Eigentlich ist es erstaunlich, dass sich beim Bloggen in kurzer Zeit so etwas wie Best Practice-Regeln herausgebildet haben. Die Blogging Success Study der Northeastern University und der Firma Backbone Media (Dank für den Hinweis an Hannes Treichel!) formuliert diese Regeln für Corporate Blogger detailliert, gut belegt und sehr verständlich, ihre Ergebnisse lassen sich leicht auf andere Blogs übertragen.

Ich weiß, dass ich mich an einige dieser Regeln nicht oder nur teilweise halte. Als ich begonnen habe zu bloggen (allerdings nicht wirklich engagiert, weil ich damals nicht viel Zeit hatte und die Möglichkeiten dieser Schreibform wohl auch nicht erkannte), interessierte mich ein Weblog vor allem als eine Art öffentliches persönliches Archiv. Ich verstand es als Möglickeit, im Web präsent zu sein oder eine Identität zu haben, aber nicht so sehr als eine Gelegenheit, mich mit anderen zu unterhalten. Gerade weil ich selbst bloggte, hatte ich vielleicht auch zu wenig Vertrauen in diese Gattung, sie kam mir zu selbstverständlich vor, um das nach ein paar Jahren einsetzende „Metablogging“ zu rechtfertigen.

Für mich gehört es nach wie vor zum Bloggen, Fundstücke zu notieren und etwas mehr oder weniger mit Vorbehalt aufzuzeichnen — ohne schon zu wissen, was daraus wird. Nicht zufällig werden jetzt Tumblelogs in einer Art „back to the roots“-Bewegung populär. Tumblelogger sind das Gegenstück zu den verschiedenen Bindestrich- oder Camelcase-Bloggern, also den Edu-, Knowledge-, Polit- und Medienbloggern. Wahrscheinlich hat das Bloggen einen essayistischen Kern — „Essay“ leitet sich von „versuchen“, „kosten“, „probieren“ her.

Nach dieser Abschweifung zurück zu der Studie und den seriösen Coporate Bloggern. In den kommenden Tagen möchte ich einige Ergebnise der Studie in zwei oder drei weiteren Postings interpretieren. Die Fragen, die für mich dabei wichtig sind, hängen mit meiner Arbeit an einer FH zusammen:

  • Wie lässt sich die Verwendung sozialer Medien evaluieren? (Darin sehe ich ein Thema für die angewandte Forschung auf diesem Gebiet.)
  • Welche Kompetenzen braucht ein Autor / eine Autorin von sozialen Medien? (Ein für die Weiterentwicklung unseres Curriculums wichtiges Thema.)

Die Studie selbst zusammenzufassen ist nicht nötig; sie beginnt mit einer sehr guten, knappen Executive Summary. Bemerkenswert ist auch die Website zur Studie, auf der inzwischen eine Reihe der Interviewten die Ergebnisse kommentiert haben.

Barry Wellman und Jennifer Kayaharan haben untersucht, wie sich Webnutzer über Kultur informieren: Searching for culture — —high and low.1

To see how people actually fit the Internet into their lives, in this article we study how Torontonians search the Web for cultural activities, and how their offline searches intersect with their Web searches. Our research into the interplay of computer networks and social networks in the search for cultural information and activities is based on lengthy interviews conducted in 2005 with 84 English-speaking adult residents of the East York section of Toronto, Canada (Hogan, Carrasco, & Wellman, 2007; Wellman & Hogan, 2006).

Den Stamm der East Yorker erforschen Wellman und seine Mitarbeiter seit Jahren. Schon bevor das Web entstand, war die empirische Untersuchung sozialer Netzwerke Wellmans Thema. (Ich bin über Thomas Pleil auf Wellman gestoßen.)

Mich interessiert der Artikel vor allem methodisch. Meine Fragestellung dabei: Wie lässt sich die Wirkung sozialer Medien evaluieren? Kayahara und Wellman evaluieren nicht, sondern nehmen eine empirische Bestandsaufnahme vor. Lernen kann man nicht nur von ihrer Interviewtechnik, sondern auch davon, wie sie den Uses and Gratifications-Ansatz verwenden. Bei der Interpretation der Ergebnisse revidieren die Autorinnen das Zweistufenmodell für Kommunikationsflüsse:

Our findings also have implications for the model of the traditional two-step flow of communication. We suggest the existence of new steps, whereby people receive recommendations from their interpersonal ties, gather information about these recommendations online, take this information back to their ties, and go back to the Web to check the new information that their ties have provided them.

Mit ähnlichen Mitteln ließe sich auch erheben, wie sich Internet-Nutzer über bestimmte Ereignisse, Produkte usw. informieren — für eine Evaluierung ein wichtiger Ausgangspunkt. Fiktives Beispiel: Ein Unternehmen wird umorganisiert; bei der Umorganisation sind externe Berater beteiligt. In der internen Kommunikation werden soziale Medien verwendet: Manager und externe Berater (hoffentlich nicht nur sie) führen Weblogs; die Mitarbeiter können Vorschläge in einem Wiki publizieren. Durch Interviews wie die Wellmans und Kayaharas könnte man in verschiedenen Phasen des Prozesses herausfinden, wo sich die Mitarbeiter des Unternehmens über ihr Unternehmem informieren.

(Mir geht es zunächst darum, von einer metaphorischen zu einer empirisch überprübaren Verwendung von Begriffen wie „soziales Netz“, „mediales Netz“ zu kommen / Theorien kennenzulernen, die das leisten. Die Arbeiten Wellmans und seiner Schule scheinen mir da zentral.)

Etwas weiter gesponnen: Bei der Evaluierung von sozialen Medien sind „Social Information Retrieval“ und „Ambient Findability“ wichtige Stichwörter: Woher wissen die Benutzer etwas? Wo suchen sie Informationen? In welcher Beziehung stehen dabei soziale Netze, etwas zwischen Kolleginnen in einem Betrieb, zu medialen Netzen, etwa den Informationen im Intranet des Unternehmens? Das lässt sich leicht weiter ausdifferenzieren: Welche sozialen Netze sind für das Finden welcher Informationen relevant? Welche medialen Netze werden verwendet? In welcher Beziehung stehen sie zueinander? (Vertrauen spielt hier eine entscheidende Rolle, vor allem, wenn es explizit um Evaluierung geht. Wenn soziale Medien „funktionieren“, dann durch den Aufbau von Vertrauen, das die Verbindung eines sozialen und eines medialen Netzes erzeugt.)

1Auch die anderen Artikel dieser Ausgabe JCMC über Suche im Web sind interessant. Übersicht hier.