In diesem Blog habe ich in der letzten Zeit öfter über Wachstum und décroissance geschrieben. Aber außer in meiner Familie habe ich selten mit jemand darüber gesprochen. Beim letzten #coscamp habe ich zusammen Angelika Wohofsky eine Session zu Content-Marketing und Nachhaltigkeit moderiert. Dabei ist mir klar geworden, dass die Argumente gegen das Wachstum, mit denen ich mich seit über einem Jahr immer wieder beschäftige, für fast jeden in meinem Umfeld unbekannt und meist auch unverständlich sind. Seitdem arbeite ich an einem Text, in dem ich diese Argumente ordne und auf Fakten zu ihrer Unterstützung verweise1. Gleichzeitig frage ich mich, ob ich ideologisch argumentiere und mir eine Weltanschauung zusammenbastele—weniger persönlich formuliert: ob die radikale Kritik am Wirtschaftswachstum ideologisch ist.
Es gibt eine ideologische—man könnte aber auch sagen: philosophische, religiöse oder ästhetische—Dimension dieser Kritik, die sich nicht auf Tatsachen reduzieren lässt. In dieser Dimension geht es um das Akzeptieren von etwas Unverfügbarem. Wenn man die Verschiedenheit der biologischen Arten, die kulturelle Verschiedenheit und die Verschiedenheit der menschlichen Biografien nicht als positiv, erhaltenswert erfährt, dann kann man zwar Prognosen über die soziale, ökologische und ökonomische Entwicklung für wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich halten, aber diese Einschätzung nicht in eine Haltung übersetzen. Man kann dann auf der Basis der eigenen Interessen daran zweifeln, ob unser Wirtschaftssystem noch eine lange Zukunft hat. Aber auf der Basis der eigenen Interessen ist es vielleicht vernünftiger, noch so lange wie möglich von dieser Wirtschaftsform zu profitieren, als sie in Frage zu stellen.
Trotzdem ist für eine wachstumskritische Argumentation nicht diese ethische— manche würden sagen: wertorientierte—Haltung ausschlaggebend. Umgekehrt ist die Wachstumskritik antiideologisch, weil sie Begrenztheiten, nicht aufhebbare Beschränktheiten von Ressourcen akzeptiert—eine Klasse von Fakten die von jedem absolut gesetzten Wachstumsmodell ignoriert oder verdrängt werden. Das begrenzte CO2-Emissionsbudget der Menschheit ist im Augenblick die mit Abstand sichtbarste dieser Begrenzungen, aber nicht die einzige. Die Wachstumsideologie ignoriert die grundätzliche Begrenzheit von Ressourcen. Ich glaube, dass sie letztlich die Begrenztheit und Unverfügbarkeit der eigenen biologischen Existenz ignoriert wie ein Krebspatient, der sich gegen seine Diagnose wehrt. Die Wachstumskritik argumentiert mit Fakten, die dieser ideologischen Ignoranz widersprechen. Sie insistiert auf bestimmten, wenn man so will: banalen Tatsachen wie der begrenzten Belastbarkeit der Atmosphäre mit Kohlendioxid. Mich erinnert das an Galileis Bestehen auf banalen, aber beobachtbaren Fakten wie der Existenz der Jupitermonde. Es kann ideologisch sein, Kritik an Aussagen über solche Fakten abzulehnen, sie nicht für grundsätzlich auch falsifizierbar zu halten. Aber es ist erst recht ideologisch, den Hinweisen auf solche Begrenztheiten Wunschvorstellungen entgegenzuhalten wie die von Technologien, die das CO2 aus der Atmosphäre holen, oder von einem Wirtschaftswachstum, das keine Ressourcen verbraucht.
Warum schreibe ich in meinem Blog darüber? Weil ich hier versuche, auf die Informationen, auf die Texte zu reagieren, die mir, mehr oder weniger zufällig, begegnen. Wachstum und Fortschritt gehören zu den Mustern, die ich in diesen Texten und in meinen eigenen finde. Ich habe wahrscheinlich kaum einen Text geschrieben, in dem ich mich nicht auf Prozesse, technologische und soziale Entwicklungen beziehe, die immer auch Wachstumsprozesse sind. Wachstumskritik ist nicht nur ein Inhalt, über den ich schreibe, sondern sie hat Auswirkungen darauf, was und wie ich schreibe. Sie ist für mich ein neues und zu erforschendes Lektüreraster.
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Hier ein paar Links, die ich für Präsentationen verwenden möchte, wobei für mich The Divide von Jason Hickel, deutsch Die Tyrannei des Wachstums, und Georgescu-Roegens La décroissance.
Entropie – Écologie – Économie gerade die wichtigsten Ausgangspunkte sind: Das Mercator-Research-Institute stellt in einer Klima-Uhr dar, wie groß das verbleibendes CO2-Budget der Menschheit ist, wenn man die Zahlen des Weltklimarats zugrunde legt. Den CO2-Wert der Atmosphäre findet man tagesaktuell hier: Täglich CO2. Die Keeling-Kurve, die das Ansteigen des CO2-Gehalts der Atmosphäre zeigt, wird täglich aktualisiert getwittert: @Keeling_curve. Der Ökonom David Woodward hat 2015 in Incrementum ad Absurdum: Global Growth, Inequality and Poverty Eradication in a Carbon-Constrained World berechnet, dass weiteres kontinuierliches Wachstum bei optimistischen Prognosen in 120 bis 200 Jahren dazu führen würde, dass die 60%, die jetzt global weniger als 5$ pro Tag zur Verfügung haben, diese Schwelle überschreiten. Das weltweite Durchschnittseinkommen müsste dann in diesem linearem Modell bei jährlich 1,3 Millionen Dollar liegen, und der Verbrauch 175mal über dem jetzigen Level. ↩
Vielen Dank für die Erwähnung. Auch ich war erstaunt, dass meine Gedanken, sich einer klimaschonenden Agenda als Marketeer freiwillig zu unterziehen, vielen Kollegen neu ist. Auch die Tatsache, dass man im Content Marketing eine Mitverantwortung übernimmt für das, was man bewirbt, was man mit Marketingmaßnahmen pusht, scheint so noch wenig angedacht worden zu sein.
Ich jedenfalls habe meinem Unternehmen, WOHOFSKY MARKETING, das mit Juli 2019 startet, eine Nachhaltigkeitsagenda verordnet, indem all jene Dinge getan werden, die zum Klimaschutz beitragen. Im Wesentlichen sind das:
√ keine Flugreisen
√ Autofahrten bündeln
√ Ökostrom beziehen
√ kein Wasser in Flaschen kaufen – stattdessen sprudeln statt schwer schleppen 😉
√ weitestgehend papierloses Büro
√ Bäume spenden
√ regionale Lebensmittel und Fairtrade/Bioprodukte verwenden
usw. usw…
…ökologisch orientierten Unternehmen als Kunde biete ich zudem einen Rabatt auf Beratungsleistung.