Extinction Rebellion hat seit dem Beginn der Corona-Lockdowns in den Medien nur eine geringe Rolle gespielt. Jetzt scheint sich das zu ändern. Der #AugustRiseUp in Deutschland und die #ImpossibleRebellion in Großbritannien haben es zwar nur selten in die Mainstream-Medien geschafft. Extinction Rebellion wird aber in der linken kritischen Öffentlichkeit mehr und oft deutlich positiver wahrgenommen als in der Anfangszeit dieser Bewegung. Dazu tragen nicht nur die Aktionen auf der Straße bei, sondern auch die veränderte Strategie von XR, vielleicht auch die Publizität der von XR-Aktivist:innen geleakten Entwürfe des dritten Teils des AR6 (Bordera et al., 2021; Bordera & Prieto, 2021).
In der taz fordert Erik Peter, XR zu rehabilitieren (2021). Charlotte Moore geht ausführlich auf die Veränderungen in der Strategie von XR ein (2021). In diesen Texten erscheint XR als eine zunehmend linke, antikapitalistische Bewegung, die nicht auf ihre Prinzipien verzichtet hat, aber konkrete politische Forderungen erhebt und mit anderen Bewegungen kooperiert. Charlotte Moore schreibt über die ältere Taktik von XR:
the lack of clear political positioning and concrete demands meant XR failed to develop the kind of political influence that its closest U.S. counterpart, Sunrise Movement, achieved with the certain parts of the Democratic Party.
Sie stellt dann fest:
Other clues to XR’s change of tack can be found in its “XR UK Actions Strategy 2021”. Although the group still holds to rather vague core demands – Tell the Truth, Act Now, and Go Beyond Politics – it has also introduced a new immediate demand, that the UK government stop all funding of new fossil fuel projects. This concrete demand gives XR both a realistic goal and may rectify the somewhat directionless feel of past campaigns.
Erik Peter hebt hervor:
Während linke Demos bevorzugt durch ihre Kreuzberger Kieze latschen, tritt XR genau jenen Akteuren auf die Füße, die einem ökologischen Umbau der Gesellschaft im Wege stehen.
Für den taz-Artikel ist vor allem wichtig, dass die XR-Aktionen gezielt sind und mobilieren:
Die Klimakrise ist real, die Blockierer*innen von Veränderungen sind mächtig, die Werkzeuge der Klimabewegung oftmals nicht durchschlagend. XR versucht das zu ändern. Das verdient Anerkennung.
In der Libération ist dagegen nach dem Beginn der #ImpossibleRebellion ein Interview mit Graeme Hayes erschienen, das die alte Frontstellung zwischen antikapitalistischen Bewegungen und XR noch immer annimmt (Miquel, 2021). Dabei bleibt aber unklar, warum die britische Regierung so energisch versucht, XR zu kriminalisieren. Würde es sich tatsächlich um eine weisse Mittelklassenbewegung ohne systemsprengendes Potenzial handeln, wäre schwer zu erklären, warum in Großbritannien die Demonstrationsfreiheit drastisch beschränkt werden soll und führende Politiker XR gerade wegen des Antikapitalismus der Bewegung als nicht systemkonform darstellen.
In den positiveren Einschätzungen drückt sich aus, dass sich sowohl bei XR wie in der linken Klimabewegung ausserhalb von XR viel bewegt hat und bewegt. XR agiert politischer als in seiner Anfangszeit: durch konkrete Forderungen und durch eine Bündnisstrategie. Menschen aus Bewegungen, die XR bisher als unkonkret, diffus, zum Teil sogar als Sekte verstanden haben, erkennen, dass XR handlungsfähig und auch handlungsbereit ist. Möglicherweise wächst damit auch die Fähigkeit zu erkennen, was die Besonderheit von XR ausmacht: transformative individuelle (Stichwort: regenerative Kultur) und gesellschaftliche (Stichworte: Ziviler Ungehorsam, Bürger:innenräte) Handlungsräume zu schaffen, die den Dimensionen der ökologischen Zusammenbrüche entsprechen.
Aus der Sicht von jemand, der bei XR aktiv ist, verstehe ich die veränderte Einschätzung als Korrektur einer Fehlwahrnehmung. Bei einigen in der Linken ergibt sich diese Fehlwahrnehmung daraus, dass sie die Klima- und Biodiversitätskrise vor allem als eine Folgekrise des Kapitalismus verstehen und dabei einen vorökologischen Begriff des Kapitalismus zugrundelegen. (In diesem Verständnis wird Kapitalismus als eine soziale Formation verstanden, die die Beziehungen zwischen den Menschen in einer Gesellschaft betrifft und ein ökonomisches Fundament hat. Ich glaube dagegen, dass ein ökologisches Verständnis des Kapitalismus die Ökonomie nicht als Erklärung, als Basis voraussetzen darf, sondern gerade die Ökonomisierung erklären muss, und dass es Gesellschaft nicht als ein auf Menschen im Gegensatz zu Objekten und zur Natur existierendes Ganzes voraussetzen darf.) Umgekehrt wird vielen bei XR deutlicher, dass man, um Horkheimer zu paraphrasieren (1939), nicht von der Klima- und Biodiversitätskrise reden und vom Kapitalismus schweigen kann.
Aus dem AR6 des IPCC kann man entnehmen, dass die Forderungen von XR den Dimensionen der Klimakrise gerechter werden als optimistische oder reformistische Ansätze, welche die Klimakrise schlicht als ein Problem verstehen, das sich mit den bestehenden politischen und gesellschaftlichen Handlungsformen managen lässt. James Dyke sagt in einem kurzen Artikel, was das Besondere an den Aktionen von XR ist (Dyke, 2021):
[…] they are important because they help communicate the scale of the changes required and why, alas, we still cannot have any faith that our politicians will deliver such change.
Bündnisse zwischen XR und anderen Bewegungen sind für alle eine Gelegenheit zu lernen: Praktiken zu entwickeln, die die Konzepte von Politik und Gesellschaft in Frage stellen, die in die ökologischen Krisen geführt haben oder außerstande waren, sie aufzuhalten.