Howard Rheingold über Co-Evolution of Technology, Media and Collective Action. (Man kann sich auf der Seite auch ein Video der Präsentation in Second Life ansehen.)

Rheingold versucht in einer Viertelstunde einen Überblick über die Geschichte der Menschheit. Die These ist: Mediale Revolutionen ermöglichen jeweils völlig neue Formen des kollektiven Handelns, sie erlauben es,

to organize collective action on scales that we weren’t able to organize before.

Interessant sind die Konzepte, mit denen Rheingold arbeitet, vor allem der in der Soziologie entwickelte Begriff des kollektiven Handelns (collective action), daneben auch der begriff der symbolischen Kommunikation. Die Voraussetzung der collective action ist dabei nur indirekt die Technologie. Zwischen Technologie und gesellschaftlichem Handeln „vermittelt“ — um es sehr deutsch auszudrücken — die literacy. Rheingold verwendet, vor allem wenn er über die Gegenwart spricht, diesen Begriff im Plural, spricht z.B. von multiple literacies. literacy ist ein soziales Phänomen, sie ist gesellschaftlich reguliert.

Rheingold wehrt sich ausdrücklich dagegen, ein technischer Determinist zu sein. Er verweist auf das Beispiel der Druckerpresse, die in Ostasien früher als in Europa erfunden, aber in zentralisierten Gesellschaften kaum verwendet wurde. Neue Techniken sind nur eine Bedingung dafür, dass die Barrieren für kollektive Aktionen niedriger werden. Sie senken zunächst vor allem die Schwelle für der Erwerb von Bildung.

Rheingolds Keynote ist nur die Einleitung zu einem ausführlichen White Paper (pdf).

Henry Jenkins unterrichtet am MIT Medientheorie und beschäftigt sich intensiv damit, wie media literacy vermittelt werden kann. (Da mich dieses Thema immer mehr interessiert, steht er schon länger auf meiner Liste zu lesender Autoren.) Einige Gedanken/Begriffe aus seinem Work in Progress WHAT WIKIPEDIA CAN TEACH US ABOUT THE NEW MEDIA LITERACIES [via hrheingold’s bookmarks]:

  1. Medienkompetenz im Vor-Web-Zeitalter war auf Rezeptions- und Ausdrucksfähigkeit gerichten, heute liegt der Akzent auf Kommunikation und Partizipation. (Historisch stimmt das nur bedingt; die rhetorische Tradition, in der wir ja alle stehen, hat immer Wert auf Teilhabe am öffentlichen Leben gelegt.)

  2. Die Kompetenzen, die für die Kommunikation im Web wichtig sind, unterscheiden sich nicht grundsätzlich von den Fähigkeiten, die man braucht, um mit herkömmlichen Medien umzugehen; sie bauen darauf auf. Das entspricht meinen Eindrücken im Unterricht und z.B. auch bei Barcamps. Mit den neuen Medien gehen die Leute am erfolgreichsten um, die auch mit den klassischen Medien am produktivsten arbeiten. (Und umgekehrt! ) Allerdings muss dazu die technische Schwellenangst überwunden werden.

  3. Schlüsselrolle des informellen Lernen: Die meisten lernen außerhalb der Bildungseinrichtungen, mit Online-Medien umzugehen. Das dürfte nicht nur damit zusammenhängen, dass die Lehrer an Schulen und Hochschulen diese Kompetenzen nicht vermitteln können oder dürfen (und stattdessen nicht selten erkennbar überholte Kompetenzen vermitteln), sondern mit dem dezentralen und partizipatorischen Charakter dieser Medien. (Dazu sehr gut Chris Langreiter und Gernot Tscherteu (pdf) !)

  4. Bedeutung der Transparenz für soziale Medien. Die Wikipedia unterscheidet sich von den üblichen Enzyklopädien auch dadurch, dass jeder redaktionelle Schritt nachvollzogen werden kann, sie ist selbstreflexiv, wie Jenkins schreibt oder zitiert. Auch das ist eine der Qualitäten, durch die das Web den Print- und Broadcastmedien radikal überlegen ist.

  5. Spielerisches Lernen: Medienkompetenz erwirbt man, indem man mit den neuen Medien spielt. Der für mich schönste Satz in Jenkins Aufsatz:

Just as young people coming of age in a hunting based culture learn by playing with bows and arrows, young people coming of age in an information society learn by playing with information.