Vor einer Woche durfte ich die Reihe L3t’s Talk mit einem Vortrag über Zeitschriften in der Welt der Apps und Ebooks eröffnen, der jetzt online archiviert ist. Die dazugehörende Präsentation findet sich hier.
Ich habe in dem Vortrag in 10 Thesen eine Modell der Zeitschrift oder des Magazins als eigener Online-Publikationsform formuliert. Im folgenden die Thesen mit begründenden Bemerkungen, also eine Art Kurzfassung des Vortrags. Ich hoffe, dass ich den Vortrag bald schriftlich ausarbeiten und die Präsentation überarbeiten kann.
1. Die Zeitschrift heute verbindet Produktions-, Publikations- und Rezeptionszeit interaktiv miteinander.
Online Publikationsformen sind—von Twitter bis zum Buch—durch eine eigene Zeitlichkeit und damit verbundene spezifische Möglichkeiten der Interaktivität charakterisiert. Eine eigene Online-Publikationsform gegenüber z.B. Blogs und Newssites bilden Zeitschriften dann, wenn sie eigene Möglichkeiten finden, sich zeitlich zu organisieren.
2. Der Wert von Zeitschriften besteht darin, Themen über eine gewisse Zeit zu entfalten und die Leser in sie eindringen zu lassen.
Eine Online-Zeitschrift hat die Möglichkeit, über einen bestimmten Zeitraum zu erscheinen und in ihm ein Thema zu entfalten. Die relevanteste Zeit für eine Online-Zeitschrift ist die Spanne vom Erscheinen einer Ausgabe bis zum Termin der nächsten. Diese Zeit lässt sich interaktiv nutzen.
Beispiel für ein Online-Magazin, das nicht auf einmal erscheint: Das Contents Magazine, dem ich auch die Idee des Entwickeln (deployment) eines Themas verdanke.
3. Die Zeitschrift heute knüpft Wissensvermittlung an die Wissenserzeugung an den „Hot Points“ von Wissenschaft und Gesellschaft.
Magazine haben besondere Möglichkeiten, Wissen in Entwicklung zu zeigen und ein Thema schrittweise für Leser zu erschließen, zu dem sich die Erkenntnisse gerade selbst erst entwickeln. Sie ermöglichen Lernprozesse, wie sie Martin Lindner neulich beschrieben hat:
unfassbar, wieviel man im Sozialen Web in kürzester zeit lernen kann, wenn es aktuelle themen sind und man ein bisschen nach dichteren diskurs-stellen sucht… welche chance hätte ich mit herkömmlichen mitteln des lernens und der bildung gehabt, wenn das thema nicht brennend gewesen wäre und in echtzeit verhandelt würde?
4. Die Zeitschrift heute ist eine Plattform für Inhalte, die auf unterschiedlichen Geräten, zu unterschiedlichen Zwecken und in unterschiedlichen Situationen gelesen werden.
Zwar etablieren sich Tablets immer mehr als Hardware für das immersive Lesen, aber Titel und Themen werden auf Smartphones und Bürocomputern entdeckt. Magazine müssen und können alle diese Plattformen bedienen und das Übergehen von einer einer zur nächsten ermöglichen. (Zu dieser und der nächsten These siehe das Beispiel The Atlantic.)
5. Die Zeitschrift heute ist ein Sammelformat, das neben längeren Geschichten Nachrichten und aggregierte/kuratierte Inhalte bringt.
Magazine erreichen Leser dann am besten, wenn sie aktuelle und Hintergrund-Informationen miteinander verbinden. Dabei kann das Kuratieren von Informationen so wichtig sein wie selbst recherchierte Beiträge. Auch hier ist The Atlantic (siehe letztes Link) ein gutes Beispiel.
6. Für die Zeitschrift heute spielt die Trennung von Bildschirm- und seitenorientierten Medien keine Rolle mehr.
Wir stehen erst am Beginn der Entwicklung von Formaten für das Lesen auf Tablets und E-Readern. Sie sind nicht an die physikalischen Grenzen des Buchs gebunden, aber auch nicht an die Navigationskonventionen von Computerbildschirmen mit oft ungenügender Auflösung, schlechter Typographie und einer umständlichen Interaktion über Tastatur und Maus.
7. Die neuen Technologien und Formate (HTML5, CSS3, EPUB3, KF8) machen die Zeitschrift heute zu einer interaktiven Publikationen mit den vom Print gewohnten Ansprüchen an Typografie und Layout.
Online-Magazine werden sich Ebooks weiter annähern und alle Möglichkeiten nutzen, die durch HTML5 und die darauf aufbauenden Technologien gegeben sind. Damit werden nicht nur die Ansprüche an Typographie und Layout wachsen. Es werden z.B. auch ortsbezogene Features möglich.
8. Die Zeitschrift heute wird einerseits über Online-Kioske und App Shops, andererseits über nutzergenerierte Magazine mit sozialer Filterung distribuiert.
Insbesondere personalisierte Feedreader und sozial gefilterte, nutzererstellte Magazine wie Pulse News dürften den Zugang zu Geschichten in Online-Magazinen bilden. Damit tritt die interaktive Auswahl durch die vernetzten User neben die Zusammenstellung der Inhalte durch eine Redaktion.
9. Die Zeitschrift heute wird offen und kollaborativ produziert.
Je mehr Geschichten über eine längere Zeit entwickelt werden, desto mehr werden die User in ihre Produktion involviert werden. Ein Beispiel sind die über Spot.us finanzierten Artikel über Soziale Medien in der Ägyptischen Revolution.
10. Die Zeitschrift heute ist als Startup organisiert, nicht als Verlag.
Die herkömmlichen Geschäftsmodelle von Verlagen sind durch Online-Distribution, interaktives Zusammenstellen von Inhalten durch die Leserinnen und vernetzte Produktion überholt. Zeitschriften und Magazine brauchen andere Wege der Finanzierung, die oft an spezifische Inhalte gebunden sein werden. Firmen wie MAG10 sind als Startups organisiert; schon ein magazinartiges Blog wie TechCrunch hat nicht mehr ins Verlagsparadigma gepasst.