Gestern hat mich ein Freund gefragt, was ich als “Rebell von Extinction Rebellion” jetzt für die richtige Strategie halte.
Ich denke immer wieder über diese Frage nach. Zu meiner Antwort jetzt bin ich vor allem durch das Buch Carbon Democracy (Mitchell, 2011) gekommen.
Ich glaube, dass wir die politischen Auseinandersetzungen darauf zuspitzen müssen, die fossilen Unternehmen so schnell wie möglich zu entmachten und dann stillzulegen. Alles andere halte ich für Beiwerk und oft auch für Ablenkung.
Timothy Mitchell beschreibt in seinem Buch, wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Demokratie in den westlichen Ländern durchgesetzt wurde: Die Arbeiter, vor allem die Bergleute hatten die Macht, ganze Länder lahmzulegen, und sie nutzten diese Macht, um politische Forderungen durchzusetzen. Sie hatten durch ihre materielle Arbeitssituation im Bergwerk eine Gelegenheit, das “System” zu blockieren und darüber Ziele wie das Streikrecht und das allgemeine Wahlrecht durchzusetzen. Diese Situation ist nur sehr indirekt mit der Situation der Klimabewegung vergleichbar – aber auch dort müssen die Kämpfe mit konkreten Zielen und konkreten Gegnern geführt werden, und da, wo tatsächlich materielle Abhängigkeiten bestehen und das Funktionieren von Systemen unterbrochen werden kann.
An den tödlichen Folgen der Verbrennung fossiler Brennstoffe zweifelt heute niemand mehr, der die Fakten auch nur ein bisschen kennt. Aber der Kampf gegen die Klimakrise wird oft nicht da geführt, wo sie verursacht wird. Solange wir uns darauf konzentrieren, die fossilen Brennstoffe zu ersetzen, die Lebensweise zu verändern oder Aktionen gegen die Fossilindustrie mit vielen anderen politischen Zielen zu verbinden, verlieren wir das Momentum, das wir unbedingt brauchen. Wir greifen nicht die Akteure an, die die ökologischen Krisen in erster Linie verursachen und die leicht als solche zu erkennen sind.
Durch ein System von Abhängigkeiten ist unsere gesamte Wirtschaft mit den fossilen Industrien verbunden. Mitchell zeigt, dass wir überhaupt erst von der Wirtschaft sprechen, seit das Öl zur wichtigsten und scheinbar unbegrenzt zur Verfügung stehenden Energiequelle geworden ist. Auch die Vorstellung des unbegrenzten Wachstums ist eng mit der Umstellung auf das Öl verbunden.
Der letzte IPCC-Bericht erklärt deutlich, wie wenige Jahre wir eine Chance haben, die globale Erhitzung bei etwa 1,5° zu stoppen. Ob das gelingt, hängt einzig und allein davon ab, dass die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas gestoppt wird. Die fossilen Unternehmen wollen das Gegenteil. Obwohl die schon laufenden Ausbeutungen von Kohle- Gas und Ölfeldern dringend gestoppt werden müssen, um die Erhitzung aufzuhalten, sind Investitionen geplant, die zu 646 Gigatonnen zusätzlicher Emissionen führen würden (Taylor, 2022). Dabei lag das weltweite Budget, mit dem das 1,5°-Ziel noch zu erreichen wäre, 2020 bei ca 500 Gigatonnen.
Ich bin nicht dafür, die Analyse des Anthropozäns und alle anderen ökologischen und politischen Probleme auf den Kampf mit einem leicht zu beschreibenden Gegner zu reduzieren. Ich bin aber dagegen, die politische Ebene und die analytische zu verwechseln. Politisch geht es um gemeinsame Aktion, die zeitlich und räumlich begrenzt ist, und für die sich mobilisieren lässt. Auf dieser politischen Eben müssen wir die oberste Priorität und auch den “single point of failure” der Systeme erfassen, die zu den diversen Krisen führen, mit denen die sozialen Bewegungen zu tun haben.
Die Gegner der Klimabewegung sind für mich deshalb nicht die Politik und auch nicht der Kapitalismus, sondern die konkreten Akteure, die dafür sorgen und davon leben, dass weiter Kohle, Öl und Gas verbrannt werden. Sie sind von einer materiellen Infrastruktur, von Finanzierungssystemen und politischen Machtstrukturen nicht zu trennen. Wenn sie als Akteure entmachtet werden, werden alle diese Systeme transformiert. Der Weg zur Transformation der Systeme führt über die Entmachtung der Fossilunternehmen, nicht umgekehrt.
@heinz ja, direkt bei Unternehmen anzusetzen, macht sicher Sinn. Denn es kann nicht sein, dass die OMV bis 2030 ganz massiv Öl und Gas ausbauen will. Völlig entgegen den Klima-Zielen.