Gestern wollte ich meinen Kurs Medientechnik und Medienpraxis an der FH Wien mit einer Diskussion über WikiLeaks beginnen. Ich fragte die beiden Gruppen, die ich unterrichte—zusammen 35 Studierende—was sie über die WikiLeaks- Publikationen und die Aktionen dagegen denken. Es wurde anders diskutiert, als ich es erwartet hatte: überhaupt nicht kontrovers und sehr unaufgeregt.
Die jungen Leute sind sich einig: Niemand glaubt, dass Repressionsmaßnahmen gegen WikiLeaks berechtigt sind. Niemand unterstützt die Position der US-Regierung. Unterschiedlich beurteilen sie nur, ob die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange begründet sein könnten. Einige zweifeln daran, dass es sich bei WikiLeaks um eine journalistische Organisation handelt.
Niemand unter 35 Studierenden denkt auch nur in Ansätzen wie Ernst Elitz, der Assange in der Bildzeitung als üblen Denunzianten bezeichnet hat.
Diese jungen Leute studieren Journalismus und Medienmanagement und werden in wenigen Jahren in Medienberufen arbeiten. Sie haben in einem Wettbewerb hart umkämpfte Studienplätze erhalten, bilden also eine Elite. Sie beschäftigen sich jeden Tag mit Medien, zu ihren Lehrern gehören einige der bekanntesten Journalisten Österreichs.
Es geht mir nicht darum, ob die Studenten Recht haben oder meine Position bestätigen. Mich interessiert, wie sie den Journalismus verstehen, den sie bald ausüben werden. Und da ist sicher: Sie halten die Methoden von WikiLeaks im Ganzen für legitim. Wenn es in ein paar Jahren ein AustriaLeaks gibt, wie es Gerald Bäck gefordert hat, dann werden sie damit zusammenarbeiten wie heute mit der APA. Viele verstehen WikiLeaks einfach als Folge der Entwicklung des Netzes.
Bemerkenswert ist auch, dass die Studenten WikiLeaks einhellig als glaubwürdig ansehen, auch wenn sie an der journalistischen Qualität der Publikationen der Organisation und am Charakter ihres Sprechers zweifen. Den medialen Verlautbarungen der US-Regierung misstrauen sie genauso einhellig. Meine Hypothese: Der Cyberwar gegen WikiLeaks und die Hexenjagd gegen Assange schaden in den kritischen Teilen der Öffentlichkeit vor allem der Reputation ihrer Urheber. Sie diskreditieren nicht WikiLeaks, sondern die US-Regierung. Repressionsmaßnahmen in Europa dürften genauso auf ihre Urheber zurückschlagen.
Wie Öffentlichkeit funktioniert, ist das Ergebnis von Aushandlungs- und Definitionsprozessen. Wenn sich die Momentaufnahme aus der Diskussion gestern verallgemeinern lässt, dann werden Sites wie WikiLeaks bald zum medialen Alltag gehören.