Extinction Rebellion hat seit dem Beginn der Corona-Lockdowns in den Medien nur eine geringe Rolle gespielt. Jetzt scheint sich das zu ändern. Der #AugustRiseUp in Deutschland und die #ImpossibleRebellion in Großbritannien haben es zwar nur selten in die Mainstream-Medien geschafft. Extinction Rebellion wird aber in der linken kritischen Öffentlichkeit mehr und oft deutlich positiver wahrgenommen als in der Anfangszeit dieser Bewegung. Dazu tragen nicht nur die Aktionen auf der Straße bei, sondern auch die veränderte Strategie von XR, vielleicht auch die Publizität der von XR-Aktivist:innen geleakten Entwürfe des dritten Teils des AR6 (Bordera et al., 2021; Bordera & Prieto, 2021).
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Im Zug zurück von London habe ich zwei Essays gelesen, deren Autoren daran zweifeln, dass die Menschheit die Klimakrise durch organisiertes kollektives Handeln abwenden wird: Climate change: ‚We’ve created a civilisation hell bent on destroying itself – I’m terrified‘ von James Dyke und No Happy Ending: On Bill McKibben’s “Falter” and David Wallace-Wells’s “The Uninhabitable Earth” von Roy Scranton.
Beide Aufsätze sind Interpretationen und Kritiken von Publikationen zum Anthropozän und zur Klimakrise. Scranton rezensiert die Bücher Falter von Bill McKibben und The Uninhabitable Earth von David Wallace-Wells. Dyke bezieht sich auf eine Reihe von wissenschaftlichen und politischen Texten. Im Mittelpunkt steht für ihn das Konzept der Technospäre (englisch: technosphere), das Peter Haff in Humans and technology in the Anthropocene: Six rules dargestellt hat. Wichtige Ausgangspunkte für Dyke sind auch die Theorie der Nine planetary boundaries und der Begriff der Großen Beschleunigung, der in The trajectory of the Anthropocene: The Great Acceleration formuliert wurde.
Scranton und Dyke fragen, ob das Engagament der Aktivisten gegen die Klimakrise auf Illusionen beruht. Es geht in beiden Aufsätzen um die kollektiven Akteure, an die der Aktivismus gegen die Klimakrise appelliert. Dyke sagt im Anschluss an Haff, dass ein neuer Akteur, die Technosphäre, an die Stelle der Menschheit getreten ist, dass die Geschichte also gar nicht mehr von Menschen gemacht wird, sondern von einem autonom agierenden technischen Komplex. Scranton ordnet die Vorstellung einer kollektiv handeldenden Menschheit einem naiven narrativen Konzept zu—der alten Erzählung vom Sieg des Guten gegen alle Widerstände. Scranton und Dyke halten es nicht nur für möglich, sondern für wahrscheinlich, dass die Klimakrise tragisch ausgeht—mit den Katastrophen, die David Wells in seinem Buch und davon in seinem Artikel im New York Magazine beschrieben hat.
Beide Texte sind gelehrte Essays und enthalten eine Fülle von Verweisen. Ich verstehe sie als Ausgangspunkte für weitere Lektüre. Ich möchte sie und die Texte, auf die sie sich beziehen, vor dem Hintergrund der Akteurs- und Aktionskonzepte lesen, die von Bruno Latour und in seinem Umkreis entwickelt
wurden.
Die Leitfrage für mich ist hier: In welchen Beziehungen stehen wissenschaftliche Inhalte und öffentliche Diskussion? Wie greifen wissenschaftliche, politische und literarische Diskurse hier ineinander? Dazu gehört auch: Welches sind die Rollen und die Strategien von Autoren angesichts der ökologischen Katastrophe? Diese beiden Aufsätze sind keine nüchtern geschriebenen Rezensionen. Sie denken andere Texte weiter—auch da, wo deren Autoren selbst vor den Folgerungen aus ihren Überlegungen zurückschreckten. Sie artikulieren—ich kann es nur so vorläufig und oberflächlich formulieren—die existenzielle Dimension der ökologischen Krisen.
Ich bin durch Tweets auf diese Texte aufmerksam geworden, durch diesen und andere.