Ich will mich bei den Mitorganisatoren des PolitCamps nicht rituell bedanken. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass viele Menschen hinter dem Event standen. Vielleicht möchten auch Leute, die ähnliche Events vorbereiten, erfahren, wer und wie viele bei uns mitgearbeitet haben. Deshalb hier eine kurze Vorstellung der Beteiligten.

Noch eine Bemerkung vorab: Die Organisation war aufwändig, und wir haben mit einem ziemlich großen Team gearbeitet. Für ein normales Barcamp wäre das wahrscheinlich Overkill.

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Boris Böttger, Tina Fleck, Maria Reisinger und Tanja Schönbacher
Foto: Regina Joschika

Beim Politcamp trafen aber, wie Michael das am Samstagmorgen beschrieben hat, verschiedene Systeme aufeinander, außer der Politik, den (eher abwesenden) Massenmedien und dem System Social Media (oder wie immer man es nennen will) auch noch das System Hochschule.

Entstanden ist die Idee auf anderen österreichischen Barcamps, die ich in den letzten zwei Jahren besucht habe, zum Teil mit meinen Kollegen Boris und Karin. Vor allem auf den Barcamps selbst haben wir sie diskututiert. Gut erinnere mich noch an die Gespräche mit Markus, Olaf, Helmuth, Hannes, Helge, David (der leider am Wochenende nicht dabei war) und anderen. Sie haben alle bei der Vorbereitung mitgemacht. Ich weiß, dass Markus viel unternommen hat, um PR-Agenturen anzusprechen. Es liegt sicher nicht an ihm, dass es in dieser Szene kaum Interesse am Thema gibt.


Karin Raffer
Foto: Helge Fahrnberger

Wie wir das Treffen angelegt haben, geht zu einem großen Teil auf Karin zurück. Hauptziel: Kommunikation zwischen Leuten, die sich mit politischer Kommunikation mit two-way-Medien aktiv beschäftigen, Barcamp als Format, Beschränkung zunächst auf Österreich. [Tina](http://tinafleck.com/) hat sich um alles Grafische und um die Organisation des Fests im Kunsthaus gekümmert, [Tanja](http://www.fh-joanneum.at/aw/home/Studienangebot/fachbereich_internationale_wirtschaft/juk/Menschen/Team/~baqn/juk_teamdetails/?perid=4295252287&lan=de) um das Finanzielle und das Controlling (wichtig an einer österreichischen Fachhochschule).

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Boris Böttger

Einen guten Teil der Sponsoren verdanken wir den Kontakten von Heinz Fischer. Boris hat die ganze technische Abwicklung gemanagt.

Seit Oktober hat sich außerdem eine Gruppe von Studenten das PolitCamp inhaltlich vorbereitet und unter anderem PR gemacht, Vertreter von Parteien und Organisationen und bloggende Politiker kontaktiert, den amerikanischen Wahlkampf beobachtet, das blog gestartet: Maria Stradner, Karoline Lorber, Regina Joschika, Carina Jöbstl, Margit Kubala, Stefan Hofer und Joe Puschitz (Seite ihres Jahrgangs hier) —

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Stefan Hofer
Foto: Regina Joschika

alles zu einem großen Teil außerhalb von Lehrveranstaltungen und ohne Gegenleistungen in Form von Noten. Eine der angenehmsten Erfahrungen bei der Vorbereitung: Es hat sich eine Gruppe gebildet, bei der die Unterschiede zwischen Lehrenden und Studierenden eine immer geringere Rolle spielten. Schon um noch einmal mit dieser Gruppe zusammenzuarbeiten, würde ich im nächsten Jahr gerne wieder ein PolitCamp organisieren, egal ob innerhalb oder außerhalb der FH.

Es haben noch mehr Leute mitgemacht, und die Genannten haben mehr getan, als ich hier aufschreibe. Für alle bedeutete das immer wieder Stress — ich hoffe nur, dass ich davon nicht zu viel selbst verschuldet habe. Beim nächsten Mal schaffen wir es dann ganz entspannt.

(Update, 4. Juni: Ich ergänze noch ein paar Fotos.)

Ein paar Überlegungen zur Vermittlung von Webkompetenz. Wenn ich damit etwas völlig Banales oder Naives schreibe, bitte ich (nicht aus affektierter Bescheidenheit) um Nachsicht oder um Präzisierungen und Hinweise; es geht mir hier vor allem um eine Selbstverständigung.

Ich habe mir neulich aufgeschrieben, dass Wissen immer Wissen von Gruppen ist, dass es kein isoliertes Wissen von Individuen gibt. Wenn diese These stimmt, dann ist Lernen, also das Erwerben von Wissen, immer das Erlernen des Verhaltens oder der Handlungsweisen bestimmter Gruppen. Es kann dann kein Lernen geben, das nicht soziales Lernen ist — auch wenn die Gruppen, in denen und für die das Lernen stattfindet, sich selbst nicht unbedingt oder meist nicht als Gruppen verstehen, sondern als Agenten von übersozialen Größen, z.B. einer Wissenschaft oder des Rechts.

Das bedeutet nicht, Wissen im Sinne von Sachwissen zu relativieren, also es zu einer Gruppenideologie zu erklären, hinter der man dann die wahren, nämlich die sozialen Verhältnisse entdecken kann. Im Sinne der Actor Network Theory würde ich soziale Gruppen eher als auch durch materielle oder nichtmenschliche Aktanten mitkonstituiert verstehen, wobei diese Aktanten einerseits in der Gruppe repräsentiert oder übersetzt werden und sie andererseits die Gruppe strukturieren.

Ich will darauf hinaus, das Lernen immer auch das Lernen der Praxis oder der Praktiken in bestimmten sozialen Gruppen ist. Wer Jura studiert, erwirbt nicht vor allem Wissen über das Recht, sondern er erlernt bestimmte juristische Praktiken, z.B. bestimmte Beweis- und Begründungsstrategien. Wer eine Wissenschaft studiert, erlernt die Forschungs- und damit auch die sozialen Praktiken einer bestimmten Scientific Community. An der Fachhochschule bilden wir Menschen in den Handlungsweisen von wissensintensiven, transdisziplinären communities of praxis aus. Media literacy oder network literacy ist nicht Wissen über Medien und auch nicht das mehr oder weniger automatisierte Beherrschen von bestimmten Handlungsabläufen, sondern das Beherrschen der Art und Weise, in denen bestimmte Gruppen mit Medien umgehen. Vielleicht sollte man eher zwischen zwei Formen oder zwei Ebenen von media literacy unterscheiden: Es gibt media literacy im (weiteren) Sinne des praktischen Umgangs mit Medien, und es gibt media literacy im (engeren) Sinne des Erlernens und Beherrschens der Praktiken von Gruppen, die durch Medien mitkonstituiert werden, die es also ohne Medien so überhaupt nicht gäbe.

Anders formuliert: network literacy im engeren Sinn besteht darin, Praktiken von Gruppen zu beherrschen, die durch das Web oder durch Netzmedien mitkonstituiert werden, die also ohne das Web gar nicht oder anders existieren würden. (Analog dazu könnte man sagen: Literarische Bildung besteht darin, die Praktiken von Gruppen zu beherrschen, die es ohne Literatur nicht oder so nicht gäbe.) Vermitteln von media literacy würde dann bedeuten: in die Praxis von Gruppen und damit in Gruppen einzuführen, die durch das Web oder Netzmedien konstituiert werden. Tatsächlich muss man den Ausdruck network literacy mit Jill Walker Rettberg im Plural verwenden, also von network literacies sprechen: Es gibt unterschiedliche soziale Gruppen, für die die Webkommunikation eine große Rolle spielt, und es gibt deshalb unterschiedliche Formen von Webkompetenz, zwischen denen aber so etwas wie eine Familienähnlichkeit besteht. (Der Ausdruck Gruppe ist hier nur ein Kürzel für soziale Entitäten, ich lasse ihn hier nur provisorisch undefiniert.)

Wenn ich erforschen will, wie network literacies vermittelt werden können, muss ich mich also damit beschäftigen, wie Menschen in die Praxis von Gruppen oder communities eingeführt werden (eingeführt werden können), für die die Kommunikation mit Netzmedien essentiell ist. Das Bedürfnis nach einer Vermittlung von network literacies wird in dem Maß wachsen, in dem mehr Gruppen auf Webkommunikation angewiesen sind, wobei sich besondere Formen der Netzkompetenz in webbasierten Unternehmen, in der Wissenschaft oder im Bereich von Medien und aktueller Information herausbilden soll. Die Vermittlung der Netzwerkkompetenz — das ist für mich das vorläufige Ergebnis dieser Überlegungen — ist die Einführung in die Kommunikationsform netzbasierter Communities und damit von der Teilnahme an solchen Gruppen nicht zu trennen.

Noch drei Tage bis zum PolitCamp — die Studenten und Kolleginnen, die mitorganisieren, haben sich sehr engagiert, nicht weil es ihr Job wäre, sondern weil sie wollen, dass die Veranstaltung ein Erfolg wird. Natürlich ist es hilfreich, dass wir die Infrastruktur der FH zur Verfügung haben. Trotzdem werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch die Veranstalter sein. Die Vorbereitung soll nur die Vorausstzungen dafür herstellen, dass ein selbstorganisiertes Event stattfinden kann.

Von der Regel, dass der Ablauf eines BarCamps am Morgen von den Teilnehmern geplant wird, sind wir nur an einem Punkt abgewichen: Wir haben einige feste Termine für Politikerinnen und Politiker eingeplant, die einen vollen Terminkalender haben und nur zu bestimmten Zeiten können. Ich glaube, dass das zu rechtfertigen ist, weil wir ja auch in die Politik hineinwirken möchten. Wir haben auch versucht zu erreichen, dass ein paar Themen schon vor dem Event benannt werden, damit sich mögliche Teilnehmer vorstellen können, was am Freitag und Samstag eigentlich stattfinden wird. Trotzdem versuche ich, den Leuten, die mich darauf ansprechen, klarzumachen, dass es bei einem BarCamp nicht vor allem auf Statements und Präsentationen, sondern auf die Fragen ankommt, und darauf, dass man Platz für Zufälle lässt. Bei den BarCamps, die ich bisher besucht habe, waren für mich die Gespräche mit Menschen am interessantesten, die ich vorher nicht oder kaum kannte, und die vielen Informationen und Ideen, auf die man bei einem solchen Event fast zufällig stößt. Zu einem guten Teil geht es bei einem BarCamp um das, was man auf Englisch als serendipity bezeichnet.

Was erwarte ich vom PolitCamp, warum mache ich bei der Vorbereitung mit? Ich möchte, dass so etwas wie ein lokaler Gesprächsraum entsteht, in dem diskutiert wird, wie sich die Politik hier in Österreich durch das Internet und die mobile Kommunikation verändert, verändern kann. Dabei stehen Internet und mobile Kommunikation für mich nicht nur für Technologien, sondern auch für soziale Tendenzen, für die Herausbildung der Netzwerkgesellschaft. Das Thema taucht in den Medien, in der Politik und in der PR immer wieder auf, aber es kommt nur selten zu einem Diskurs jenseits der Institutionen. Gerade ein solcher Diskurs ist aber wichtig, weil die vorhandenen Formen der Politik und der Öffentlichkeit aus der Zeit vor dem Netz stammen und zu einem großen Teil in einer Netzwerkgesellschaft nicht mehr zeitgemäß sind. Für mich wäre das PolitCamp dann erfolgreich, wenn es zu Geprächen führt, die sich fortsetzen — zum Beispiel bei weiteren PolitCamps.

Ein weiterer Aspekt ist für mich wichtig, weil ich an einer Fachhochschule unterrichte: Ich hoffe, dass interessierte Studenten und auch andere junge Leute mit der Welt des Web 2.0 und vor allem mit der Kultur in Berührung kommen, die zu ihr gehört. Dabei kommt es mir nicht auf eine große Menge von Teilnehmern an sondern auf Nachhaltigkeit bei einigen. Ich sehe das PolitCamp durchaus auch als Lehrveranstaltung und hoffe, dass sich Menschen beteiligen, die solche Events noch nicht kennen — mit eigenen Beiträgen und mit vielen Fragen an die anwesenden Digerati.

(Gepostet auch im PolitCamp-Blog)

Antworten auf die Fragen, mit denen ich am Donnerstag nach Wien gefahren bin, habe ich in Molterers Rede zur Lage der Nation nicht bekommen. Um diese Themen ging es gar nicht bzw. nur indirekt oder am Rande. Veranstaltungen dieser Art sprechen vor allem die Aktivisten und Funktionäre der Partei an. Die Funktionäre huldigen ihrer Führung und dürfen sie dafür aus der Nähe erleben. Im Fall Willi Molterers tritt die Führungsfigur ihrerseits so bescheiden auf wie der Filialleiter einer Sparkasse. Charakteristisch für Großveranstaltungen mit Willi Molterer ist die Spannung zwischen der Inszenierung charismatischer Herrschaft (vorgestern im imperialen Ambiente des Redoutensaals) und der Selbstdarstellung des Vorsitzenden als verlässlicher, fast gehemmt wirkender Berufspolitiker. (Ausführliche Berichte gibt es im Standard und der Presse.) Die Kritik der Grünen dient leider nur dazu, Aufmerksamkeit auf die eigene Partei umzuleiten. Molterer hat nicht zur Zerstörung des Sozialstaats aufgerufen — wenn überhaupt, dann zu einer vorsichtigen weiteren Liberalisierung. Den Klimawandel hat er fast mit denselben Formulierungen wie in der Presseaussendung der Grünen als Chance für die Wirtschaft beschrieben.

Ein paar Kommentare — nur vorläufig; es fällt mir nicht leicht etwas zu dieser Veranstaltung zu sagen:

In Molterers Rede müsste ich mir die Aussagen, denen ich gar nicht zustimmen kann, mühsam heraussuchen: Ich finde seine Position zum Schulsystem schwach, und ich halte die Betonung einer restriktiven Linie in der Zuwanderungspolitik für populistisch und falsch. Molterer vertritt Mainstream- oder common sense-Positionen, gegen die nicht viel einzuwenden ist. Allerdings dürfte es schwer sein, Menschen für diese Positionen zu mobilisieren, die nicht Parteisoldaten sind.

Kommt eine Vorstellung von sozialem Wandel zum Ausdruck? Die ÖVP erkennt an — zum Teil sicher ungern — dass es inzwischen viele Formen der Familie gibt. Deutlich gesehen wird der demografische Wandel, die Überalterung der Gesellschaft. Klar zum Ausdruck kommt die Befürchtung, dass der Lebensstandard in Österreich angesichts von immer mehr internationaler Konkurrenz nicht mehr selbstverständlich ist. Aber Veränderungen in den sozialen Strukturen werden nicht gesehen. Überhaupt bleibt sehr blass, wie sich die Partei die Gesellschaft vorstellt. Wenn ich die Rede ihres Vorsitzenden und dem Applaus der Funktionäre an Schlüsselstellen richtig interpretiere, sieht sich die ÖVP nicht ungern als Partei derjenigen, die mit der Entwicklung der Gesellschaft und vor allem mit ihrer eigenen Rolle in dieser Gesellschaft zufrieden sind — früher hätte man gesagt: als Partei des juste milieu. Familie, Arbeit, und vorsichtig auch wieder: Vaterland. Partizipation — ein Leitmotiv in Molterers Rede — erscheint vor allem als Integration in feste, normale Verhältnisse.

Man kann gegen dieses Modell Ideologieverdacht erheben. Auch unabhängig davon stellt sich die Frage, ob ein solches Konzept auf Dauer genügen wird, um die österreichische Gesellschaft in den Dreivierteltakt zu bringen, von dem der Grazer Bürgermeister Nagel in seiner Einleitung sprach. Was passiert, wenn noch mehr Menschen sich als Opfer der Globalisierung sehen? Kann man mit diesem Modell Schritt mit den fortgeschrittenen europäischen Gesellschaften, mit Skandinavien und den Niederlanden halten? life long learning oder Wissensgesellschaft sind vielleicht ausgelutschte, aber noch nicht überflüssige Schlagwörter; in Molterers Rede kamen weder sie noch ein Pendant zu ihnen vor.

Es ist klar, dass man bei einer solchen Feiertagsrede nicht erkennen kann, ob und wie soziale Transformationen in einer Großpartei wie der ÖVP tatsächlich verstanden werden. Nach der Rede vorgestern bin ich mir noch sicherer, dass Schwarz-Grün für Österreich eine realistische und auch eine vernünftige Option ist. (Als der Grazer Bürgermeister Nagl in seiner Einleitung sagte, er könne sich ein schwarz-grüne Koalition auch auf Bundesebene gut vorstellen, gab es nicht gerade emphatischen, aber doch deutlichen Applaus.) Ich schreibe das nicht nur aus Sympathie für grüne Zielsetzungen; ich glaube, dass es der ÖVP selbst gut täte, sicher weiter in die Richtung grüner Politikkonzepte (Stichworte: Dezentralisierung, Heterogenität) zu öffnen — auch wenn sich das angesichts der aktuellen Auseinandersetzungen vielleicht absurd anhört. Bei einem Event wie am Donnerstag präsentiert sich die Partei als eine geschlossene Organisation, die große soziale Gruppen (in den Bünden) und die Regionen (durch die Landesorganisationen) repräsentiert. Ich glaube, dass das politische Modell, oder vielleicht eher: die politische Metaphorik hinter einem solchen Event für eine postindustrielle, vernetzte Gesellschaft viel zu rückwärtsgewandt ist.

Alexandra Nussbaumer von der ÖVP hat einige Blogger zur Rede zur Lage der Nation des Parteivorsitzenden eingeladen. Ausser mir folgen wohl nur Georg und Tom der Einladung.

Ich glaube, dass einige Bloggerkolleginnen und -kollegen nicht missbraucht werden möchten, und dass sie es für überflüssig halten von einem Ereignis zu berichten, dass schon von den Veranstaltern selbst ins Web gestreamt und breit kommuniziert wird. Warum fahre ich trotzdem hin? Ein Grund ist, dass Michi Mojzis und Alexandra Nussbaumer von der ÖVP Ende Mai zu unserem PolitCamp nach Graz kommen werden. Ich fände es unhöflich, mich nicht bei ihnen sehen zu lassen. Ich wäre aber auch sonst gefahren — weil ich es interessant finde, diese Partei und ihre Kommunikation zu verfolgen. Für mich ist es das dritte Großevent der ÖVP, dass ich beobachten kann, und ich hoffe, dass ich durch die Kontinuität einiges genauer wahrnehme.

Ich werde diesmal nicht versuchen, live mitzubloggen, weil das wahrscheinlich niemanden interessiert. (Ich werde auch nicht durch Parteitags-Tweets meine Twitter-Follower verschrecken.) Ich werde mich auf die Themen konzentrieren, die mich besonders interessieren: Informationstechnologie, Datenschutz und Bürgerrechte, Bildungspolitik. Außerdem interessiert mich jedes Anzeichen dafür, dass sich die interne Kommunikation der ÖVP verändert: Gibt es Hinweise darauf, dass sich die Partei selbst als ein soziales Netz versteht? Etwas spekulativer formuliert: Kann sich eine Partei wie die ÖVP von einem zentralistischen, hierarchischen Modell der Organisation und der Politik zu einem dezentralen, wissensorientierten Modell bewegen?

Die Kommunikationsleute der ÖVP laden Blogger ein, weil sie sich für die neue Medien jenseits der Broadcast-Medien interessieren. Die neuen Medien sind aber — professoral formuliert, sorry! — gar nicht vor allem Medien, sondern neue Kommunikations- und Organisationsformen. Kleine und große Gruppen von Menschen können sich vernetzen, kommunizieren und Ziele verfolgen, ohne sich an starre und ausgrenzende Organisationen zu binden. In Mitteleuropa ist diese neue Welt der Organisation und Kommunikation noch im Embryonalzustand; Amerika ist schon weiter, wie die Obama-Kampagne zeigt. Die politischen Parteien haben aber auch in Europa das Rentenalter erreicht, um im Bild zu bleiben. Können, wollen sie sich transformieren, einen neuen Aggregatzustand annehmen? Ist es z.B. denkbar, dass sie auf ihre Exklusivität verzichten? Dass sie die parteipolitisch eingefärbten spätabsolutistischen Verwaltungs- und Verteilungsapparate demontieren? Oder werden sie langsam aber sicher von neuen Formen der Organisation außerhalb der Parteien abgelöst werden? Mit dieser Frage besuche ich das ÖVP-Event heute; ich hoffe, dass ich sie auch einigen in der Partei persönlich stellen kann.

Shirky
Ich lese gerade Clay Shirks Here Comes Everybody. Ich empfehle das Buch jedem, der sich für die gesellschaftlichen Folgen des Internets interessiert.

Shirkys Ausgangspunkt ist, dass das Internet drastisch die Kosten reduziert, die für die Bildung und Organisation von Gruppen anfallen. Mit Kosten ist nicht nur finanzieller Aufwand gemeint, sondern auch Aufmerksamkeit und Zeit. Clay popularisiert Yochai Benklers Analyse der Netz-Ökonomie: Das Netz ermöglicht, dass neben Märkten und Hierarchien ein dritter Typ von Organisationen entsteht, in denen Menschen ohne unmittelbare wirtschaftliche Interessen kollektiv handeln.

In dem Kapitel Everyone is a Media Outlet stellt Shirky dar, welche Folgen es für den Journalismus hat, dass Medien nahezu kostenlos produziert und vertrieben werden können. Man übertreibt nicht, wenn man das Ergebnis so zusammenfasst: Der Journalismus wird das Internet nicht überleben. Er ist an die technische und ökonomische Infrastruktur der Industriegesellschaft gebunden. Als Journalist oder Journalistin kann man sinnvoll nur Menschen bezeichnen, deren Arbeit von einem Verlag oder Medienhaus veröffentlicht wird. Das Netz macht Verlage und Medienhäuser (englisch: media outlets) überflüssig. Damit löst sich der Journalismus als Profession auf.

Drei Gedanken unterhalb dieser allgemeinen These notiere ich mir. Sie sind nicht ganz neu, aber sie werden selten so stringent formuliert wie von Shirky:

  1. Die Medienwirtschaft, wie wir sie bisher kennen, hängt von der Knappheit an Publikations- und Distributionsressourcen ab. Es war teuer, Medien zu produzieren, und es war noch teurer, Medien unter die Leute zu bringen. Die Ressourcenknappheit war der Grund und auch die Legitimation dafür, dass eine Profession, eben die Journalisten, kontrollierte, was überhaupt publiziert wurde. Letztlich ist auch das journalistische Ethos, die besondere Verantwortung der Journalisten daran gebunden, dass sie Zugang zu knappen und teuren Ressourcen haben.

  2. Wie jede Profession definieren auch die Journalisten ein eigenes System von Normen und Standards; sie erfüllen ihre gesellschaftliche Funktion z.T. sogar gerade dadurch, dass sie sich ihre Regeln selbst geben. Dies Autoreferentialität, die Orientierung der Arbeit an der eigenen sozialen Gruppe, nicht nur an der allgemeinen Öffentlichkeit, kann heute von einer Stärke zu einer Schwäche werden. Sie erschwert es, die technischen und ökonomischen Veränderungen wahrzunehmen, die die Existenz der Profession in Frage stellen.

  3. (zum Stichwort unbundling): Die Ressourcenknappheit ist die Ursache dafür, dass in journalistischen Produkten Inhalte miteinander verbunden werden, die nichts miteinander zu tun haben: Kulturberichte, Horoskope und Kleinanzeigen. In Print- und Broadcastformaten wird zusammengepackt, was sich zusammen vertreiben und verkaufen lässt. Diese Kombinationen werden überflüssig, wenn die Kosten für die Distribution gegen Null gehen.

Shirky ist anders als viele Autoren, die sich mit dem Web beschäftigen, nicht einfach ein Idealist. Er orientiert sich an ökonomischen und gesellschaflichen Fakten, die er theoretisch durchdringt. Dennoch gelingt es ihm, ein populäres Sachbuch zu schreiben, das keine Fachkenntnisse und nur minimales Wissen über das Internet vorausetzt. Ich hoffe, dass das Buch bald ins Deutsche übersetzt wird: Es könnte vielen, die das Internet noch immer nicht ernst nehmen, zeigen, wie dramatisch und unausweichlich die Folgen des Netzes für Gesellschaft und Wirtschaft sind.

Link: sevenload.com

Perfektion ist der Feind der Innovation, sagt Brad Bird. Wäre es anders, würde ich dieses Video nicht veröffentlichen. Ich versuche, eine Linkliste in Form eines Screencasts zu publizieren, Adressaten sind vor allem meine Studenten. Ausgewählt habe ich Beiträge zu Themen des Online-Journalismus, die ich seit dem 1. Mai gesammelt habe. Die Quellenangaben finden sich bei del.icio.us. Produziert habe ich mit ScreenFlow. Bis zum nächsten Mal beschäftige ich mich so gründlich mit der Software, dass ich mich auf die Inhalte der Präsentation konzentrieren kann!

(Aus Versehen habe ich den Elektrischen Reporter als Video bezeichnet; tatsächlich handelt es sich natürlich um einen Video-Podcast, und zwar um einen der besten in deutscher Sprache.)

Wir hatten gestern einen spannenden halben Tag mit Georg Holzer. Issi hat mitgeschrieben, was er über seinen Werdegang und seine Arbeit erzählt hat. (Sie zeigt wieder einmal, wie gut sie live-bloggen kann.)

Gute Journalisten sind Fachleute für ein Gebiet. Georg vermittelt seine Themen authentisch, weil sie ihn interessieren. In der Ausbildung müssen wir das noch mehr berücksichtigen: Die Studenten brauchen Zeit um ihre Themen zu entdecken, und sie brauchen Anregungen. Georg Holzer hat sehr plastisch gezeigt, wie wichtig es ist, bekannte Themen aus neuen, schrägen Perspektiven zu sehen. Sein Beispiel war die Verbindung von Tankstellen und Kultur. Wenn wir unseren Studenten Mut machen können, Gewohntes in völlig neuen Zusammenhängen zu sehen, haben wir vielleicht den wichtigsten Teil unseres Jobs geschafft.

Über Thomas Pleil bin ich auf Jean-Pol Martin gestoßen, der die Theorie des Lernens durch Lehren entwickelt hat. (Ich glaube, dass wir an der FH an seine Arbeiten anschließen können, wenn wir uns mit Network Literacies beschäftigen.) In der Wikiversity beschreibt Martin, was er unter Netzsensibilität versteht — Regeln oder Muster dafür, im Netz Beziehungen zu Mitarbeitern und Mitstreitern aufzubauen. Sie sind alle zu beherzigen (und ich nehme mir vor, mich selbst besser nach ihnen zu richten). Jean-Pol Martin hat sie so konzis formuliert, dass man sie kaum zusammenfassen kann.

Hier nur die erst dieser Regeln; durch sie bin ich in meinem Feedreader auf den Text aufmerksam geworden:

Mach dich transparent: liefere in deinem Profil möglichst viele, für den Benutzer spannende Informationen über dich. Je mehr Informationen du über dich gibst, desto größer die Chance, dass jemand einen Ansatzpunkt zur Zusammenarbeit entdeckt. Angst vor Missbrauch der Angaben ist meistens unbegründet. No risk, no fun!

Martin formuliert hier einen entscheidenden Punkt. Im Netz kommunizieren Menschen miteinander, die als Individuen, mit ihren Wünschen, Vorlieben und Geschichten interessanter sind als die Firmen und Gruppen, zu denen sie gehören. Ich muss mich im Netz nicht hinter einer Institution verstecken oder den Regeln eines Verlags anpassen, um zu publizieren, und ich möchte dort auf Menschen treffen, die sich selbst nicht verstecken. Die interessantesten Texte im Web stammen von Autoren, die sich als Personen zeigen. (Für mich waren das in der Anfangszeit des Bloggens Dave Winer, Jeffrey Zeldman und Jörg Kantel.)

Man muss sich im Netz nicht entblößen, und man kann mit Identitäten spielen. Will man Menschen anspricht muss man ihnen aber signalisieren, welche Beziehung man zu ihnen möchte, und was und wieviel von sich man in diese Beziehung stecken will. Es geht um Angebote, nicht um einen Ausverkauf.

Anmerkung: Mit Kolleginnen bin ich dabei, ein Programm für die Forschung und Entwicklung in meinem Arbeitsbereich an der FH Joanneum zu formulieren. Wenigstens provisorisch möchte ich ihm den Titel Netzwerkkompetenz oder Network literacies geben. Wie vermittelt man besten die Fähigkeit, mit sozialen Medien umzugehen, mit ihnen Ziele zu erreichen und sie mit einem Lebensstil zu verbinden? Ich brauche dieses Wissen für meinen Unterricht, es lässt sich vielleicht auch in anderen Bereichen der Hochschule, an der ich arbeite, verwenden, und wir können es Unternehmen und Organisationen anbieten.

Eine Reflexion über einen Teil meines Jobs — das Betreuen von Diplomarbeiten. Unabgeschlossen und wahrscheinlich nicht sehr interessant für Leute, die nicht ähnliche Probleme haben:

Gestern abend habe ich mich mit fünf Studentinnen und Studenten getroffen, deren Diplomarbeiten ich in diesem Jahr betreue. Ich unterrichte erst seit wenigen Jahren an einer Fachhochschule, die Betreuung von Diplomarbeiten gehört zu den Teilen meiner Tätigkeit, die mir die meisten Schwierigkeiten bereiten. Diplomarbeiten können an unserem Studiengang (Journalismus und Unternehmenskommunikation) als Werkstücke oder als wissenschaftliche Arbeiten angefertigt werden. Auch Werkstücke sollen einen wissenschaftlichen Teil enthalten. Mit diesem wissenschaftlichen Anspruch komme ich nicht recht klar. Welche Wissenschaft unterrichten wir? Welche Rolle spielt die Wissenschaft in einem transdisziplinären, praktisch orientierten Studiengang? Wie schützen wir uns vor Dilettantismus und davor, Wissenschaftlichkeit auf Zitier- und Bibliographierregeln zu reduzieren? (An unserem Studiengang wurden einige Diplomarbeiten geschrieben, die das Niveau guter geisteswissenschaftlicher Abschlussarbeiten haben. Sie waren aber vor allem das Ergebnis der Fähigkeiten und Interessen — und z.T. auch der akademischen Vorbildung — ihrer Autorinnen und Betreuerinnen, und nicht eine direkte Folge der Ausbildung, die wir vermitteln.)

Wir bilden Journalisten und PR-Leute aus. Diese Ausbildung ähnelt eher einer Lehre als dem Erlernen einer wissenschaftlichen Disziplin. Es geht um Praxis, allerdings um eine Praxis, die so komplex und wissensintensiv ist, dass man sie on the job nur schwer erlernen kann — bzw. dass in einem Unternehmen der Freiraum fehlt, sich das erforderliche Wissen anzueignen.

Wenn man Schauspieler oder Regisseure ausbildet, unterrichtet man sie nicht in Theaterwissenschaft. (Auch wenn ihnen theaterwissenschaftliche Kenntnisse selten schaden.) Unseren hochschulischen Anspruch können wir nicht damit begründen, dass wir eine oder sogar mehrere Wissenschaften unterrichten. Als These würde ich formulieren: Hochschulisches Niveau erreichen wir vor allem durch stringente Argumentationen, die sich in unserem Fall auf die Praxis in Journalismus, PR, sozialen Medien beziehen. Die Ausbildung, die wir anbieten, wird akademischen Ansprüchen gerecht, wenn sie systematisch die Fähigkeit entwickelt, argumentativ zwischen besserer und schlechterer Praxis, zwischen Möglichkeiten und Realität zu unterscheiden. Außerdem müssen wir unseren Studenten die Fähigkeit vermitteln, sich Wissen ständig neu anzueignen und Wissen auszutauschen — auch darin dürfen wir hinter einer universitären Ausbildung in einer wissenschaftlichen Disziplin nicht zurückbleiben.

Was bedeutet das für die Wissenschaftlichkeit von Diplomarbeiten in unseren Fächern? Ich finde, die Diplomarbeit sollten (soweit sie nicht als Werkstücke praktische Fähigkeiten demonstrieren) vor allem zeigen, dass die Absolventen die Qualität praktischer Arbeiten begründet beurteilen, kritisieren oder auch verteidigen können. Solche Argumentationen können an ethischen oder auch einfach an wirtschaftlichen Zielen orientiert sein, sie können wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden einbeziehen, wo es für die Beurteilung von praktischen Arbeiten wichtig ist. Sicher arbeite ich mit Unbekannten, wenn ich von stringenten Argumentationen spreche. Ich glaube aber, dass es sich leichter klären lässt, welches argumentative Niveau von einem Absolventen erwartet werden kann, als zu definieren, worin die Wissenschaftlichkeit einer Arbeit bestehen könnte.