Klee_Paul: Hauptweg und Nebenwege; Museum Ludwig, Köln

Seit Beginn des neuen Semesters an der Fachhochschule bin ich in einem Zustand, den ich unbedingt vermeiden wollte: unter Wasser. Ich schleppe zu viele alte, nicht abgeschlossene Projekte mit mir herum, und gleichzeitig beginnnen zu viele neue. Trotzdem nehme ich mir vor, wieder regelmäßig zu bloggen — und sei es nur, dass ich reflektiere, was ich am Vortag im Unterricht erlebt habe. Ich hoffe, dass es mir besser gelingt, mich auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren, wenn ich täglich schreibe. Ich werde wenigstens die Zeit vor 9:00 (vor 8:30, wenn da mein erster Unterricht beginnt) dazu verwenden, und in dieser Zeit wird mich niemand erreichen können — außer durch Lesen danach.

Ich muss mich bei den Verfassern der wirklich interessanten Kommentare dieses Blogs in den letzten Wochen entschuldigen; ich bin nicht einmal dazu gekommen, sie zu beantworten. Ich hoffe, ich kann das in neuen Einträgen tun.

Vielleicht wird sich der Charakter dieses Blogs ändern, wenn ich darin noch mehr meine Arbeit reflektiere: Für Menschen, die in einem ganz anderen Zusammenhang leben, ist das wahrscheinlich schlicht langweilig. Und es ist vielleicht auch nicht besonders passend, wenn ich als Lehrer an einer Hochschule über Probleme, Nichterledigtes und Schwierigkeiten schreibe. Ich glaube aber, dass sich dadurch, dass wir immer mehr nicht nur eine schriftliche, sondern eine hypermediale Existenz führen, die Beziehungen zwischen Leben/Biografischem hier und Arbeit dort ändern: Man lebt und arbeitet zugleich im Zustand der perpetual beta, man überschreibt die alten Versionen immer wieder mit neuen, man verlinkt die Versionen zugleich miteinander, und man überlässt es dem Zufall, wer wo andockt. Man kann Vorläufiges und Unfertiges schreiben, in der Hoffnung, dass es aufgegriffen wird und sich anders fortsetzen lässt, als man es selbst geplant hat. Diese Vernetzungschancen kann man wohl nur ergreifen, wenn man auch bereit ist, gelegentlich dumm zu erscheinen. Man muss vielleicht bereit sein, Gedanken zu äußern, die klischeehaft sind, auf Misverständnissen beruhren und zeigen, was man nicht verstanden habt — nicht in der Haltung der affektierten Bescheidenheit, sondern weil man tatsächlich mit seinen Grenzen leben muss und auf andere, z.B. Studenten, Kollegen und Kommentatoren, angewiesen ist.

Der Workshop in Rostock hat mich auch interessiert, weil ich mich frage, wie man den besonderen akademischen Charakter des Studiengangs beschreiben kann, an dem ich arbeite. In welchem Verhältnis steht die praktische Ausbildung von Journalistinnen und Kommunikatoren an einer Hochschule zur wissenschaftlichen Ausbildung? In der kurzen Zeit in Rostock habe ich einen Einblick in die Kommunikations- und Argumentationkultur des Kollegs erhalten: Zu ihr gehört eine sorgfältige Reflexion des eigenen Vorgehens vor dem Horizont der Methodendiskussionen in den Geisteswissenschaften in den letzten Jahrzehnten.

Die Rostocker Studierenden stellten während des Kolloquiums eigene mediale Prduktionen vor — eine Ausstellung, Websites und ein Magazin, also die Ergebnisse von Ausflügen in das vor- und außerakademische Terrain. Wenn ich es richtig sehe,haben die meisten von ihnen die mediale Reflexion ihrer Dissertationsthemen als Ergänzung ihrer wissenschaftlichen Arbeit verstanden, in der sie sich mit Aspekten ihres Themas beschäftigen konnten, die sie in ihren Dissertationsvorhaben ausklammern müssen. Wäre es sinnvoll, wenn diese Stipendiaten auf eine professionelle Medienproduktion vorbereitet würden, also z.B. Veranstaltungen zur Konzeption von Websites oder zum Magazinjournalismus besuchen würden? Und wäre es sinnvoll, wenn wir unsere Studierenden zu einer Reflexion ihrer Methoden anhalten würden, die sie auf eigene geisteswissenschaftliche Publikationen vorbereiten würde?

Ich habe neulich versucht, die Ausbildung von Kommunikatoren an einer Fachhochschule deutlich von einer wissenschaftlichen Ausbildung zu unterscheiden; Thomas Pleil hat meiner Argumentation in einem Kommentar widersprochen, dem ich wiederum in Vielem nicht widersprechen würde. Der Hintergrund für mein Post war, dass wir an unserem Studiengang den Studenten noch nicht genug praktisches Schreiben und Kommunizieren beibringen; es ging mit nicht so sehr um die wissenschaftliche Fundierung der Lehre. Dabei bedeutet übrigens Wissenschaft speziell an unserem Studiengang einerseits empirisches sozialwissenschaftliches Arbeiten: im Kleinen das, was ein Christoph Neuberger in seinem Institut konsequent und sehr anspruchsvoll betreibt, und andererseits eher interpretierendes, textorientiertes geisteswissenschaftliches oder kulturwissenschaftliches Arbeiten: im Kleinen das, was an dem Rostocker Graduiertenkolleg konsequent betrieben wird.

Durch die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge werden die Pakete, die wir schnüren können, kleiner, und es ist noch wichtiger, sich über das Verhältnis von wissenschaftlichen und praktischen Inhalten Gedanken zu machen. Diese Umstellung macht es aber gleichzeitig auch noch wichtiger, das Verhältnis zu anderen Studiengängen zu klären. Ein Ziel der Umstellung ist es ja, dass die Studenten ihren Bachelor und ihren Master an verschiedenen Hochschulen machen können. Für uns stellt sich damit die Frage, welche Masterstudiengänge unsere Bachelor-Studenten besuchen können sollen, und ob und wo unsere zukünftigen Master-Studenten das Doktorat erwerben können. (Unser Bachelor hat gerade begonnen; das Curriculum lässt uns einige Spielräume; die Duchlässigkeit von Fachhochschulstudiengängen zu den Universitäten ist ein offenes Problem.)

Unabhängig von einer wissenschaftlichen Disziplin verlangen die Berufe, auf die wir vorbereiten, Kompetenzen, die zur wissenschaftlichen Arbeit gehören: methodisches Vorgehen, Fähigkeit zur Kritik und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen. Wichtig ist vor allem, dass die Studenten wissenschaftliche Ansprüche an die Begründbarkeit von Aussagen kennenlernen und sich aneignen. Nicht gut nachvollziehen kann ich die Idee, dass wir angewandte Journalistik und PR unterrichten. Könnte man das Verhältnis von Wissenschaft und Praxis nicht eher analog zum Theater sehen? Die Ausbildung von Schauspielern und Regisseuren ist nicht angewandte Theaterwissenschaft. Aber für ein sich selbst reflektierendes Theater sind die Ergebnisse der Theaterwissenschaft (und anderer Humanwissenschaften) wichtig; wenn man Regisseure ausbildet, wird man sie berücksichtigen.

Vielleicht kann man es so formulieren: Unsere Studierenden sollten lernen, mit Ergebnissen der kommunikationswissenschaftlichen Forschung kompetent umzugehen. Dazu gehört ein Einblick in wissenschaftliche Methoden, der am besten durch eigene propädeutische Arbeiten gewonnen werden kann. Dazu gehört, dass sie von Lehrern unterrichtet werden, die selbst wissenschaftlich arbeiten. In der PR/Unternehmenskommunikation ist es außerdem sinnvoll, dass sie wissenschaftliche Verfahren kennenlernen, die sich in ihrem Beruf z.B. zur Messung des eigenen Erfolgs benutzen können. Sie werden aber in einem praktisch orientierten Bachelor-Studium wissenschaftlich nicht das Niveau erreichen können, das ein geistes- oder sozialwissenschaftliches Studium vermittelt — während sie als Journalisten oder Kommunikatoren nach einem Bachelor-Studium zu produktiver professioneller Arbeit in der Lage sein sollten.

Das bedeutet, dass unsere Bachelor-Absolventen weniger gut als Bachelor-Studenten einer Universität auf ein wissenschaftlich ausgerichtetes Masterstudium vorbereitet sind — so wie umgekehrt Bachelor-Absolventen von der Uni nicht die praktischen Kenntnisse mitbringen werden, die sie für ein Masterstudium bei uns benötigen. Die Unterschiede lassen sich nur durch Zusatzangebote ausgleichen. Am einfachsten wäre es, dass Fachhochschulen und Universitäten Veranstaltungen für Studierende der anderen Einrichtung öffnen; Studenten von uns, die bestimmte Zusatzveranstaltungen an der Uni besucht haben, könnten dann ein Masterstudium an der Universität besuchen und umgekehrt. (Das hört sich leicht an, aber angesichts der Durchbürokratisierung der Hochschulen dürfte es ziemlich schwierig sein, ein solche Vorhaben umzusetzen.)

Noch einmal anders ausgedrückt: Ziel unserer Ausbildung sind kommunikative/persuasive Kompetenzen, die wissensbasiert und auch wissenskontrolliert sein sollten. Die wissenschaftliche Orientierung der Ausbildung soll sicherstellen, dass die Studierenden lernen, Wissen zu vermitteln (also erkennen können, was es wert ist, vermittelt zu werden) und dass sie wissenschaftliche Erkenntnisse benutzen können, um ihre eigenen kommunikativen Fähigkeiten zu erweitern. Auf der ersten Ebene sollten sie zum Beispiel dazu in der Lage sein, Fachleute zu einem bestimmten Thema zu identifizieren und zu befragen; auf der zweiten Ebene dazu, wissenschaftliche Studien zu Journalismus und PR zu verstehen und für ihre Arbeit zu übersetzen.

(Anmerkung: Ich komme erst heute, am 3.3., dazu, den Beitrag zu publizieren.)

Heute sitze ich den ganzen Tag im Zug und kann etwas nachschreiben: In den letzten beiden Wochen bin ich leider kaum zum Schreiben gekommen. Noch immer schaffe ich es nicht, unangestrengt und nebenbei zu schreiben. Es dauert zu lange; deshalb tröpfeln die Einträge nur.

Gestern habe ich vor einem Graduiertenkolleg in Rostock einen Vortrag über Wissenschaftsblogs gehalten; die Einladung verdanke ich meinem Freund Klaus Hock, der in Rostock Religionswissenschaft unterrichtet. Ich hatte mich mit wissenschaftlichen Blogs vorher nicht beschäftigt; mein Vortrag (Präsentation hier), ist eine sehr allgemeine Einführung in das Bloggen für Wissenschaftler. Ich wollte erkären, was Blogs sind und warum es für Wissenschaftler sinnvoll sein kann zu bloggen. Ich habe mich nicht intensiv damit beschäftigt, welche Typen von wissenschaftlichen Blogs es gibt. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass ethographische Analysen von akademischen Blogs sinnvoll wären — als Teil der Wissenschaftsforschung wie der Internetforschung.

Ich hielt meinen Vortrag im Rahmen eines Workshops über Wissenschaft und Kulturkontakt; Zugehört haben die Doktoranden des Kollegs, ihre Professoren und die übrigen eingeladenen Referenten. Wenn ich es richtig sehe; war den meisten das Bloggen ziemlich fremd. Jedenfalls haben nicht viele aufgezeigt, als ich fragte, wer Blogs liest oder selbst bloggt. Twitter kannten höchstens zwei oder drei. Bloggen, soziale Medien, webgestützte Publikationsformen — das sind immer noch Themen für kleine Minderheiten; nicht einmal für handverlesene Doktoranden in geisteswissenschaftlichen Fächern gehören sie zum Alltag.

Woran könnte das liegen? Vielleicht muss man Blogs weniger als ein Werkzeug verstehen, das bereitliegt und von jedem mit unterschiedlichen Zielen verwendet werden kann, sondern als Kommunikationsform innerhalb bestimmter sozialer Gruppen, wie etwa der Web 2.0-Szene — Knowledge Workern, die alltäglich und meist beruflich mit dem Web zu tun haben. Für diese Gruppe sind Blogs (nicht nur Blogs) konstitutiv, so wie für akademische Gruppen Dissertationen und Papers konstitutiv sind. Blog zu lesen oder zu schreiben ist eine soziale Praxis, die in andere Praktiken eingebettet ist: Wer Blogs liest, verwendet auch Feedreader, besucht BarCamps und ähnliche Veranstaltungen und kommuniziert auch über Tools wie Twitter und soziale Netze mit Angehörigen derselben Gruppe.

Sicher ist die Web 2.0-Szene nicht die einzige Gruppe, die mit Blogs kommuniziert. Nach meinem Vortrag hat mich eine Teilnehmerin darauf aufmerksam gemacht, dass ich die zahlreichen Blogs zu praktischen Themen überhaupt nicht erwähnt habe. Dass sich die Gruppen, die sich mit Weblogs über Themen wie Kochen und Gartenpflege verständigen, von den Bloggern, die über Web-Themen kommunizieren, deutlich unterscheiden, macht es noch schwieriger zu erklären, warum Blogs von bestimmten Kollektiven verwendet werden und von anderen nicht.

Blogs in der Lehre zu verwenden ist vielleicht auch vor allem eine Initiierung in eine bestimmte soziale Gruppe. Wenn Medien oder Kommunikationsformen für Gruppen konstitutiv sind, dann ist diese Gruppe schlicht nicht identisch mit den Gruppen, zu deren Kommunikationsmitteln wissenschaftlische Schreibformen gehören. Bloggende Akademiker wie Thomas Pleil und Jan Schmidt gehören zu beiden Universen; vielleicht ist die Frage interessant, in welchem Verhältnis in ihren Blogs die Regeln der einen Gruppe zu denen der anderen stehen. Können Blogposts zugleich wissenschaftliche Publikationen sein? Welche Spannungsfelder bauen sich zwischen Bloggen und wissenschaftlichem Publizieren auf? Und: Lebt nicht jeder interessante Diskurs von solchen Spannungsfeldern?

(Ich weiß, dass ich mich hier sehr unpräzise und eben nicht wissenschaftlich ausdrücke. Weiterverfolgen würde ich diese Gedanken gerne mit Methoden der Akteur-Netzwerk-Theorie. Empirische Untersuchungen zu dieser Thematik lassen sich vielleicht in Verbindung mit den Umterrichten sozialer Medien durchführen. Wann und warum gelingt es, Studenten in das Bloggen einzuführen?)

(Anmerkung: Ich komme erst heute, am 3.3., dazu, den Beitrag zu publizieren.)

Am Dienstag hatte ich in Münster ein Gespräch mit Christoph Neuberger. Ein Thema war die Durchlässigkeit zwischen Studiengängen an Fachhochschulen und Universitäten. Ich habe nicht mit ihm darüber gesprochen, dass ich vielleicht darüber blogge, deshalb hier nur eine Überlegung, die sich an das Gespräch anschließt, und mit der ich noch nicht fertig bin. Deutlicher als vor dem Gespräch sehe ich die Unterschiede zwischen Universitäten und Fachhochschulen bei den Kommunikationsfächern, also Kommunikationswissenschaft, Zeitungswissenschaft oder Journalistik auf der einen Seite, Journalismus, PR oder Unternehmenskommunikation auf der anderen.

Christoph Neuberger steht für eine exzellenz-orientierte akademische Forschung, eine wissenschaftliche Arbeit auf höchstem Niveau. Das Studium der Kommunikationswissenschaft in Münster hat verhältnismäßig wenig praktische Komponenten; wesentlich wichtiger ist es die Einführung in eine methodisch saubere sozialwissenschaftliche Forschung. Für ein Institut wie das in Münster wird — jenseits der Lehre — die Beteiligung an Großforschungsprojekten immer wichtiger; sie sichert die Reputation des Instituts wie der Universität insgesamt.

Das ist von der Arbeit an einem Fachhochschulstudiengang, und ich glaube: auch von den Aufgaben einer Fachhochschule, weit entfernt. Wir bilden Leute für ein konkretes Berufsfeld aus, dazu brauchen sie praktische Fähigkeiten (z.B. schreiben, publizieren im Web), kommunikative Kompetenzen (z.B. recherchieren, moderieren, komplexe Zusammenhänge erklären) und die Fähigkeit zu Reflexion und Innovation (ein weiteres Thema unseres Gesprächs), aber nur bedingt, wenn überhaupt, einen wissenschaftlichen Zugang z.B. zum Journalismus.

Um es sehr allgemein zu formulieren: Man kann nicht beides leisten, eine gute Vorbereitung auf die Wissenschaft und eine gute praktische Vorbereitung auf Kommunikationsberufe. Ich hatte schon bisher ein Unbehagen dabei, wenn von wissenschaftlichen Arbeiten gesprochen wird, mit denen bei uns das Studium abgeschlossen wird. Dieses Unbehagen wächst, weil wir da nicht in der Liga spielen, die interessant ist. Wir sollten auf einer Fachhochschule nicht halbherzig Wissenschaft nachahmen, sondern entschlossen auf die praktische und kommunikative Seite der Ausbildung setzen. Nur dort ist für uns Exzellenz erreichbar. Einen akademischen Anspruch können wir nicht mit Wissenschaftlichkeit begründen, sondern dadurch, dass wir experimentell und innovativ arbeiten und im Freiraum der Hochschule Ideen und Formate entwickeln.

Weil wir uns von den Universitäten deutlich unterscheiden, ist der Dialog mit der Forschung für uns wichtig. Aber in diesen Dialog müssen wir eigene Perspektiven einbringen; wir haben besondere Möglichkeiten, wissenschaftliche Diskurse von außen wahrzunehmen und auf sie zu antworten. Gerade in Bezug auf das Web gibt es eine Fülle von Themen für Dialoge, denn dort gibt es weder eine etablierte akademische Tradition noch fertige und erprobte Konzepte für die praktische Ausbildung. Ich hoffe, dass wir Foren für solche Dialoge finden.

An einem nicht durchgeplanten Vormittag bin ich heute über den Standard (Altruismus als Überlebenstechnik, Der Beginn des Lebens ist berechenbar) auf den Biologen und Mathematiker Martin Nowak gestoßen. Nowak stellt offenbar in seinem Konzept der Evolution die Kooperation als gleichberechtigt neben Mutation und Selektion. Er beschäftigt sich mit der Kooperation auf allen Ebenen der Evolution, von der Zelle bis zur menschlichen Gesellschaft. Er begründet mathematisch, warum ein egoistisches Verhalten der Mitglieder von Kollektiven letztlich die Individuen im Verhältnis zu den Mitgliedern von Kollektiven, die kooperieren, benachteiligt. Er weist also wohl nach, dass ein strikt individuell zweckrationales Handeln nicht im Interesse des Individuums liegt, und dass sich das Handeln von Menschen auch nicht ädäquat als individuell zweckrational modellieren lässt.

Ich finde diese Ideen faszinierend, und ich möchte mich gerne intensiver mit Nowak (sowie mit Karl Sigmund und Ernst Fehr) beschäftigen. Ich sehe in meiner Lehre drei Anknüpfungspunkte:

  • in der Medienethik bei der Frage der Begründung ethischer Normen: Ich gehe bisher immer von Argumentationen Ernst Tugendhats aus, die man mit Nowaks Resultaten gut erweitern könnte (was den utilitaristischen Aspekt bei Tugendhat betrifft);

  • bei sozialen Medien und anderen Kooperationsformen im Web bei der Frage, warum es sinnvoll ist, Informationen, Wissen und anderes zu teilen, auch wenn kein unmittelbarer return of investment zu erwarten ist, hier passen Nowaks Überlegungen möglicherweise sehr gut zu den Theorien Yochai Benklers ;

  • bei der Online-PR in Bezug auf die Reputation. Reputation spielt bei Nowaks Untersuchungen zur Kooperation wohl eine Schlüsselrolle.

Ich hoffe, dass ich bald die Zeit habe, mich intensiver mit Nowak zu beschäftigen und über ein metaphorisch/populärwissenschaftliches Verständnis seiner Aussagen hinauszukommen. Und vielleicht interessiert sich ja auch jemand von unseren Studierenden für diesen österreichischen Wissenschaftler.

Gestern bin ich vom BarCamp Klagenfurt 2009 zurückgekommen; Ende Januar war ich in Dieburg auf der Tagung Zukunft Online-PR 2009. Ich beginne erst, Eindrücke und Ideen zu ordnen (einen Teil der Präsentationen findet man auf Slideshare hier und hier).

Ein Aspekt, der mich besonders interessiert: Wie kann man sich wissenschaftlich mit der Kommunikation im Web beschäftigen? Welche Aufgaben, welche Methoden hat die Forschung oder könnte die Forschung haben? Mit Jana Herwig habe ich in Klagenfurt über unser Vorhaben gesprochen, eine Zeitschrift für Webwissenschaft ins Leben zu rufen, mit Thomas Pleil in Darmstadt über Feldforschung im Web (ich hoffe, dass dabei unsere Studiengänge kooperieren).

Thomas Pleil geht in seinem Dieburger Vortrag auch auf die Rolle der Forschung ein:

In einem anderen Vortrag in Dieburg hat sich Jan Schmidt mit der soziologischen Untersuchung von sozialen Netzwerken beschäftigt, er sprach unter anderem von der Chance. die Enstehung von Normen zu beobachten:

Jana stellte in Klagenfurt ein Projekt zur Twitterforschung vor und beschrieb das Hineinfinden in Twitter als einen Initiationsritus:

In diese Reihe zur Erforschung des Web gehört für mich auch die Untersuchung der politischen Kommunikation, die Max Kossatz in Klagenfurt vorgestellt hat; ich habe sie online noch nicht gefunden.

Alle diese Projekte verbindet ein ethnographischer Zugang zum Web. In allen Fällen kann man von teilnehmender Beobachtung sprechen: Die Beobachter verwenden selbst die Kommunikationsformen, mit denen sie sich beschäftigen. Bei Max Kossatz kommt ein technischer Zugang hinzu: Er nimmt mit selbstentwickelten Webtools Auswertungen zur Präsenz politischer Organisationen im Web vor.

In Klagenfurt habe ich mich mit Jana (wir vorher länger auf dem BarCamp Graz) über das Unbehagen an geisteswissenschaftlichen Thematisierungen des Webs unterhalten, die web-fremd sind, deren Autoren man anmerkt, dass sie selbst nicht mit aktuellen Webtechnologien umgehen und sie wohl auch nicht verstanden haben. Die Präsentationen, auf die ich hier verwiesen habe, sind — bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Ansätze — anders. Eine Frage ist: Welche Rolle spielt es für ihre wissenschaftliche Dignität, dass ihre Urheber auch Web-Praktiker sind? Eine weitere Frage, ausgelöst durch das Vorgehen von Max Kossatz: Welche Rolle spielt Web-Technologie als Instrument der Erforschung des Web? Gehört zur Web Science oder wird zur Web Science das Arbeiten mit spezifischen Web-Instrumenten zur Auswertung und Beobachtung gehören?

Der Kleinen Zeitung — der steirischen Regionalzeitung — können meine Kollegen und ich entnehmen, dass die steirische Landesregierung am Montag darüber entscheiden wird, wie die Stelle des Rektors der FH Joanneum ausgeschrieben wird: Vollaths Fachhochschul-Coup. Uneingeweihte können den Artikel nicht verstehen: Im Kern geht es wohl darum, ob die nächste wissenschaftliche Geschäftsführerin wieder Vorsitzende des FH-Kollegiums sein (und damit auch vom Kollegium mitgewählt) wird. Offenbar hält die zuständige Bildungslandesrätin Vollath an dem in Österreich einzigartigen Modell der Personalunion von Geschäftsführung und Kollegiumsvorsitz fest, während ihre Kollegin Edlinger-Ploder nach einem neuen Modell sucht. Frau Vollath gehört der SPÖ an, Frau Edlinger-Ploder der ÖVP; sie war in der letzten Legislaturperiode für die FH verantwortlich. Eine Proporzvorschrift kettet in der Steiermark beide Parteien in der Regierung aneinander. Tatsächlich belauern sie sich, und zur Zeit (wie eigentlich immer) beziehen sie Stellung für den nächsten Landtagswahlkampf. Am Montag dürfte auch darüber entschieden werden, ob und wie die Fachhochschule Joanneum in diesen Landtagswahlkampf hineingezogen wird.

Ich bin als einer der Vertreter der Lehrenden der FH Mitglied unseres Kollegiums, und ich denke wenigstens wöchentlich darüber nach, dieses Gremium zu verlassen. Der Bericht in der Kleinen Zeitung bringt mich diesem Schritt ein Stückchen näher. Zur zukünftigen Führungsstruktur der FH hat das Kollegium eine Stellungnahme formuliert; welche Rolle sie für die Entscheidung der Landesregierung spielt, wissen wir nicht. In der schlechten spätabsolutistischen Tradition der Steiermark werden Entscheidungen nicht offen diskutiert, bevor sie getroffen werden. Es gibt wenige Wissende und einige Personen in deren Umkreis, denen Indiskretionen zugeworfen werden. Auf eine solche Indiskretion dürfte auch der Artikel in der Kleinen Zeitung zurückgehen, der offenbar darauf abzielt, die Bildungslandesrätin zu schwächen. Der Einfluss des FH-Kollegiums, das für die Qualität von Lehre und Forschung verantwortlich ist, ist extrem gering. Noch komplizierter werden die Machtspiele um die FH durch einen politbüroartig agierenden Aufsichtsrat, gegen den sich, wie aus dem Artikel in der Kleinen hervorgeht, auch die vorgesetzte Landesrätin nicht immer durchsetzen kann, und durch die interne FH-Bürokratie, die in der Vergangenheit FH-Geschäftsführungen gefährlich geworden ist und im Gegensatz zu den Studiengängen nie evaluiert wird.

Die FH Joanneum hat einen guten Ruf; die Arbeitsbedingen sind nach wie vor besser als an vielen Universitätsinstituten. Ihren Ruf und ihre Qualität hat sie in einer Zeit erworben, in der sie relativ klein und überschaubar war und unbürokratisch geführt wurde — von Personen, die akademische Ansprüche hatten, auch wenn die FH als GmbH organisiert war. Wenn wir unsere Position auf dem Bildungsmarkt halten oder verbessern wollen, brauchen wir dringend und schnell:

  • eine innovations- und sachorientierte Führung mit Handlungskompetenzen;
  • transparente, entbürokratisierte Entscheidungsstrukturen, und vor allem eine
  • konsequente Entpolitisierung der Hochschule.

Wichtig wäre außerdem, dass tatsächlich ergebnisoffene und öffentliche interne und externe Diskussionen über die Entwicklung der FH und ihrer Studiengänge geführt werden. Alles intern und extern vorhanden Wissen muss genutzt werden, wenn die FH ihre Aufgaben als Wissens- und Innovationszentrum für die Region und ihre Wirtschaft erfüllen soll.

Christiane Schulzki-Haddouti benennt fünf Kernkompetenzen von Journalisten:

  1. Recherche und Monitoring;
  2. Die Erschließung und einfache Darstellung komplexer Zusammenhänge;
  3. Trends erkennen und verständlich visualisieren, kontextualisieren, vertonen, vertexten;
  4. Dialog und Moderation: Einen Diskurs, einen Dialog zwischen verschiedene Interessensgruppen anregen und moderieren;
  5. Aufmerksamkeit generieren, Publizität herstellen, Veröffentlichungsprozesse beherrschen.

Man kann die ersten vier dieser Kompetenzen zwanglos den Bausteinen des Online-Journalismus zuordnen, von denen Jeff Jarvis spricht (Nr.2 und Nr. 3 muss man dazu vertauschen):

  1. Kuratierte Aggregation von Quellen;
  2. ein Blog, dass die Geschichte nicht als Produkt, sondern als Prozess begreift;
  3. ein Wiki mit einer Momentaufnahme des vorhandenen Wissens
  4. Diskussion und Vernetzung mit laufenden Diskussionen über ein Thema.

Die fünfte Kompetenz, das Generieren von Aufmerksamkeit, basiert im Web ebenfalls auf Verlinkungen, so dass sich aus beiden Listen zusammen ein Kompetenzprofil des Linkjournalismus oder Online-Journalismus zusammenstellen lässt.

Ich habe damit begonnen, ein Spreadsheet aus beiden Listen zu erstellen, und durch die entsprechenden persönlichen Fähigkeiten und technischen Tools/Skills zu ergänzen.

Die Listen habe ich schon etwas erweitert; ich möchte die Tabelle zur Selbstverständigung und zur Diskussion der Kompetenzen benutzen, die wir am Studiengang vermitteln. Ich habe mich bewusst auf Online-Journalismus beschränkt; ich glaube, dass die Kompetenzen der Journalisten für Offline-Medien sich daraus ableiten lassen. Ich gehe davon aus, dass sich die Kompetenzen von Fachleuten für Online-PR (die wir an unserem Studiengang ebenfalls ausbilden) nicht von diesen Kompetenzen unterscheiden; Journalistinnen und PR-Leute brauchen zusätzlich natürlich noch ein berufsspezifisches institutionelles Wissen.

Es handelt sich um einen ersten Versuch. Das Dokument lässt sich unter diesem URL von Benutzern editieren, die bei Google eingeloggt sind.

Ich lese gerade Neue Wissensordnungen von Olaf Breidbach.

Im Unterricht verwende ich manchmal das Begriffstripel DatenInformationWissen, das wohl auf Russell L. Ackoff zurückgeht. Bisher habe ich immer versucht, alle drei in einer Art Linie zu verstehen, so wie sie etwa in dieser Grafik gezeigt werden. Nach der Lektüre der ersten Kapitel Breidbachs frage ich mich, ob diese Begriffe nicht eher zu unterschiedlichen Kategorien gehören, vor allem, ob man nicht Wissen als die Fähigkeit verstehen kann, mit gegenwärtigen und zukünftigen Informationen umzugehen. Wissen besteht dann nicht aus Informationen, sondern es basiert allenfalls auf ihnen. (Und Informationen sind nicht kontextualisierte Daten, sonderen Mitteilungen von Daten.)

Damit referiere ich nicht Breidbachs Wissensbegriff; Breidbach spricht vom Wissen als interpretierter Information.

Ich meine damit nicht, dass man Wissen schlechthin als eine Fähigkeit definieren kann, sondern dass ein solches Verständnis dieses Begriffs heute sinnvoll sein könnte. Ich gehe mit der These, dass Wissen in der Fähigkeit besteht, mit vergangenen und zukünftigen Informationen umzugehen, an die weitere Lektüre von Breidbachs Buch.

Wenn diese These sich aufrechterhalten lässt, dann würde sich ergeben, dass man Wissen nicht vermitteln kann, indem man nur Informationen weitergibt. Wissen ließe sich nur weitergeben, indem man auch Praktiken vermittelt, und wäre immer an die Aktivität der Menschen, denen man es vermittelt, verbunden.

Ein solcher Begriff von Wissen widerstrebt unserem alltäglichen Verständnis wenigstens auf den ersten Blick: Wir sagen, dass jemand viel weiß, wenn er viele Informationen über etwas hat, wenn er viel gelernt hat. Andererseits setzt man auch im alltäglichen Gebrauch wissen nicht damit gleich, über viele Informationen zu verfügen. Man würde nicht sagen, dass jemand, der ein komplettes Lexikon wiedergeben kann, viel weiß. Von wissen spricht man erst, wenn er die Informationen in neuen Situationen anwenden kann. Zum Wissen gehören wohl die Aspekte der Anwendung, des Neuen und der Situation oder Situiertheit. (Abgesehen vom sozialen Aspekt: Vielleicht kann man nur in einer Gruppe oder als Mitglied einer Gruppe etwas wissen.)

Mir ist klar, dass ich hier möglicherweise nur den Nordpol wiederentdecke. Aber im Alltag, für mich z.B. im Unterricht, ist es nicht unwichtig, sich diese Basics klarzumachen. Außerdem lässt sich durch eine Klärung des Begriffs Wissen möglicherweise verstehen, dass ein bloßes Mehr an Information nicht nur nicht zu einem Mehr an Wissen führt, sondern im Gegenteil die Entwicklung von Wissen als der Fähigkeit, die Informationen zu verarbeiten, behindern kann.

Heute nehme ich in Dieburg an der Tagung Zukunft Online-PR 2009. Zur Vorbereitung des Workshops RSS – Inhalte jenseits der Website zugänglich machen, den ich dort am Nachmittag moderiere, hier eine Mindmap:

(Direktes Linkzur Mindmap)

Als Diskussionsgrundlage habe ich fünf Thesen formuliert.

  1. Newsfeeds sind eine Form der Benutzer-zentrierten Content-Distribution. Sie unterstützen das Vendor Relationship Management bei Medien und gehören zu den Werkzeugen der PR jenseits der Massenmedien.

  2. RSS existiert schon lange, wird aber vor allem von Profis und Info-Junkies intensiv verwendet. Newfeeds sind ein wichtiges Tool vor allem für die Ansprache professioneller Zielgruppen.

  3. Die PR kann und sollte alle Anwendungsmöglichkeiten von RSS nutzen — außer dem Publish-Subscribe-Mechanismus auch das Aggregieren, Filtern und Mashing up von Feeds.

  4. Die PR kann und sollte das ganze Spektrum der Inhalte verwenden, die über Feeds verteilt werden können: außer Texten und Medien (Podcasts) z.B. auch Eventdaten und geografische Informationen.

  5. Newsfeeds gehören zum zweiten Layer der Publikationsformate im Web; sie erweitern das erste Layer (HTML) und funktionieren zusammen mit ihm. Ein drittes Layer, das von Twitter und XMPP repräsentiert wird, entsteht gerade und erlaubt das Live Web oder Real Time Web.

Mindmap und Thesen werde ich heute vielleicht noch erweitern; ich hoffe auf ein spannendes Gespräch.