HTML5 ist aus einer Angelegenheit von Markup-Spezialisten fast schon ein Modethema geworden. Fast 10 Jahre hat sich der HTML-Standard kaum verändert; jetzt müssen alle, die Webseiten realisieren, umdenken, weil es neue Techniken gibt, um die Inhalte zu strukturieren, um Medien einzubauen, um Interaktivität zu ermöglichen, Seiten zu animieren und ihre Oberfläche zu designen. Was müssen Journalisten und Kommunikatoren darüber wissen? Wieviel sollten sie in Aus- und Weiterbildung darüber lernen?

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Mein Post über Video in der PR in der letzten Woche war eine Reaktion auf die Präsentation von Volker Gassner beim PR-Tag in Dieburg. Volker Gassner hat dort vorgestellt, wie Greenpeace die kollaborativen Möglichkeiten des Webs nutzt oder nutzen will, und dazu gehört eben auch Video.

Ein Gesichtspunkt dabei, aber sicher nicht der einzige, ist die Möglichkeit, durch Video-Streaming in Echtzeit zu informieren. Im folgenden Kurzinterview fasst Gassner zusammen, was für Greenpeace am Web 2.0 wichtig ist:

Mich interessiert, wenn ich es etwas steil formuliere, welche Möglichkeiten ein episches Video im Brechtschen Sinn hat, also Video, das die Handlungsmöglichkeiten der Zuschauer vergrößert und das damit selbst Bestandteil und Instrument einer collective action ist. Es ist eine Alternative zu dem üblichen aristotelischen Video, das auf eine emotionale, innere Wirkung zielt. Dabei geht es mir nicht nur um politischen Aktivismus, sondern darum, wie man Video in der alltäglichen Kommunikation einer Firma, einer Organisation oder auch einer Gemeinde benutzen kann. Sicher ist dabei die Grenze zum didaktischen Video und damit zu einer bekannten Gattung fließend.

Erst jetzt bin ich darauf gekommen, dass es einen Begriff für das gibt, was ich meine, nämlich partizipatorisches Video. Partizipatorisches Video ist Video das bestimmte Gruppen anspricht, um mit ihnen gemeinsam zu handeln. Dazu braucht es nicht nur didaktische Qualitäten sondern muss zugleich motivieren und eine offene, von den Adressaten gestaltbare Situation zeigen. Viele Informationen über partizipatorisches Video bietet die Website von Insight, z.B. diese Einführung in das Thema:

Im Blog zu Howard Rheingolds Buch Smart Mobs findet sich einiges Material zu Möglichkeiten und Formen des partizipatorischen Video, z.B. hier, hier, hier , hier und hier.

Howard Rheingold hat auch einen Begriff gefunden, der trifft, was an partizipatorischem Video eigentlich neu ist; er spricht von vernacular Video, also Video als Volkssprache, nicht nur als Ausdrucksform einer Elite mit Zugang zu teuren und schwer zu beherrschenden Produktionsmitteln:

Das sind nur erste Notizen; für mich ist dieses Gebiet neu, ich habe selbst keine praktischen Erfahrungen mit Video. Ich bin mir sicher, dass die media literacy, von der Rheingold spricht, schon heute Video umfassen sollte, und dass zu ihr die hypermediale Verwendung von Video gehören muss, ein nichtlineares Erzählen im Kontext von anderen Informationen.

Water_interface

Video im Web unterschied sich vom Video im Fernsehen bisher vor allem dadurch, dass man entscheiden kann, wann man es sehen will, und dass man es kommentieren und weiterempfehlen kann. Interaktivität im Video selbst ist selten — nicht, weil die technischen Möglichkeiten fehlen, sondern weil es fast niemand schafft, das lineare Erzählen einer Geschichte im Video so mit Interaktivität zu verbinden, dass weder die Erzählung noch die Interaktionsmöglichkeiten darunter leiden.

Zach Wise ist auf diesem Gebiet ein Durchbruch gelungen, und zwar zuerst mit einem interaktiven Video über die Wasserknappheit in der Gegend von Las Vegas für die Website der Las Vegas Sun. (Bereits vorher ist bei der New York Times das nicht weniger interessante Choosing a President erschienen, an dem Zach, der inzwischen zur Times gewechselt ist, maßgeblich beteiligt war. Dieses Video, dessen Produktion Zach genau erläutert, ist ein eigenes Post wert; siehe dazu Tracy Boyer.)

Tracy Boyer schreibt zu Thirst in the Mojave:

Wise takes storytelling to a completely new level with the introduction of interactive videos.

Zach erzählt linear, dabei ist das 22minütige Video in 5 Segmente geteilt. Eine durch Mouseover einblendbare Timeline oben orientiert die Benutzerin darüber, wo sie sich befindet, und ermöglicht es, an jede Stelle zu springen. Unten wird in zwei Fenstern zusätzliche Information geboten, links durch eine — aufzoombare — Karte, rechts durch anklickbares zusätzliches Text- und Videomaterial. Durch Klicken auf die eingeblendeten Namen von Interviewpartnern wird deren Kurzbiografie aufgeklappt. Alle Einstellungen des Videos sind geocodiert; auf der Karte links unten sieht man, wo gedreht wurde. Außerdem ist das Feature noch mit einer Datenbank zur Wassersituation in der Region verbunden. Zach Wise beschreibt detailliert, wie das Feature funktioniert und wie es produziert wurde.

Die Leistung von Zach Wise besteht darin, dass die zusätzlichen Informationen als Abzweigungen von einem Weg angeboten werden, zu dem man immer wieder zurückkehren kann, und der auch immer sichtbar bleibt. Man verliert nie die Orientierung, weder visuell noch in der zeitlichen Abfolge der Erzählung. Dabei wird ein kontroverser Sachverhalt journalistisch aufgearbeitet. Es wird sinnlich vermittelt, was passiert, und es wird sehr viel, aber nicht zu viel Hintergrundinformation geboten. Bravourös macht Wise vor, wie durch visuellen Linkjournalismus eine Geschichte in ihrem Zusamenhang erzählt werden kann [via News Videographer].

Sehenswert — Michael Rosenblum vor englischen Zeitungsverlegern:


(Michael Rosenblum @ Society of Editors 08 from Paul Bradshaw on Vimeo; Fortsetzungen hier und hier)

Ein paar der Statements des Vaters des Videojournalismus:

  • Videojournalisten arbeiten so schnell und flexibel wie schreibende Journalisten; sie sind den schwerfälligen Fernsehproduktionsteams weit überlegen.

  • Bewegte Bilder zu produzieren ist nicht mehr aufwändiger als anderer Journalismus.

  • Jeder Idiot kann heute lernen, Fernsehen zu machen, jeder Neunjährige kann professionell Video schneiden, wenn er will.

  • Verlage leben nicht von Zeitungen oder Fernsehen, sondern davon, Gemeinschaften mit den Informationen und Geschichten zu versorgen, die sie brauchen.

  • Wer nicht konsequent neue Techniken nutzt, wird so untergehen wie das französische Ritterheer gegen die englischen Bogenschützen in der Schlacht von Crécy.

Hier spricht ein Pionier des Genres; mir war bisher nicht klar, welche Bedeutung Rosenblum für die Entwicklung des Videojournalismus und damit des Onlinejournalismus hatte. (Neu sei Rosenblums Botschaft vielen Verlegern, aber nicht unbedingt ihren Angestellten, stellt Andy Dickinson fest, der fragt, warum Rosenblum bei diesem Publikum so gut ankommt.)

Zusammen mit Boris Böttger habe ich gestern eine Lecture Diedrich Diederichsens live ins Internet gestreamt.

Martin Lindner hat sich via Twitter und Blog in die Diskussion eingeschaltet;
parallel haben auch Jana Herwig und Margit Hinke getwittert.

Ich habe nie vorher mit Videoproduktion und schon
gar nicht mit Streaming zu tun gehabt. Trotzdem hat es auf Anhieb
geklappt. Ich verdanke das — außer Boris‘ Unterstützung —
vor allem dem Kölner Service make.tv
. Mit make.tv ist das Streamen von Videos nicht viel
schwieriger, als eine Kamera an seinen Laptop zu hängen. Der
eigentliche Witz von make.tv ist aber, wie man unterschiedliche
Streams miteinander verbinden kann: man verbindet sich in einem Chat
mit anderen make.tv Usern (gestern habe ich meinen
Stream
mit dem von Boris verbunden) und kann dann entweder zwischen
verschiedenen Streams hin- und herschalten oder auch einen Stream in
den anderen einblenden. (Es gibt noch viel mehr Möglichkeiten die
Streams in Echtzeit zu bearbeiten und dabei andere Objekte zu
verwenden.) Ich habe in einem kurzen Screencast festgehalten, wie das
make.tv-Studio in meinem Browserfenster aussah:

Link: Poploch-Streaming mit make.tv

Auf make.tv bin ich erst vor zwei Tagen durch Luca Hammer gestoßen, der die Wiener
Digitalks
überträgt. (Wir haben die Lecture gestern nicht aufgezeichnet; es gibt
aber eine Tonaufnahme, und voraussichtlich wird der Text auch in einem
Buch publiziert.)

make.tv erlaubt eine echte kollaborative Videoproduktion. Mehrere
Leute können eine Event jeweils aus ihrer Perspektive aufnehmen, und
jeder von ihnen kann kann seine Sicht mit anderen kombinieren (und
gleichzeitig chatten). Das könnte ein neues Paradigma für die
Video-/Fernsehproduktion werden.

Welche Rolle Video-Reporter im Online-Journalismus spielen werden, fragte die Online Journalism Review im September den Washington Post-Reporter Travis Fox. Das Interview ist lesenswert, weil es sehr genau auf die praktische Arbeit von Videojournalisten eingeht; Fox hütet sich vor großspurigen Prognosen. Er unterscheidet technisch und ästhetisch kaum zwischen Video für das Web und Video für das Fernsehen, weil auch das Fernsehen von Qualitäten des Web-Videos wie Nähe zum Gegenstand und Tempo profitiert. Ich halte nur ein paar Stichpunkte fest [Q&A with Travis Fox, video journalist for washingtonpost.com]:

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r73.net ist das Weblog Roman Mischels [via: netzjournalist]. Darin (außer vielen anderen Links) ein Hinweis auf das Weblog Screens der NYT, das sich mit Online-Video beschäftigt. Bei Mindy McAdams ein dazu passendes Zitat des früheren ABC-Managers Av Westin:

Newspapers, I think, have always wished they could be in television, but they didn’t have a television network. Now they essentially have one: it’s called the Web.