Gestern fand das 10. Forum Bellevue beim deutschen Bundespräsidenten zum Thema Klimawandel und Transformation statt. Die anderthalb Stunden, die gestreamt und als Aufzeichnung publiziert wurden, bestehen aus einer etwa halbstündigen Rede Steinmeiers und einer Paneldiskussion, bei der sich der Bundespräsident nacheinander mit Maja Göpel, Udo di Fabio, Thea Dorn und Wolfgang Merkel unterhielt. Maja Göpel war nach meiner Erinnerung die einzige Teilnehmerin, die selbst um das Wort bat und replizierte. In dieser Sonderrolle spiegelten sich die Gegensätze der Diskussion. Sowohl die Einleitung des Bundepräsidenten als auch die von ihm kommentierten bzw. anmoderierten Statements der anderen Teilnehmer dienten dazu, die Positionen, für die Göpel steht—Positionen einer radikalen Ökologiebewegung— in Frage zu stellen.
Dabei ging es Steinmeier selbst vor allem um die Verbindung der Transformation zur klimaneutralen Gesellschaft mit der Demokratie. Im Verlauf der Diskussion wurde aber auch immer mehr die Themen der übermächtigen Wissenschaft und der nicht akzeptablen Sonderrolle der Klimapolitik angespielt. Zwei Intentionen überlagerten sich: die Verbindung von ökologischer Transformation und Demokratie und die, wenn auch nicht ausgeprochene, Relativierung der klimapolitischen Notwendigkeiten.
Aus Steinmeiers Einleitung und auch aus den Statements der anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer sprach die Sorge, dass die Forderung nach ökologischer Transformation zu einer radikalen Veränderung des gesamten politischen Felds führen könnte. Es ging—unausgeprochen, wie ich sagen muss, so dass ich möglicherweise fehl- oder überinterpretiere—darum, Maja Göpel und die Klimabewegung dazu aufzufordern, die Regeln dieses Felds zu akzeptieren und es nicht kompromisslos zu überfordern. Das erinnert an die ersten Jahre der Digitalisierung, die vielleicht noch nicht überall vorbei sind: Digitalisierung ja, aber nur so, dass wir das Bestehende möglichst gut gegen ihre Folgen verteidigen können. Gesprochen wurde nicht über eine Transformation der Demokratie und auch nicht über mehr demokratisches Einbeziehen der Opfer der globalen Erhitzung, sondern über die Verteidigung der vorhandenen Instititutionen. Die Forderung nach Bürgerversammlungen wurde überhaupt nicht diskutiert, so dass nicht so ganz klar wurde, durch was die Klimabewegung überhaupt der parlamentarischen Demokratie gefährlich werden kann.
Steinmeier und alle anderen Diskussionsteilnehmer stimmten darin überein, dass Deutschland klimaneutral werden muss—2050, wie Steinmeier sagte. Nicht erwähnt wurde, dass zum Erreichen der Pariser Klimaziele nicht Klimaneutralität als solche nötig ist, sondern das Einhalten eines CO2-Budgets. Wie groß die Transformation der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft sein muss, hängt entscheidend davon ab, welches CO2-Budget zugrunde gelegt wird.
Es wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass man die Politik nicht technokratisch nur von Naturwissenschaftlern bestimmen lassen könne, darauf insistierte vor allem Thea Dorn. Dieses Sprechen von der Wissenschaft oder der Naturwissenschaft verunklärt, dass die Politik hier nicht einen Kompromiss mit Wissenschaftlern suchen müsste, sondern mit physikalischen Gegebenheiten. Es müssen nicht Politiker Wissenschaftler davon überzeugen, dass die Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels die Gesellschaft überfordert, sondern die Gesellschaft muss sich auf die Folgen jedes zusätzlichen Zehntelgrads einstellen.
Die Diskussion ist das Signal wichtiger Diskursveränderungen. Die Klimakrise wird in der offiziellen deutschen Politik in ihren Dimensionen erkannt und nicht als Ökothema an den Rand gedrängt. Andererseits bilden sich stehende Formulierungen wie die von der Gefährdung der Demokratie, der Herrschaft der Naturwissenschaftler und des Schutzes der Verlierer, die zu einer diskursiven Mauer werden können, die den Charakter der ökologischen Krisen verbirgt.
Mit dieser defensiven Haltung tut man der Demokratie keinen Gefallen. Sie erschwert eine demokratische ökologische Transformation, weil sie Demokratie als etwas Gegebenes betrachtet, das man von der Ökologie abtrennen kann. Demokratie und konsequente Klimapolitik geraten nicht durch die Radikalität der Naturwissenschaftler und der Klimabewegung in einen Gegensatz, sondern durch die ökologische Verfassung der Marktwirtschaften nach dem 2. Weltkrieg, als die große Beschleunigung begann, die das Erdsystem umformt.