz teilgenommen haben:

es war ein großer Schritt, dass sie überhaupt gekommen sind, nächstes Jahr schaffen wir vielleicht auch, dass sie länger bei uns bleiben.

Für mich einer der wichtigsten Sätze in der Diskussion über das PolitCamp. Er trifft einen zentralen Aspekt des Events (nicht den einzigen, denn es ging auch um viele andere politische Themen): Es kommen verschiedene Gruppen oder Netzwerke zusammen, wobei die eine (ein Teil der BarCamp-Community) die andere einlädt. Und er bezieht sich auf die aktuelle Situation und eine mögliche Zukunft: Die Kommunikation zwischen den Netzwerken ist schwierig; es gibt Chancen dafür, sie zu verbessern.

Ein paar Überlegungen zu diesem Aspekt des PolitCamps — im Rückblick und vielleicht auch schon im Vorblick auf das nächste:

Es ist schwierig genau zu sagen, was die beiden Netzwerke ausmacht, sicher haben sie offene Grenzen. Das eine Netzwerk besteht aus einem Teil der BarCamp- oder Web 2.0-Community — Menschen, die ihre Aktivitäten im Web auch als politisch verstehen. Auf der anderen Seite steht die professionelle Politik — wobei beim PolitCamp eigentlich ja gerade auch der long tail angesprochen werden sollte, also diejenigen, die sich nicht beruflich mit Politik beschäftigen oder keine mediale Aufmerksamkeit für ihre politische Arbeit erhalten.

Erst am Ende des ersten PolitCamp-Tags hat sich ein offenes Gespräch zwischen Menschen entwickelt, die in beiden Netzwerken oder zwischen beiden Netzwerken arbeiten, und zwar unabhängig von den aktuellen Parteigrenzen. Stefan Kuzmanov hat die Atmosphäre in seinem Panorama festgehalten. Ich glaube, dass alle, die dabei waren, dieses Gespräch fortsetzen wollen. Als Mitorganisator kann ich sagen, dass erst bei dieser Diskussion das Gefühl hatte, dass die ganze Veranstaltung gelingen würde.

Vorausgegangen waren kurze Auftritte des Gleisdorfer Bürgermeisters Christoph Stark, der Grazer Vizebürgermeisterin Lisa Rücker und des steirischen SPÖ-Geschäftsführers Toni Vukan (ein Interview, in dem er Teile seiner Statements wiederholt, hier). Christoph Stark hat leider nicht das Aufmerksamkeit erhalten, die er verdient hätte: Sein Weblog zeigt, wie politische Kommunikation im Web auf kommunaler Ebene funktionieren kann. Lisa Rücker und Toni Vukan haben in sehr unterschiedlicher Weise demonstriert, dass Dialogmedien für die professionelle Politik noch weitgehend eine unbekannte Größe sind — wobei Lisa Rücker diese Situation verändern möchte, während DAS INTERNET bei einem Toni Vukan wohl vor allem Ängste vor Kontrollverlust auslöst (möglicherweise zu Recht ;-)).

Dass der Freitagnachmittag mit einem Gespräch endete, bei dem tatsächlich etwas Neues passierte, lag an drei Personen: Christoph Chorherr, Helmuth Bronnenmayer und Michi Mojzis. Sie haben zum Teil ohne Absprache zusammen eine Session gestaltet, von der sie wohl vor allem selbst viel erwarteten, sie haben also nicht gebroadcastet. Thematisch ging es dabei vor allem um politische Organisationen, und zwar mit sehr vielen unterschiedlichen Aspekten. Helmuth und Michi haben in ihren Blogs über das PolitCamp geschrieben (hier und hier), Christoph in einem Kommentar zu Hannes Offenbachers PolitCamp-Posting. (Ich vermute, dass Hannes seine Kritik an der Veranstaltung anders formuliert hätte, wenn er bei dieser Session teilgenommen hätte — wobei ich ihm sachlich in vielem Recht gebe und dankbar bin, dass er diese Diskussion begonnen hat.)

Wie können wir solche Gespräche weiter führen?

Wir wollten mit dem PolitCamp Gespräche zwischen Menschen ermöglichen, die im weitesten Sinn Politik mit Internetmitteln machen oder machen wollen, also Akteure reden und vor allem Fragen stellen lassen. Das hat funktioniert, wenn auch nicht in dem Umfang, den ich mir vorher vorgestellt hatte. Die Form des BarCamps haben wir verwendet, aber zu wenig durchdacht. Während des PolitCamps und danach habe ich viele Gespräche über diese Form geführt unter anderem mit Helge und mit Ton, der sehr gut beschreiben kann, wie man mit den Erwartungen der Teilnehmerinnen an einem offenen, nicht kontrollierten Event umgeht. Beim nächsten PolitCamp würde ich zwei Dinge in jedem Fall anders machen:

  1. Vorbereitung und Durchführung als reine Unkonferenz, keine Energie in Werbung und herkömmliche Medienarbeit stecken, dafür Konzentration auf die Erwartungen der Teilnehmer und möglichst intensive Kommunikation vor dem Event.

  2. Vorbereitung/Einladung mit Politerkerinnen/Politikern zusammen. (Ich hoffe auf Christoph Chorherr und Michi Mojzis; Helmuth, den ich nicht zum Politiker erklären möchte, auch wenn er am letzten Wochenende die Ehre der Roten gerettet hat, war diesmal schon stark involviert).

Michael Schuster hat in seiner Session am Samstagmorgen gefragt, ob das System Politik, das System Massenmedien und das System Internet/Soziale Medien (ich weiß nicht mehr, ob er es tatsächlich so genannt hat) überhaupt miteinander kommunizieren können, im Sinne Luhmanns untereinander anschlussfähig sind. Die Diskussion am Freitag hat für mich viele Argumente dafür geliefert, dass Politik und soziale Medien aneinander anschließen können (wobei soziale Medien selbst Formen des kollektiven Handelns, also auch politischer Aktion sind). Ich hoffe, dass wir darüber — und damit über neue Definitionen des Politischen — beim nächsten PolitCamp und bei seiner Vorbereitung weiter sprechen können.

Ich will mich bei den Mitorganisatoren des PolitCamps nicht rituell bedanken. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass viele Menschen hinter dem Event standen. Vielleicht möchten auch Leute, die ähnliche Events vorbereiten, erfahren, wer und wie viele bei uns mitgearbeitet haben. Deshalb hier eine kurze Vorstellung der Beteiligten.

Noch eine Bemerkung vorab: Die Organisation war aufwändig, und wir haben mit einem ziemlich großen Team gearbeitet. Für ein normales Barcamp wäre das wahrscheinlich Overkill.

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Boris Böttger, Tina Fleck, Maria Reisinger und Tanja Schönbacher
Foto: Regina Joschika

Beim Politcamp trafen aber, wie Michael das am Samstagmorgen beschrieben hat, verschiedene Systeme aufeinander, außer der Politik, den (eher abwesenden) Massenmedien und dem System Social Media (oder wie immer man es nennen will) auch noch das System Hochschule.

Entstanden ist die Idee auf anderen österreichischen Barcamps, die ich in den letzten zwei Jahren besucht habe, zum Teil mit meinen Kollegen Boris und Karin. Vor allem auf den Barcamps selbst haben wir sie diskututiert. Gut erinnere mich noch an die Gespräche mit Markus, Olaf, Helmuth, Hannes, Helge, David (der leider am Wochenende nicht dabei war) und anderen. Sie haben alle bei der Vorbereitung mitgemacht. Ich weiß, dass Markus viel unternommen hat, um PR-Agenturen anzusprechen. Es liegt sicher nicht an ihm, dass es in dieser Szene kaum Interesse am Thema gibt.


Karin Raffer
Foto: Helge Fahrnberger

Wie wir das Treffen angelegt haben, geht zu einem großen Teil auf Karin zurück. Hauptziel: Kommunikation zwischen Leuten, die sich mit politischer Kommunikation mit two-way-Medien aktiv beschäftigen, Barcamp als Format, Beschränkung zunächst auf Österreich. [Tina](http://tinafleck.com/) hat sich um alles Grafische und um die Organisation des Fests im Kunsthaus gekümmert, [Tanja](http://www.fh-joanneum.at/aw/home/Studienangebot/fachbereich_internationale_wirtschaft/juk/Menschen/Team/~baqn/juk_teamdetails/?perid=4295252287&lan=de) um das Finanzielle und das Controlling (wichtig an einer österreichischen Fachhochschule).

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Boris Böttger

Einen guten Teil der Sponsoren verdanken wir den Kontakten von Heinz Fischer. Boris hat die ganze technische Abwicklung gemanagt.

Seit Oktober hat sich außerdem eine Gruppe von Studenten das PolitCamp inhaltlich vorbereitet und unter anderem PR gemacht, Vertreter von Parteien und Organisationen und bloggende Politiker kontaktiert, den amerikanischen Wahlkampf beobachtet, das blog gestartet: Maria Stradner, Karoline Lorber, Regina Joschika, Carina Jöbstl, Margit Kubala, Stefan Hofer und Joe Puschitz (Seite ihres Jahrgangs hier) —

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Stefan Hofer
Foto: Regina Joschika

alles zu einem großen Teil außerhalb von Lehrveranstaltungen und ohne Gegenleistungen in Form von Noten. Eine der angenehmsten Erfahrungen bei der Vorbereitung: Es hat sich eine Gruppe gebildet, bei der die Unterschiede zwischen Lehrenden und Studierenden eine immer geringere Rolle spielten. Schon um noch einmal mit dieser Gruppe zusammenzuarbeiten, würde ich im nächsten Jahr gerne wieder ein PolitCamp organisieren, egal ob innerhalb oder außerhalb der FH.

Es haben noch mehr Leute mitgemacht, und die Genannten haben mehr getan, als ich hier aufschreibe. Für alle bedeutete das immer wieder Stress — ich hoffe nur, dass ich davon nicht zu viel selbst verschuldet habe. Beim nächsten Mal schaffen wir es dann ganz entspannt.

(Update, 4. Juni: Ich ergänze noch ein paar Fotos.)

Ein paar Überlegungen zur Vermittlung von Webkompetenz. Wenn ich damit etwas völlig Banales oder Naives schreibe, bitte ich (nicht aus affektierter Bescheidenheit) um Nachsicht oder um Präzisierungen und Hinweise; es geht mir hier vor allem um eine Selbstverständigung.

Ich habe mir neulich aufgeschrieben, dass Wissen immer Wissen von Gruppen ist, dass es kein isoliertes Wissen von Individuen gibt. Wenn diese These stimmt, dann ist Lernen, also das Erwerben von Wissen, immer das Erlernen des Verhaltens oder der Handlungsweisen bestimmter Gruppen. Es kann dann kein Lernen geben, das nicht soziales Lernen ist — auch wenn die Gruppen, in denen und für die das Lernen stattfindet, sich selbst nicht unbedingt oder meist nicht als Gruppen verstehen, sondern als Agenten von übersozialen Größen, z.B. einer Wissenschaft oder des Rechts.

Das bedeutet nicht, Wissen im Sinne von Sachwissen zu relativieren, also es zu einer Gruppenideologie zu erklären, hinter der man dann die wahren, nämlich die sozialen Verhältnisse entdecken kann. Im Sinne der Actor Network Theory würde ich soziale Gruppen eher als auch durch materielle oder nichtmenschliche Aktanten mitkonstituiert verstehen, wobei diese Aktanten einerseits in der Gruppe repräsentiert oder übersetzt werden und sie andererseits die Gruppe strukturieren.

Ich will darauf hinaus, das Lernen immer auch das Lernen der Praxis oder der Praktiken in bestimmten sozialen Gruppen ist. Wer Jura studiert, erwirbt nicht vor allem Wissen über das Recht, sondern er erlernt bestimmte juristische Praktiken, z.B. bestimmte Beweis- und Begründungsstrategien. Wer eine Wissenschaft studiert, erlernt die Forschungs- und damit auch die sozialen Praktiken einer bestimmten Scientific Community. An der Fachhochschule bilden wir Menschen in den Handlungsweisen von wissensintensiven, transdisziplinären communities of praxis aus. Media literacy oder network literacy ist nicht Wissen über Medien und auch nicht das mehr oder weniger automatisierte Beherrschen von bestimmten Handlungsabläufen, sondern das Beherrschen der Art und Weise, in denen bestimmte Gruppen mit Medien umgehen. Vielleicht sollte man eher zwischen zwei Formen oder zwei Ebenen von media literacy unterscheiden: Es gibt media literacy im (weiteren) Sinne des praktischen Umgangs mit Medien, und es gibt media literacy im (engeren) Sinne des Erlernens und Beherrschens der Praktiken von Gruppen, die durch Medien mitkonstituiert werden, die es also ohne Medien so überhaupt nicht gäbe.

Anders formuliert: network literacy im engeren Sinn besteht darin, Praktiken von Gruppen zu beherrschen, die durch das Web oder durch Netzmedien mitkonstituiert werden, die also ohne das Web gar nicht oder anders existieren würden. (Analog dazu könnte man sagen: Literarische Bildung besteht darin, die Praktiken von Gruppen zu beherrschen, die es ohne Literatur nicht oder so nicht gäbe.) Vermitteln von media literacy würde dann bedeuten: in die Praxis von Gruppen und damit in Gruppen einzuführen, die durch das Web oder Netzmedien konstituiert werden. Tatsächlich muss man den Ausdruck network literacy mit Jill Walker Rettberg im Plural verwenden, also von network literacies sprechen: Es gibt unterschiedliche soziale Gruppen, für die die Webkommunikation eine große Rolle spielt, und es gibt deshalb unterschiedliche Formen von Webkompetenz, zwischen denen aber so etwas wie eine Familienähnlichkeit besteht. (Der Ausdruck Gruppe ist hier nur ein Kürzel für soziale Entitäten, ich lasse ihn hier nur provisorisch undefiniert.)

Wenn ich erforschen will, wie network literacies vermittelt werden können, muss ich mich also damit beschäftigen, wie Menschen in die Praxis von Gruppen oder communities eingeführt werden (eingeführt werden können), für die die Kommunikation mit Netzmedien essentiell ist. Das Bedürfnis nach einer Vermittlung von network literacies wird in dem Maß wachsen, in dem mehr Gruppen auf Webkommunikation angewiesen sind, wobei sich besondere Formen der Netzkompetenz in webbasierten Unternehmen, in der Wissenschaft oder im Bereich von Medien und aktueller Information herausbilden soll. Die Vermittlung der Netzwerkkompetenz — das ist für mich das vorläufige Ergebnis dieser Überlegungen — ist die Einführung in die Kommunikationsform netzbasierter Communities und damit von der Teilnahme an solchen Gruppen nicht zu trennen.

Noch drei Tage bis zum PolitCamp — die Studenten und Kolleginnen, die mitorganisieren, haben sich sehr engagiert, nicht weil es ihr Job wäre, sondern weil sie wollen, dass die Veranstaltung ein Erfolg wird. Natürlich ist es hilfreich, dass wir die Infrastruktur der FH zur Verfügung haben. Trotzdem werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch die Veranstalter sein. Die Vorbereitung soll nur die Vorausstzungen dafür herstellen, dass ein selbstorganisiertes Event stattfinden kann.

Von der Regel, dass der Ablauf eines BarCamps am Morgen von den Teilnehmern geplant wird, sind wir nur an einem Punkt abgewichen: Wir haben einige feste Termine für Politikerinnen und Politiker eingeplant, die einen vollen Terminkalender haben und nur zu bestimmten Zeiten können. Ich glaube, dass das zu rechtfertigen ist, weil wir ja auch in die Politik hineinwirken möchten. Wir haben auch versucht zu erreichen, dass ein paar Themen schon vor dem Event benannt werden, damit sich mögliche Teilnehmer vorstellen können, was am Freitag und Samstag eigentlich stattfinden wird. Trotzdem versuche ich, den Leuten, die mich darauf ansprechen, klarzumachen, dass es bei einem BarCamp nicht vor allem auf Statements und Präsentationen, sondern auf die Fragen ankommt, und darauf, dass man Platz für Zufälle lässt. Bei den BarCamps, die ich bisher besucht habe, waren für mich die Gespräche mit Menschen am interessantesten, die ich vorher nicht oder kaum kannte, und die vielen Informationen und Ideen, auf die man bei einem solchen Event fast zufällig stößt. Zu einem guten Teil geht es bei einem BarCamp um das, was man auf Englisch als serendipity bezeichnet.

Was erwarte ich vom PolitCamp, warum mache ich bei der Vorbereitung mit? Ich möchte, dass so etwas wie ein lokaler Gesprächsraum entsteht, in dem diskutiert wird, wie sich die Politik hier in Österreich durch das Internet und die mobile Kommunikation verändert, verändern kann. Dabei stehen Internet und mobile Kommunikation für mich nicht nur für Technologien, sondern auch für soziale Tendenzen, für die Herausbildung der Netzwerkgesellschaft. Das Thema taucht in den Medien, in der Politik und in der PR immer wieder auf, aber es kommt nur selten zu einem Diskurs jenseits der Institutionen. Gerade ein solcher Diskurs ist aber wichtig, weil die vorhandenen Formen der Politik und der Öffentlichkeit aus der Zeit vor dem Netz stammen und zu einem großen Teil in einer Netzwerkgesellschaft nicht mehr zeitgemäß sind. Für mich wäre das PolitCamp dann erfolgreich, wenn es zu Geprächen führt, die sich fortsetzen — zum Beispiel bei weiteren PolitCamps.

Ein weiterer Aspekt ist für mich wichtig, weil ich an einer Fachhochschule unterrichte: Ich hoffe, dass interessierte Studenten und auch andere junge Leute mit der Welt des Web 2.0 und vor allem mit der Kultur in Berührung kommen, die zu ihr gehört. Dabei kommt es mir nicht auf eine große Menge von Teilnehmern an sondern auf Nachhaltigkeit bei einigen. Ich sehe das PolitCamp durchaus auch als Lehrveranstaltung und hoffe, dass sich Menschen beteiligen, die solche Events noch nicht kennen — mit eigenen Beiträgen und mit vielen Fragen an die anwesenden Digerati.

(Gepostet auch im PolitCamp-Blog)

Dan Gillmor formuliert Prinzipien einer neuen Medienbildung (leider scheint es für media literacy keine anderen Äquivalente zu geben als die hässliche Medienkompetenz und die überhöhte Medienbildung). In diesem kurzen Essay bleibt er sehr allgemein. Er fordert eine Medienerziehung, die der Demokratisierung der Medien Rechnung trägt. Prinzipien der herkömmlichen journalistischen Ethik wie Gründlichkeit, Genauigkeit und Fairness müssen Allgemeingut werden, wenn jede und jeder medial kommuniziert. Mit Unbehagen liest man, dass kritisches Denken in den amerikanischen Bildungseinrichtungen zunehmend als störend empfunden wird. Gillmor reflektiert in diesem Text nicht über den Gegensatz zwischen der Demokratisierung der Medienproduktion und der zumindest latent autoritären und konformistischen Haltung, die offenbar weite Teile des öffentlichen Lebens in den USA bestimmt (ich sage das mit aller Vorsicht, weil ich es selbst nicht beurteilen kann). Besteht zwischen beiden Phänomenen ein Zusammenhang?

Gillmor weist auf die Selbstverständlichkeit hin, dass Medienkompetenz nicht vor allem darin besteht, Techniken zu beherrschen, sondern darin, die Glaubwürdigkeit von Informationen beurteilen und rhetorische Mechanismen durchschauen zu können. Zum Schluss ein paar gute Sätze über Transparenz. Etwa:

It’s difficult, in fact, to name a business as opaque as journalism, the practitioners of which insist that others explain their actions but usually refuse to amplify on their own.

Frei übersetzt:

Tatsächlich findet man kaum eine Branche, die so undurchsichtig ist wie der Journalismus. Seine Vertreter bestehen darauf, dass andere ihre Handlungen erklären, lassen sich aber nur unwillig über ihre eigenen aus.

Antworten auf die Fragen, mit denen ich am Donnerstag nach Wien gefahren bin, habe ich in Molterers Rede zur Lage der Nation nicht bekommen. Um diese Themen ging es gar nicht bzw. nur indirekt oder am Rande. Veranstaltungen dieser Art sprechen vor allem die Aktivisten und Funktionäre der Partei an. Die Funktionäre huldigen ihrer Führung und dürfen sie dafür aus der Nähe erleben. Im Fall Willi Molterers tritt die Führungsfigur ihrerseits so bescheiden auf wie der Filialleiter einer Sparkasse. Charakteristisch für Großveranstaltungen mit Willi Molterer ist die Spannung zwischen der Inszenierung charismatischer Herrschaft (vorgestern im imperialen Ambiente des Redoutensaals) und der Selbstdarstellung des Vorsitzenden als verlässlicher, fast gehemmt wirkender Berufspolitiker. (Ausführliche Berichte gibt es im Standard und der Presse.) Die Kritik der Grünen dient leider nur dazu, Aufmerksamkeit auf die eigene Partei umzuleiten. Molterer hat nicht zur Zerstörung des Sozialstaats aufgerufen — wenn überhaupt, dann zu einer vorsichtigen weiteren Liberalisierung. Den Klimawandel hat er fast mit denselben Formulierungen wie in der Presseaussendung der Grünen als Chance für die Wirtschaft beschrieben.

Ein paar Kommentare — nur vorläufig; es fällt mir nicht leicht etwas zu dieser Veranstaltung zu sagen:

In Molterers Rede müsste ich mir die Aussagen, denen ich gar nicht zustimmen kann, mühsam heraussuchen: Ich finde seine Position zum Schulsystem schwach, und ich halte die Betonung einer restriktiven Linie in der Zuwanderungspolitik für populistisch und falsch. Molterer vertritt Mainstream- oder common sense-Positionen, gegen die nicht viel einzuwenden ist. Allerdings dürfte es schwer sein, Menschen für diese Positionen zu mobilisieren, die nicht Parteisoldaten sind.

Kommt eine Vorstellung von sozialem Wandel zum Ausdruck? Die ÖVP erkennt an — zum Teil sicher ungern — dass es inzwischen viele Formen der Familie gibt. Deutlich gesehen wird der demografische Wandel, die Überalterung der Gesellschaft. Klar zum Ausdruck kommt die Befürchtung, dass der Lebensstandard in Österreich angesichts von immer mehr internationaler Konkurrenz nicht mehr selbstverständlich ist. Aber Veränderungen in den sozialen Strukturen werden nicht gesehen. Überhaupt bleibt sehr blass, wie sich die Partei die Gesellschaft vorstellt. Wenn ich die Rede ihres Vorsitzenden und dem Applaus der Funktionäre an Schlüsselstellen richtig interpretiere, sieht sich die ÖVP nicht ungern als Partei derjenigen, die mit der Entwicklung der Gesellschaft und vor allem mit ihrer eigenen Rolle in dieser Gesellschaft zufrieden sind — früher hätte man gesagt: als Partei des juste milieu. Familie, Arbeit, und vorsichtig auch wieder: Vaterland. Partizipation — ein Leitmotiv in Molterers Rede — erscheint vor allem als Integration in feste, normale Verhältnisse.

Man kann gegen dieses Modell Ideologieverdacht erheben. Auch unabhängig davon stellt sich die Frage, ob ein solches Konzept auf Dauer genügen wird, um die österreichische Gesellschaft in den Dreivierteltakt zu bringen, von dem der Grazer Bürgermeister Nagel in seiner Einleitung sprach. Was passiert, wenn noch mehr Menschen sich als Opfer der Globalisierung sehen? Kann man mit diesem Modell Schritt mit den fortgeschrittenen europäischen Gesellschaften, mit Skandinavien und den Niederlanden halten? life long learning oder Wissensgesellschaft sind vielleicht ausgelutschte, aber noch nicht überflüssige Schlagwörter; in Molterers Rede kamen weder sie noch ein Pendant zu ihnen vor.

Es ist klar, dass man bei einer solchen Feiertagsrede nicht erkennen kann, ob und wie soziale Transformationen in einer Großpartei wie der ÖVP tatsächlich verstanden werden. Nach der Rede vorgestern bin ich mir noch sicherer, dass Schwarz-Grün für Österreich eine realistische und auch eine vernünftige Option ist. (Als der Grazer Bürgermeister Nagl in seiner Einleitung sagte, er könne sich ein schwarz-grüne Koalition auch auf Bundesebene gut vorstellen, gab es nicht gerade emphatischen, aber doch deutlichen Applaus.) Ich schreibe das nicht nur aus Sympathie für grüne Zielsetzungen; ich glaube, dass es der ÖVP selbst gut täte, sicher weiter in die Richtung grüner Politikkonzepte (Stichworte: Dezentralisierung, Heterogenität) zu öffnen — auch wenn sich das angesichts der aktuellen Auseinandersetzungen vielleicht absurd anhört. Bei einem Event wie am Donnerstag präsentiert sich die Partei als eine geschlossene Organisation, die große soziale Gruppen (in den Bünden) und die Regionen (durch die Landesorganisationen) repräsentiert. Ich glaube, dass das politische Modell, oder vielleicht eher: die politische Metaphorik hinter einem solchen Event für eine postindustrielle, vernetzte Gesellschaft viel zu rückwärtsgewandt ist.

Alexandra Nussbaumer von der ÖVP hat einige Blogger zur Rede zur Lage der Nation des Parteivorsitzenden eingeladen. Ausser mir folgen wohl nur Georg und Tom der Einladung.

Ich glaube, dass einige Bloggerkolleginnen und -kollegen nicht missbraucht werden möchten, und dass sie es für überflüssig halten von einem Ereignis zu berichten, dass schon von den Veranstaltern selbst ins Web gestreamt und breit kommuniziert wird. Warum fahre ich trotzdem hin? Ein Grund ist, dass Michi Mojzis und Alexandra Nussbaumer von der ÖVP Ende Mai zu unserem PolitCamp nach Graz kommen werden. Ich fände es unhöflich, mich nicht bei ihnen sehen zu lassen. Ich wäre aber auch sonst gefahren — weil ich es interessant finde, diese Partei und ihre Kommunikation zu verfolgen. Für mich ist es das dritte Großevent der ÖVP, dass ich beobachten kann, und ich hoffe, dass ich durch die Kontinuität einiges genauer wahrnehme.

Ich werde diesmal nicht versuchen, live mitzubloggen, weil das wahrscheinlich niemanden interessiert. (Ich werde auch nicht durch Parteitags-Tweets meine Twitter-Follower verschrecken.) Ich werde mich auf die Themen konzentrieren, die mich besonders interessieren: Informationstechnologie, Datenschutz und Bürgerrechte, Bildungspolitik. Außerdem interessiert mich jedes Anzeichen dafür, dass sich die interne Kommunikation der ÖVP verändert: Gibt es Hinweise darauf, dass sich die Partei selbst als ein soziales Netz versteht? Etwas spekulativer formuliert: Kann sich eine Partei wie die ÖVP von einem zentralistischen, hierarchischen Modell der Organisation und der Politik zu einem dezentralen, wissensorientierten Modell bewegen?

Die Kommunikationsleute der ÖVP laden Blogger ein, weil sie sich für die neue Medien jenseits der Broadcast-Medien interessieren. Die neuen Medien sind aber — professoral formuliert, sorry! — gar nicht vor allem Medien, sondern neue Kommunikations- und Organisationsformen. Kleine und große Gruppen von Menschen können sich vernetzen, kommunizieren und Ziele verfolgen, ohne sich an starre und ausgrenzende Organisationen zu binden. In Mitteleuropa ist diese neue Welt der Organisation und Kommunikation noch im Embryonalzustand; Amerika ist schon weiter, wie die Obama-Kampagne zeigt. Die politischen Parteien haben aber auch in Europa das Rentenalter erreicht, um im Bild zu bleiben. Können, wollen sie sich transformieren, einen neuen Aggregatzustand annehmen? Ist es z.B. denkbar, dass sie auf ihre Exklusivität verzichten? Dass sie die parteipolitisch eingefärbten spätabsolutistischen Verwaltungs- und Verteilungsapparate demontieren? Oder werden sie langsam aber sicher von neuen Formen der Organisation außerhalb der Parteien abgelöst werden? Mit dieser Frage besuche ich das ÖVP-Event heute; ich hoffe, dass ich sie auch einigen in der Partei persönlich stellen kann.