Gestern abend in der Lesung von Andrea Scrima im Café in der Murinsel. Sie hat, abwechselnd auf Englisch und Deutsch, Texte aus einem Buch über die Geschichte ihrer Familie gelesen. Sie beschreibt, wie sie am Browser zu den Orten recherchiert, an denen ihre New Yorker Vorfahren gelebt haben – in der Bronx und auf Staten Island. Ein Thema des Buchs, vielleicht das Hauptthema, ist Migrationsgeschichte. Ein Großvater Andrea Scrimas kommt aus einem süditalienischen Dorf mit einer alten albanischen Community – dort plant sie noch weitere Recherchen.
Ich habe vorher leider nie eine Veranstaltung mit Andrea Scrima besucht, ich erinnere mich nur an ihre sehr gute Rede auf der Demonstration „Demokratie verteidigen“ (ich habe hier über diese Demo gebloggt). Die Rede ist in den Manuskripten erschienen. Auch ihre Kolumne in der Kleinen Zeitung (hier einer der Texte, mit Links zu weiteren) bin ich erst jetzt aufmerksam geworden.
Bei ihrer Lesung wurde ihr eigener Vortrag, durch ihre Stimme und durch den Wechsel der Sprachen, zu einer Performance, in der sie ihre Beziehung zu den Spuren ihrer Familiengeschichte inszeniert (oder vielleicht: über Schwierigkeiten dieser Beziehungen wie den gespenstischen Charakter von Fotos von Orten, in die man nicht eintreten kann).
Heute früh habe ich, zufällig, eine Satz von John Berger gelesen:
Emigration, forced or chosen, across national frontiers or from village to metropolis, is the quintessential experience of our time. [zitiert in der Einleitung von Landscapes]
Ich habe den Satz als einen Kommentar zum Text und zur Lesung Andrea Scrimas verstanden, der ihren Hintergrund benennt. Ein Anlass mehr, über die Beziehungen von Texten und Fotografien zu Orten und über das Erscheinen der Schreibenden oder Fotografierenden in den Texten und Fotografien nachzudenken.