Ich wollte am Dienstag in Wien bei einem XR-Café einen Vortrag unter dem Titel „Aktuelles zum Klima-Kollaps“ halten. Es ist nicht dazu gekommen – es waren so wenige Menschen gekommen, dass ich den Vortrag vielleicht beim nächsten Café am 13.5. halten werden.

Notizen für diesen Vortrags habe ich in mein Github-Repository „Klimaberichte“ gestellt, sie sind hier via Github Pages als Webseite zugänglich. Sie werden sich vermutlich noch verändern.

Ich will hier nicht wiederholen, was sich dort findet: in einem Blogpost bin ich mit weitgehenden Behauptungen vorsichtiger als in einem auf informelle Gespräche ausgerichteten Vortrag. Es ist beim Schreiben schwieriger als im Gespräch, die eigenen Gedanken zu relativieren und in Frage zu stellen. Ich möchte vermeiden pseudowissenschaftliche Aussagen zu formulieren – und dazu kommt es schnell, wenn man sich als Nichtwissenschaftler zu wissenschaftlichen Ergebnissen äußert. Hier ein paar Reflexionen zum Thema:

„State of the Climate“

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Ich wollte in dem Vortrag vor allem auf einige Texte (und sie begleitendes Material) zum aktuellen Stand der Klimakatastrophe aufmerksam machen. Ausgangspunkt ist dabei für mich der letzte Report der World Meteorological Organization (World Meteorological Organization, 2025), der zentrale Informationen zur Entwicklung des Klimas 2024 gut zusammenfasst – vor allem, weil er sich auf wichtige Indikatoren (Globale Oberflächentemperatur, Wärmegehalt der Ozean u.ä.) konzentriert. Die World Meteorological Organization hat den Bericht hier auf ihrer Website sehr gut für Nicht-Fachleute aufbereitet.

Außerdem wollte ich auf zwei weitere wichtige Synthesen zum State of the Climate bzw. des Erdsystems hinweisen: den „2024 State of the Climate Report“ einer Gruppe der bekanntesten Klimawissenschaftler:innen mit dem Titel „Perilous times on planet Earth“ (Ripple et al., 2024) und den „Planetary Health Check Report 2024“ (Caesar et al., 2024) des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, zu dem es hier ebenfalls eine sehr gute Website gibt. An allen drei Dokumenten kann man sich als Nicht-Klimawissenschaftlerin oder Nicht-Klimawissenschaftler orientieren, um den – dramatischen – Stand der Dinge zu erfahren.

Energie-Ungleichgewicht und Erhöhung der Meeres-Oberflächentemperaturen

Darüber hinaus plante ich auf zwei Studien aufmerksam machen, die mir in den letzten Wochen aufgefallen sind. Beide kommen mir sehr relevant für Aussagen zur zukünftige Entwicklung des Klimas vor.

In der ersten dieser Studien (Merchant et al., 2025) geht es darum, dass das Energie-Ungleichgewicht der Erde mit hoher Wahrscheinlichkeit dafür verantwortlich ist, dass die Oberflächentemperaturen der Ozeane in den letzten 20 Jahren doppelt so schnell gestiegen sind wie in den 20 Jahren davor. (Die Studie wird ausführlich in einer Folge des sehr hörenswerten Podcasts „Das Klima“ vorgestellt und in den Shownotes zusammengefasst.)

Datengestützte Prognose der zukünftigen Entwicklung der Oberflächentemperatur der Ozeane. Der schattierte Bereich entspricht den Voraussagen aufgrund der bekannten Daten und liegt deutlich über einem linearen Anstieg. (Abb. 4 ausMerchant et al., 2025)

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Das Energie-Ungleichgewicht ist das Misssverhältnis zwischen der von der Erde aufgenommenen Sonnenenergie und der wieder ins Weltall abgestrahlten Energie. Dieses Missverhältnis entsteht durch den zunehmenden Treibhauseffekt und führt zu einer langfristigen Aufheizung der Erde. Dabei wird 90% der zusätzlichen Energie von den Meeren aufgenommen.

Die Studie zum Zusammenhang von Energie-Ungleichgewicht und Steigerung der Temperatur der Meeresoberfläche ist mir aufgefallen, weil in einem Bericht der bisherigen Anthropozän-Arbeitsgruppe (Görg et al., 2020) ausführlich auf die Bedeutung dieses Energieungleichgewichts und die Wahrscheinlichkeit einer langandauernden weiteren Erwärmung der Erde eingegangen wird. In diesem grundlegenden Bericht wird auch positiv auf die These von James Hansen und seinem Team zum „Global warming in the pipeline“ (Hansen et al., 2023) eingegangen, die von vielen Klimawissenschaftler:innen sehr skeptisch aufgenommen worden ist. Hansen zufolge wird das bereits bestehende Energie-Ungleichgewicht zu einer zusätzlichen Erhitzung der Erde um mehrere Grad führen, selbst wenn die Wirtschaft keine zusätzlichen Treibhausgase mehr emittiert. Ich kann nicht beurteilen, wie relevant die neuen Forschungen zu Folgen des Energie-Ungleichgewichts sind, um Hansens These zu bestätigen oder zu entkräften, aber sie zeigen, wie wichtig der Klima-Indikator Energie-Ungleichgewicht ist. Die Autoren der Studie warnen in ihren Schlussfolgerungen davor, die weitere Entwicklung der Temperaturen der Erde zu optimistisch einzuschätzen, und diese Warnung ist durch ihre Forschungen auch dann gut begründet, wenn Hansens These nicht zutreffen sollte.

Klimasensitivität und Kohlenstoff-Feedback-Mechanismen

Zu einer ganz ähnlichen Warnung kommt die Studie zu Klimasensitivität und Kohlenstoff-Feedback-Mechanismen (Kaufhold et al., 2025), die kurz in diesem Artikel (APA, 2025) im Standard zusammengefasst wird. Diese Studie stellt dar, zu welchen Ergebnissen man kommt, wenn man bei Modellierungen der zukünftigen Klimaentwicklung die Unsicherheit hinsichtlich der Klimasensitivität und der Kohlenstoff-Feedback-Mechanismen berücksichtigt. Bezieht man beides ein, ergibt sich ein deutlich höheres Risiko für steilere Erhitzungskurven.

Mögliche zukünftige Temperaturentwicklungen unter Einbezug von Unsicherheiten hinsichtlich der Klimasensitivität und von Kohlenstoff-Feedback-Prozessen. Die Kurven sind drei Szenarien des Weltklimarats zugeordnet. Zum Verständnis der Szenarien: Klimawandel: Weltklimarat zeigt fünf mögliche Szenarien für die Zukunft auf. (Abb. 4 aus Kaufhold et al., 2025)

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Unter „Klimasensitivität“ versteht man die Temperaturerhöhung, zu der es kommt, wenn die Treibhausgase in der Atmosphäre sich verdoppeln. Auf das CO2 bezogen heisst das: wenn sein Anteil an der Atmosphäre also statt der 280ppm der vorindustriellen Zeit 560ppm beträgt. Der IPCC geht – grob gesagt – von einer Klimasensitivität von ~3° Celsius aus. Es könnte aber sein, dass sie deutlich höher liegt.

Diese zweite Studie hat mich interessiert, weil ich in der Berichterstattung zur Klimaforschung im vergangenen Jahr immer wieder Hinweise dazu gefunden hatte, dass durch die Erhitzung (und andere Faktoren) die CO2-Senken der Erde nicht mehr so funktionieren wie bisher, dass man sich also viel weniger als angenommen oder erhofft darauf verlassen kann, dass in Wirtschaftsprozessen erzeugtes CO2 biologisch abgebaut wird. In der Studie selbst steht unter den Kohlenstoff-Feedback-Mechanismen das Auftauen des Permafrosts im Vordergrund, durch den Methan emittiert wird. Auch in dieser Studie wird keine Prognose getroffen, aber festgestellt, dass das Risiko eines noch schnelleren als des bisher erwarteten Temperaturanstiegs deutlich größer ist als bisher angenommen.

Die Schlussfolgerung aus beiden Studien muss sein, die weitere Erhitzung der Erde durch Emissionen von Treibhausgasen sofort zu beenden, also das Gegenteil der Politik zu betreiben, die gerade selbst die viel zu vorsichtigen Net Zero-Ziele der EU relativiert.

„Uncharted Territory“

Ich wollte in der Einleitung meines Vortrags in Frage stellen, dass Nachrichten zu Klima und Klimaforschung nur wiederholen, was jeder schon weiss – auch wenn sich die Ereignisse verschlimmern. Die Überschrift „Same shit, different year“, die ich am Dienstag im Guardian gefunden habe (Readfearn, 2025), drückt dieses Gefühl aus – und verstärkt damit eine Haltung der Gewöhnung an etwas Schreckliches, gegen das sich nichts unternehmen lässt. Ich wollte sagen, dass 2024 eben nicht nur Entwicklungen weitergegangen sind, die es 2023 schon gab und die es 2025 wieder gegeben haben wird. 2024 gab es eine Vielzahl von – allerdings durchgängig bösen – Überraschungen.

Die Klimakatastrophe ist kein linearer historischer Prozess, sondern eher eine historische Phase (oder ein Element der historischen Phase nach dem Ende des Holozäns), in der es zu einer Vielzahl von nicht vorhersehbaren Ereignissen und Entdeckungen kommt. Der Bericht „State of the Climate 2023“ (Ripple et al., 2023) – der Vorgänger eines der Berichte, auf die ich oben für 2024 hingewiesem habe – spricht vom Eintritt in ein „uncharted territory“. In diesem Gebiet treten sich selbst verstärkende und andere nichtlineare Entwicklungen in den Vordergrund – in der Realität der Extremwetterereignisse und der compound events (Holthaus, 2025), in der Forschung, die immer komplexere Verhältnisse modelliert, und auch in der Politik. Es ist sicher, dass sich die Klimakatastrophe weiter verschlimmern wird – das ist ein linearer Prozess. Aber es kommt zu immer mehr Ereignissen und Entwicklungen, die nur durch diesen linearen Prozess möglich geworden sind, sich aber nicht auf ihn zurückführen lassen und nicht voraussagbar waren. Diese Ereignisse und Entwicklungen lassen sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen, aber durch die Beziehungen, in denen sie zueinander stehen, verändern sie die Handlungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten. Wir müssen sie in der Klimabewegung als qualitative Veränderungen unserer Umgebung ernstnehmen.

Nachweise

APA. (2025, March 24). Studie: Erde könnte sich noch intensiver erwärmen als gedacht. DER STANDARD. https://www.derstandard.at/story/3000000262699/erderw228rmung-laut-studie-langfristig-wom246glich-intensiver-als-gedacht
Caesar, L., Sakschewski, B., Anderson, L. S., Beringer, T., Braun, J., Dennis, D., Gerten, A., Heilemann, A., Kaiser, J., Kitzmann, N. H., Loriani, S., Lucht, W., Ludescher, j., Martin, M., Mathesius, S., Paolucci, A., te Wierik, S., & Rockström, J. (2024). Planetary Health Check Report 2024 (1). Potsdam Institute for Climate Impact Research. https://publications.pik-potsdam.de/rest/items/item_30275_5/component/file_30276/content
Görg, C., Plank, C., Wiedenhofer, D., Mayer, A., Pichler, M., Schaffartzik, A., & Krausmann, F. (2020). Scrutinizing the Great Acceleration: The Anthropocene and its analytic challenges for social-ecological transformations. The Anthropocene Review, 7(1), 42–61. https://doi.org/10.1177/2053019619895034
Hansen, J. E., Sato, M., Simons, L., Nazarenko, L. S., Sangha, I., Kharecha, P., Zachos, J. C., Von Schuckmann, K., Loeb, N. G., Osman, M. B., Jin, Q., Tselioudis, G., Jeong, E., Lacis, A., Ruedy, R., Russell, G., Cao, J., & Li, J. (2023). Global warming in the pipeline. Oxford Open Climate Change, 3(1), kgad008. https://doi.org/10.1093/oxfclm/kgad008
Holthaus, E. (2025, January 9). The Los Angeles wildfires are climate disasters compounded. The Guardian. https://www.theguardian.com/world/2025/jan/09/los-angeles-wildfires-climate-disasters
Kaufhold, C., Willeit, M., Talento, S., Ganopolski, A., & Rockström, J. (2025). Interplay between climate and carbon cycle feedbacks could substantially enhance future warming. Environmental Research Letters, 20(4), 044027. https://doi.org/10.1088/1748-9326/adb6be
Merchant, C. J., Allan, R. P., & Embury, O. (2025). Quantifying the acceleration of multidecadal global sea surface warming driven by Earth’s energy imbalance. Environmental Research Letters, 20(2), 024037. https://doi.org/10.1088/1748-9326/adaa8a
Readfearn, G. (2025, April 3). “Same shit, different year”: Australia records hottest 12 months and warmest March on record. The Guardian. https://www.theguardian.com/environment/2025/apr/03/australia-records-hottest-12-months-and-warmest-march-weather-on-record
Ripple, W. J., Wolf, C., Gregg, J. W., Rockström, J., Mann, M. E., Oreskes, N., Lenton, T. M., Rahmstorf, S., Newsome, T. M., Xu, C., Svenning, J.-C., Pereira, C. C., Law, B. E., & Crowther, T. W. (2024). The 2024 state of the climate report: Perilous times on planet Earth. BioScience, biae087. https://doi.org/10.1093/biosci/biae087
Ripple, W. J., Wolf, C., Gregg, J. W., Rockström, J., Newsome, T. M., Law, B. E., Marques, L., Lenton, T. M., Xu, C., Huq, S., Simons, L., & King, S. D. A. (2023). The 2023 state of the climate report: Entering uncharted territory. BioScience, biad080. https://doi.org/10.1093/biosci/biad080
World Meteorological Organization. (2025). State of the Global Climate 2024 (1368).

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