Dieter Gerten, Michael Tschauko, Sonja Edlinger und Lisa Mayr in der Diskussion nach dem Vortrag "Wie können wir innerhalb planetarer Grenzen leben?" (23.10.2019)

In der letzten Woche hat Dieter Gerten vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung in der katholischen Hochschulgemeinde einen Vortrag über das Leben innerhalb der planetaren Grenzen gehalten.

Ich habe mich für den Vortrage und den Vortragenden auch interessiert, weil das Potsdam-Institut für mich inzwischen zu einem wichtigen intellektuellen Orientierungspunkt geworden ist. Auf das Institut gestoßen bin ich durch eine Diskussion zwischen Bruno Latour und Hans Joachim Schellnhuber im letzten Jahr.

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Unter den deutschen Wissenschaftlern, die öffentlich über den Klimanotstand informieren, ist Stefan Rahmstorf vielleicht der sichtbarste. Er vor allem hat die Rolle übernommen, die Hans Joachim Schellnhuber vor seiner Emeritierung ausgefüllt hat.

Das Wissen, das Rahmstorf in einem Video in der Zeit und in einem Artikel im Spiegel vermittelt, gehört heute zur Grundbildung.

In dem Video schildert er ganz knapp, was passieren wird, wenn wir die globale Erhitzung nicht entschlossen stoppen:

(Publiziert in: Klimawandel: Was, wenn wir nichts tun? | ZEIT ONLINE)

Im Spiegel stellt Rahmstorf dar, welches CO2-Budget der Bundesrepublik Deutschland bleibt, wenn die Ziele des Pariser Abkommens eingehalten werden sollen. Ausgangspunkt ist die skandalöse Antwort der deutschen Umweltministerin auf die Frage eines Journalisten nach dem deutschen CO2-Budget:

Unter diesen ganzen Tonnen und so kann sich doch keiner was vorstellen.

Rahmstorf schreibt, dass die Menschheit noch 500 Gigatonnen CO2 freisetzen darf, wenn die globalen Temperaturen nicht mehr als 1,5° Celsius ansteigen sollen. Folgt man den großzügigeren Vorgaben des IPCC (Erwärmung deutlich unter 2° Celsius), dann bleiben ab jetzt noch 720 Gigatonnen—bei einem wesentlich höheren Risiko, dass die Erhitzung nicht bei 2° gestoppt werden kann.

Um seine Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen umzusetzen, muss Deutschland jährlich 40 Millionen Tonnen CO2 einsparen (Details im Artikel von Rahmstorf). Wenn die noch möglichen CO2-Emissionen global gerecht verteil werden, dann stehen Deutschland insgesamt noch 7,3 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen zur Verfügung (andere Treibhausgase sind dabei vernachlässigt). Tatsächlich würde Deutschland, wenn das sogenannte Klimapaket der Bundesregierung umgesetzt wird, aber ca 13 Milliarden Tonnen beanspruchen, also fast das Doppelte. Das ist nicht nur eine krasse Ungerechtigkeit gegenüber ärmeren Ländern, die viel weniger emittieren und emittieren dürften, es macht es auch unmöglich, global für mehr Klimaschutz und Klimagerechtigkeit einzutreten.

Zwei Überlegungen dazu:

  1. Für mich sind die Zahlen in dem Artikel von Rahmstorf ein weiteres Argument dafür, dass die Extinction Rebellion-Forderung nach CO2-Neutralität bis 2025 gerechtfertigt ist. Der weniger radikale Emissionspfad, den Rahmstorf (eigentlich der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen) vorschlägt (jährliche CO2-Ensparungen von 40 Millionen Tonnen ab sofort bis zum Ende der 2030er-Jahre), wird m.E. schwerer durchsetzbar sein als eine drastischere Reduktion in einer erklärten Notstandssituation—trotzdem wäre auch dieser weniger steile Reduktionspfad viel wünschenswerter als die kurzfristigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die die Bundesregierung als Klimapaket bezeichnet.
  2. Bundesregierung und Bundestag handeln in einem krassen und erkennbarem Widerspruch zu einer wissenschaftlich eindeutig festgestellten Sach- und Risikolage. Die Tatsachen zum Klimawandel und zu CO2-Budgets, die Rahmstorf anführt, sind das Ergebnis von Forschungen; sie werden von den politisch Verantwortlichen im Interesse der wirtschaftlich Mächtigen vernebelt. Mich erinnert das an der Verhalten der europäischen Regierungen im ersten Weltkrieg. Institutionen, die sich so verhalten, verlieren ihre Legitimität. Dass es eine Verpflichtung zum Schutz der jetzt und in der absehbaren Zukunft lebenden Menschen gibt, ist kein Diskussionsgegenstand. Die Demokratie wird nicht von denen gefährdet, die jetzt zivilen Ungehorsam propagieren, sondern von denen in der Politik, die elementare Verpflichtungen jedes Staates ignorieren.

Die Klimakrise macht verrückt, schreibt Latour—davon kann ich mich nicht ausnehmen. Es ist wahrscheinlich unangemessen und vielleicht sogar lächerlich, ein epochales Phänomen wie die globale Erhitzung in einem Blog mit Thesen zu begleiten. Ich habe die folgenden Thesen formuliert, um meine Gedanken zu ordnen und um mich in Diskussionen auf sie beziehen zu können. Wichtiger als diese Thesen selbst sind mir ihre Konsequenzen etwa in Content-Strategie und Webkommunikation oder bei lokalen politischen Aktionen. Ich freue mich über Widerspruch und Diskussion.

Copyright: Visuelle Darstellung der „planetary boundaries“ nach Johan Rockström et al. 2009; Felix Mueller CC-BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Copyright: Visuelle Darstellung der „planetary boundaries“ nach Johan Rockström et al. 2009; Felix Mueller CC-BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

1. Disruption

Die Klimakrise und das Durchbrechen der Planetary Boundaries führen zu disruptiven Veränderungen, die alle gesellschaftlichen Veränderungen, zu denen es seit 1950 gekommen ist (Übergang zur Wissensgesellschaft, Digitalisierung, Globalisierung) um Dimensionen übertreffen. Im 21. Jahrhundert wird es keine wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und technischen Entwicklung geben, die unabhängig von der Klimakrise eingeschätzt und gesteuert werden kann.

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Cover von Latour, Face à Gaïa
Cover von Latour, Face à Gaïa

Gestern habe ich endlich angefangen, Face à Gaïa von Bruno Latour zu lesen (deutsch: Kampf um Gaia: Acht Vorträge über das neue Klimaregime). Ich finde sehr viele Bezüge zu den Themen, mit denen ich mich, auch angeregt von Latour, jetzt schon länger beschäftige. Ein Detail: Jan Zalasiewicz, über den ich neulich geschrieben habe, gehört zu den Wissenschaftlern, bei denen sich Latour explizit bedankt.

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Ich habe gestern die Aufnahme eines Abends mit Bruno Labour und Hans Joachim Schellnhuber im Berliner Haus der Kulturen der Welt gehört, größtenteils sogar zweimal. Latour stellt die zentralen Thesen seines Buchs Où atterrir? vor, das jetzt auf Deutsch als das terrestrische Manifest erschienen ist. Schellhuber, so verstehe ich es, konkretisiert in dem anschließenden Gespräch vieles von dem, was Latour eher begriffs- und forschungsorientiert formuliert. Weiterlesen