In Frankreich hat die Zeitschrift Le Tigre einen Mann ohne seine Zustimmung porträtiert und dazu ausschließlich Daten aus Web-Diensten wie YouTube und facebook benutzt: Französischer Internetnutzer unfreiwillig in Zeitschrift porträtiert. Auf der Website der Zeitschrift findet sich in der Rubrik Portrait Google übrigens nur der Hinweis darauf, dass sich die Zeitschrift nicht an der medialen Aufregung über die Geschichte beteiligen wolle, und dass sie zwischen der realen Person (die offenbar gegen den Artikel geklagt hat) und einer medialen Kunstfigur unterscheide.
Mich interessiert hier nicht die reale Geschichte hinter der Meldung (sie hat offenbar auch die Medien wie den Standard nicht interessiert, die sich auf Agenturmeldungen verlassen haben und nicht einmal auf die Zeitschrift verlinken.) Mich interessiert das Publikumsinteresse, dem sie ihren Nachrichtenwert verdankt. Die Meldung bedient das dumpfe Unbehagen an Google, facebook usw., die in unsere Privatsphäre eindringen. Immer wieder höre ich von Bekannten, man müsse ja nicht alles veröffentlichen; zwei meiner Kollegen haben mich sogar gebeten, ihnen keine Mails via GMail zu schicken.
Ich bin mit diesem Thema (Datenschutz und Web 2.0) nicht fertig, und ich schreibe auch aus einem dumpfen Gefühl heraus: Ich habe den Eindruck, dass es vielen, die sich über Suchmaschinen und soziale Netze beklagen, gar nicht um Datenschutz geht, sondern darum, sich vor der unheimlichen Welt des Netzes zu schützen und möglichst lange bei den gewohnten Formen der Kommunikation und Publikation zu bleiben (so wie die Verlage, die das Netz über Jahre ignoriert haben und dann jammern, weil Google ihre Bücher digitalisieren will.)
Ich möchte drei Gedanken formulieren, die mir bei der Diskussion dieses Themas wichtig sind, und die sicher nicht ausreichen, um hier eine Position zu begründen:
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Wer im Internet publiziert, publiziert. Wer Facebook, Twitter oder irgendeinen anderen Service benutzt, um etwas über sich zu veröffentlichen, gibt weder ihnen noch anderen damit einen Zugang zu seiner Privatsphäre, sondern verlässt die Privatsphäre. Er oder sie muss sich genauso überlegen, wie er sich und andere schützt, wie es sich jeder Autor von Büchern immer schon überlegt hat. Es ist schlicht viel leichter geworden, etwas zu publizieren, aber natürlich bleibt es eine persönliche Entscheidung, Daten von sich bei diesen Diensten freizugeben.
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Web 2.0-Anwendungen bieten einen konkreten Nutzen, der ohne Publikation von Daten nicht zu haben ist. Es geht nicht darum zu entscheiden, ob man von irgendeinem Moment an keine Privatspäre mehr haben will, sondern darum, ob man selbst und andere von der Teilnahme an einem solchen Service profitieren. Bei allen Formen des Wissenaustauschs profitiert man eindeutig von diesen Möglichkeiten, und warum soll man nicht im Netz auch persönliche Beziehungen beginnen? Dazu muss man immer auch etwas von sich freigeben, nicht nur im Netz.
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Man kann den Risiken, die mit Web 2.0-Anwendungen verknüpft sind, nicht dadurch begegnen, dass man auf sie verzichtet. Es ist nicht nur eine Frage von Gesetzen, sondern eine Sache der Liberalität und Toleranz einer Gesellschaft, jedem die Möglichkeit zu geben, sich auch in einer provozierenden und ungewohnten Art zu äußern. Wenn Bewerber um Jobs benachteiligt werden, weil Party-Fotos von ihnen im Netz kursieren, gehören nicht facebook und StudiVZ in den Orkus, sondern die dafür verantwortlichen Personalabteilungen.
Ich will die Gefahren, die mit der Verarbeitung einer Unmenge von persönlichen Daten verbunden sind, nicht ignorieren. Ich bin strikt gegen die Versuche (etwa der deutschen Minister Schäuble und von der Leyen) den kompletten Datenverkehr zu überwachen — dahinter stehen totalitäre Phantasien. Aber ich bin auch dagegen, ensthaft über digitale Burkas zu diskutieren oder sie jungen Leuten zu empfehlen. Eine freie Gesellschaft lebt davon, dass ihre Mitglieder sich äußern und sich zeigen — ich möchte dazu ermutigen, statt davor zu warnen.