Anfang der vergangenen Woche war ich auf der re:publica. Ich habe vor allem Sessions zur Information und Desinformation über die Klimakrise und die mit ihr verbundenen Krisen besucht. Ich bin auf viel Neues gestoßen, aber ich kann noch kein persönliches Fazit daraus ziehen. Mir ist nicht klar, ob und wie sich die vielen Vorträge und Diskussionen, die ich mitbekommen habe (die meisten von ihnen kann man auf YouTube ansehen) als Teile des Events verstehen lassen, zu dem sie gehören: Die re:publica ist ja nicht nur eine Sammlung interessanter Einzelinhalte, sondern ein Treffen der Szene, die an digitaler Kommunikation und an demokratischer Politik interessant ist. Als Besucher habe ich eine kommentierte Wasserstandsmeldung dazu erwartet, wo sich die digitale Öffentlichkeit gerade befindet. Aber die Meldung schält sich für mich noch nicht aus den vielen Kommentaren heraus, die ich bisher gehört und gesehen habe.

In den drei Tagen ist für mich die Bedrohung der Institutionen und Organisationen, die einen demokratischen Diskurs tragen können, als zentrales Thema deutlich geworden – und die Notwendigkeit, mit dieser Bedrohung offensiv umzugehen. Aber ich habe noch zu wenig verstanden, in welcher Beziehung dieses Thema zum Thema der diesjährigen re:publica („Generation X, Y und Z“) steht. Bei der Eröffnung hat Johnny Häusler diese drei Generationen digital definiert: als eine Generation, die die Computer demokratisiert hat und Systeme hacken kann („Generation X“), als eine Generation, die das Internet zu einem Community-Space gemacht hat („Generation Y“) und als eine Generation, für die digitale Technologien und Öffentlichkeiten selbstverständlich geworden sind und die sich von den bisherigen Bindungen an Räume gelöst hat („Generation Z“). Es wäre interessant, dieses digitale Verständnis der Generationen in Beziehungen zur Wahrnehmung der Veränderung und Zerstörung der Lebensgrundlagen durch diese Altersgruppen (und durch meine Generation, die lange davor geboren wurde) zu bringen. Während der re:publica hatte ich den Eindruck, dass die biologische Seite des Begriffs der Generation nicht zum Thema wurde. Das lag allerdings vielleicht nur an der Auswahl der Sessions, die ich besucht habe.

Nervosität und Planetary Health Check

Besonders interessiert hat mich Johan Rockströms Vortrag „Decisive Decade: From Global Promises to Planetary Action“ (Rockström, 2025). Auch er ist online auf YouTube verfügbar.

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Es gibt mehrere ähnliche Vorträge von Johan Rockström im Netz. Von ihnen unterschied sich diese Keynote durch ihren Ort und ihren Aktualitätsbezug, aber auch durch zum Teil andere und anders organisierte Inhalte.

Rockström hielt den Vortrag, an dem Tag, an dem die WMO ihre aktuelle Zehnjahresprognose (World Meteorological Organization, 2024) veröffentlichte. Darin stellt sie fest, dass sehr wahrscheinlich auch eines der kommenden 5 Jahre heißer sein wird als 1,5°. Rockström betonte immer wieder die „Nervosität“, mit der in der Wissenschaft die aktuellen Daten zur Erhitzung der Erde aufgenommen werden.

Die Strukturierung des Vortrags auf der re:publica macht die Argumentation meiner Meinung nach noch klarer als z.B. Rockströms neuer Ted-Talk (Rockström, 2024b) (über den ich vor einiger Zeit gebloggt habe). Als Reflexion und ausführlichere Begründung dieser Struktur kann man ein neues Paper Rockstöms lesen (Rockström, 2024a). Rockström und die von ihm koordinierten Arbeitsgruppen ziehen Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen dreier großer Forschungsbereiche:

  • Forschungen zur Großen Beschleunigung
  • Forschungen zu den Besonderheiten des Holozäns
  • Forschungsergebnissen zur Erde als einem selbstregulierenden System und zu den Kipp-Elementen des Klimasystems.

Das Konzept der planetary boundaries, das vor allem auf Johan Rockström zurückgeht, integriert die Ergebnisse dieser Forschungen zu einem diagnostischen Framework: Es erlaubt festzustellen, wie groß das Risiko ist, dass das Erdsystem sich unwiderruflich von den Bedingungen des Holozän entfernt.

Grund für die Nervosität, von der Rockström spricht, sind Entwicklungen der Jahre 2023 und 2024 wie die sprunghafte Erhöhung der Temperaturen der Luft und der Meeresoberfläche und das Umkippen großer Waldgebiete von CO2-Senken zu CO2-Quellen. Was sich gerade im Erdsystem verändert, ist wissenschaftlich noch nicht ganz verstanden. Das Risiko dafür, dass dieses System sich so unwiderruflich von den Holozänbedingungen entfernt, dass sich auch Holozän-ähnliche Bedingungen nicht mehr aufrechterhalten lassen, ist deutlich größer geworden. Ausführlich informiert darüber der „Planetary Health Check Report 2024“ (Caesar et al., 2024), zu dessen Herausgebern Rockström gehört.

The party is over, not the game

In der letzten Folie seiner Keynote zitierte Rockström Billie Eilishs When the party’s over – auch eine Anspielung auf die Generation Z. Rockström versuchte in seinem Vortrag, die Dramatik der aktuellen Situation des Erdsystems verständlich werden zu lassen, aber auch deutlich zu machen, dass es noch Handlungsmöglichkeiten gibt. Sein Vortrag endete mit der Feststellung: „The game ist not over.“ Er war ein Appell, die Handlungsmöglichkeiten, die es noch gibt, nicht ungenutzt zu lassen – nicht abzuwarten, bis sich das noch offene window of opportunity zur Bewahrung eines wenigstens Holozän-artigen Zustand des Erdsystems geschlossen hat.

Rockströms Vortrag war nicht so gut besucht, wie er es verdient hätte. Klimakrise und der Zustand des Erdsystem standen nicht im Fokus dieser re:publica – darin wich sie nicht von medialen Mainstream ab. Der Trumpismus und „KI“ beherrschten die Szene. Eine Wirkung der epistemic crisis besteht darin, dass der Kampf gegen die Desinformation die Aufmerksamkeit von Informationen ablenkt, die viel relevanter sind als das Reality TV aus dem Weißen Haus und die Botschaften der Tech Bros.

Mich hat überrascht, dass einige meiner Bekannten und Freunde – Menschen, die ich schon auf einigen re:publicas getroffen habe und die sich mit sozialen Medien beschäftigt haben, bevor sie Mainstream wurden – den Name Rockströms nicht kannten. Es gibt noch immer einen Graben zwischen der Digitalszene, die sich auf der re:publica trifft, und der „ökologischen Klasse“. Rockström hat versucht, diesen Graben zu überbrücken. In ihrer Alleinstellung auf der re:publica hat seine Keynote aber auch deutlich gemacht, dass eine „Politik der Erde“ in großen Teilen der digitalen Öffentlichkeit noch immer als exotisch wahrgenommen wird – als etwas, das mit der eigenen Praxis wenn überhaupt, dann nur sehr indirekt verbunden ist.

Nachweise

Caesar, L., Sakschewski, B., Anderson, L. S., Beringer, T., Braun, J., Dennis, D., Gerten, A., Heilemann, A., Kaiser, J., Kitzmann, N. H., Loriani, S., Lucht, W., Ludescher, j., Martin, M., Mathesius, S., Paolucci, A., te Wierik, S., & Rockström, J. (2024). Planetary Health Check Report 2024 (1). Potsdam Institute for Climate Impact Research. https://publications.pik-potsdam.de/rest/items/item_30275_5/component/file_30276/content
Rockström, J. (2024a). Reflections on the past and future of whole Earth system science. Global Sustainability, 7, e32. https://doi.org/10.1017/sus.2024.15
Rockström, J. (2024b, July). The tipping points of climate change — and where we stand [Videoaufnahme mit Transcript auf der TED-Website]. TEDCountdown@BloombergGreenFestival. https://www.ted.com/talks/johan_rockstrom_the_tipping_points_of_climate_change_and_where_we_stand
Rockström, J. (2025, May 28). Decisive Decade: From Global Promises to Planetary Action [Keynote; YouTube-Video]. https://www.youtube.com/watch?v=Nq2QAVA32NM
World Meteorological Organization. (2024). WMO Global Annual to Decadal Climate Update 2024-2028. World Meteorological Organization. https://library.wmo.int/idurl/4/68910
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