Am letzten Wochenende habe ich The Brutalist gesehen. Der Film hat mich vom Beginn – der Ankunft des Helden in New York – bis zum Ende – der Ehrung des inzwischen berühmten und todkranken Architekten László Tóth in Venedig – fasziniert.

Einige Elemente dieser Geschichte haben mich an die Familiengeschichte einer tschechischen Freundin erinnert, deren Eltern die Naziherrschaft in Theresienstadt und im Maquis bei den französischen Partisanen überlebten, sich dann in Prag wiedertrafen und 1968 nach Deutschland emigrierten. Das Familienfoto Tóths, dass in der Pause zwischen dem ersten und zweiten Teil des Films gezeigt wurde, ähnelte einem Foto in der Küche meiner Freundin. Die Widersprüchlichkeit der Person Tóths und die – oft grausame – Absurdität der Situationen, in die er im Lauf des Films gerät, sind Reflexe der Erniedrigung und Ermordung der Juden, die den erst am Ende benannten Hintergrund des Films bildet.

Apotheose und Zufall

Auf die beiden langen Hauptteile von The Brutalist folgt ein Epilog. Bei der ersten Architekturbiennale in Venedig, 1980, sitzt László Tóth schwerkrank im Rollstuhl, während seine Nichte eine Laudatio hält und auf sein Leben zurückblickt.

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Diese Schluss-Apotheose hat mich an das Ende des Faust erinnert. Man kann im Erscheinen von Tóths Nichte eine Anspielung auf das Ewig-Weibliche erkennen – sie folgt auf die Begegnungen mit Frauen, denen Tóth begegnet und die ihn unterstützen (wie, auch das war eine meiner Assoziationen, die Frauen, die sich in Kafkas Romanen mit K. verbinden, ohne dass er sich ihnen umgekehrt öffnet). Dann lässt sich Tóths Verbündeter und Gegner Harrison Lee Van Buren als Teufelsfigur deuten: ein Teufel, der Tóth, den er engagiert hat, um ein Community-Center zum Nachruhm seiner Familie zu errichten, in einem Marmorbruch in Carrara physisch vergewaltigt und verschwindet, als Tóths Frau dieses Verbrechen vor der Familie des Täters öffentlich macht.

Aber der Epilog ist nicht der Film, und er ist auch nicht sein Fazit. Die Feier am Ende steht in in einem tragisch-ironischen Kontrast zur dem Teil der Lebensgeschichte des Architekten, den die beiden Hauptteile zeigen. Was im Rückblick als konsequente Entwicklung eines genialen Architekten verstanden wird, der seine Zeit und auch die Region seiner Herkunft, das österreichisch-ungarische Mitteleuropa, repräsentiert, ist im Lauf des Film eine offene, immer wieder grausame Zukunft, eine Folge von oft auf persönliche Willkür zurückführbaren Ereignissen, in denen Tóths Talent sich durch Zufall und mit großen Hindernissen entfalten kann, und in denen er nur knapp dem völligen Scheitern entgeht.

Bewegung und Raum

Fasziniert hat mich der The Brutalist vor allem, durch die Art und Weise, in der ich als Zuschauer in die Bewegungen des Films hineingenommen wurde und dabei nicht nur die Räume wahrgenommen habe, in denen die Protagonistinnen und Protagonisten agieren, sondern durch Kamerabewegung, Ton und Licht auch Qualitäten ihrer freien und eingeschränkten Beweglichkeit erfahren habe: Bewegung und Beweglichkeit in geografisch-historisch bestimmten Räumen als körperliches und existentielles Phänomen.

In The Brutalist werden Bewegung und Nichtbewegung, Beweglichkeit und Bewegungsunfähigkeit in unterschiedlichster Form gezeigt, aus den Perspektiven bewegter Kameras und in einem rhythmisierten Zeitfluss, der tänzerisch ist und in dem Tanz eine wichtige Rolle spielt. Diese Bewegungen sind immer auf bestimmte Räume bezogen, auf die Räume in der Realität des kapitalistischen Pennsylvania und New York der Zeit nach dem 2. Weltkrieg und in einer Episode auf die Steinbrüche in Carrara. Die Architektur Tóths dagegen abstrahiert von diesen konkreten Räumen, und sie stellt den Horizontalen der menschlichen Bewegung im Raum die Vertikale entgegen, die zwischen Licht oben und Dunkel unten verläuft. In der Vertikalen ist keine körperliche Bewegung möglich. Sie erschließt sich nur von unten und in der Ruhe, ohne Bewegung. In der Bibliothek, die Tóth zu Beginn entwirft, sind die horizontalen Reihen der Bücher hinter Paneelen verborgen, aus einer Kuppel oben fällt Licht in den Raum. Unter der Kuppel befindet sich als einziger Einrichtungsgegenstand eine Liege.

Räumlichkeit und Erzählung

Unser Verständnis von Erzählungen ist meist zeitlich orientiert. Wir suchen nach einer Logik, die vom Anfang bis zum Ende führt, und wir identifizieren den Aufbau der Erzählung vom Anfang bis zum Schluss wie den Aufbau eines klassischen Dramas mit der Logik des dargestellten Prozesse, der von Anfangsbedingungen zu einem Ergebnis führt. In der Erzähltheorie hat die Privilegierung der zeitlichen und historischen Dimension zu einer Abwertung der Räumlichkeit und damit der räumlichen Zufälligkeit geführt, zur Ablehnung des Pikaresken, des Berichtens über unterschiedliche und fremdartige Orte, in die die Helden auf einer Reise gelangen, deren Verlauf immer vom Zufall bestimmt wird.

Für das Geschehen in der pikaresken Erzählung dieses Films ist nicht eine historische Logik verantwortlich, sondern die Zufälligkeit der räumlichen, der historisch-geografischen Unterschiede. Diese Zufälligkeiten determinieren historische Prozesse mit und werden von ihnen determiniert, sie lösen sich aber nicht in einer großen, übergreifenden Erzählung auf. Es ist ein Zufall, dass dem vom Faschismus beherrschten Mitteleuropa die USA mit ihren räumlichen Ressourcen gegenüberstand und dass die USA entscheidend dazu beitragen konnten, das Naziregime zu besiegen. Es ist auch ein Zufall, dass der Held des Films in die USA auswandern konnte, in einen ganz anderen historischen Raum als den seiner Herkunft. Hier ist er von zufälligen Begegnungen und Ereignissen in Pennsylvania und New York abhängig. Die Zufälligkeit wird nie von einem Plan dominiert, auch wenn sie dem Helden die Chance bietet, architektonische Pläne zu verwirklichen. So zeigt dieser Film ausgehend von den Wechselfällen einer – besonderen, aber eben gerade damit auch zufälligen, unwahrscheinlichen – Biografie Bewegungsverläufe in einem Komplex heterogener Räume, von Mitteleuropa und der Adria bis zur amerikanischen Ostküste.

Autochthone, Exil und Utopie

Einen besonderen und prekären Status haben in diesem Film die Orte, an denen Menschen ankommen, ankommen wollen oder glauben angekommen zu sein. Pennsylvania ist ein alter Zufluchtsort der Protestanten, eine Utopie, die durch ihre Realisierung, durch Extraktion und Bereicherung zerstört wird. Die einstigen Migranten verstehen sich als autochthon und verdächtigen alles nicht Autochthone. Tóths Nichte und ihre Familie fliehen aus der verdorbenen Wirklichkeit der USA nach Israel. Tóth selbst folgt ihnen nicht, Israel wird im Film nicht gezeigt.

Ein Gegenbild zu den horizontalen Bewegungen in ein Exil und im Exil, aber auch zu den vertikalen, ins Transzendente gerichteten Bewegungen ist im Film Carrara, der Ort der Steinbrüche. Der Altar, den Tóth für das Community Center in Pennsylvania entwirft (und der das Motiv der Liege unter der Kuppel in der Bibliothek aufnimmt), besteht aus Carrara-Marmor – während alles andere aus Beton errichtet wird. Die Schönheit dieses Steins erschließt sich, wenn Wasser auf ihn gegossen wird. Gebrochen und verkauft wird er von einem Anarchisten, der Carrara fast nie verlassen hat. In Carrara haben die Anarchisten die faschistischen Truppen von Steinen erschlagen lassen.

Einer der Höhepunkte des Films, ein Fest in Carrara, bei dem Tóth mit einer Unbekannten tanzt, sie küsst und sich dann von ihr trennt, bevor er von van Buren vergewaltigt wird, findet unter der Erde, im Fels statt. Das Fest ist irdisch, aber in diesem Irdischen findet Tóth nur für Augenblicke Ruhe. Er bleibt dem Irdischen in seiner Architektur treu, deutet nur immateriell, mit Licht an, was darüber hinausgeht.

So greifen in The Brutalist verschiedene Ebenen der Bewegung und des Raumes, der Freiheit und der Unfreiheit, ineinander, von der körperlichen Beweglichkeit und und Unbeweglichkeit über die physische Macht, Räume zu beherrschen, die historische Determiniertheit von Räumen bis zur Entgegensetzung von horizontaler Räumlichkeit und vertikaler Bezogenheit auf Transzendenz und auf das Irdische und Unterirdische. Der Film integriert diese unterschiedlichen Raum- und Bewegungsebenen über den Bewegungsfluss der Kamera zu einem zeitlichen (und damit horizontalen, nicht vertikalen) Ganzen, und er reflektiert ihn, vor allem in der fiktiven Architektur Tóths. Er ist pathetisch in einem wörtlichen Sinn – das Wort „pathetisch“ ist aus dem griechischen Wort pathein für erleiden, erfahren, erdulden abgeleitet. Aber sein Pathos geht nicht über das im Raum Erfahr-, Greif- und Sichtbare hinaus.


So wie László Tóth nur durch Zufall zu einem gefeierten Architekten wird, so war auch der Erfolg dieses Films eine Überraschung. Als er auf der Film-Biennale präsentiert wurde, hatte der Film nicht einmal einen Verleih. Inzwischen ist viel über den Film geschrieben worden. Als wichtigsten Text über seinen Film bezeichnete (2025) Regisseur Brady Corbet Why ‘The Brutalist’ resonated so deeply with me as an architect von Daniel Libeskind (2024).

Lamm, O. (2025, October 2). Brady Corbet et Mona Fastvold, scénaristes de «The Brutalist» : «On ne s’est pas demandé si cette histoire apporterait le succès ou la ruine». Libération. https://www.liberation.fr/culture/cinema/brady-corbet-et-mona-fastvold-scenaristes-de-the-brutalist-on-ne-sest-pas-demande-si-cette-histoire-apporterait-le-succes-ou-la-ruine-20250210_5S3GGBTHU5BO5MNHEYZJJU5NKQ/
Libeskind, D. (2024, December 19). Why “The Brutalist” resonated so deeply with me. The Forward. https://forward.com/culture/film-tv/683740/the-brutalist-film-architecture-israel/

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