Ich habe heute im neuen Falter mehrere Artikel zur blauschwarzen Regierungsbildung gelesen – nach Thurnhers Editorial und dem Falter-Podcast zum selben Thema gestern. Der lange Bericht zum Abbruch der pink-rot-schwarzen Koalitionsgespräche ist ein Stück Zeitgeschichtsschreibung.
Raimund Löw schreibt in der neuesten Ausgabe über Donald Trump . Der Zusammenhang der Entwicklungen in Österreich zu den Ereignissen in den USA ist offensichtlich. Bannons „Flood the zone with shit!“ ist auch das Motto der Kommunikation der FPÖ und derjenigen, die sie unterstützen. Es ist schwer, darauf nicht hereinzufallen.
In den Artikeln und im Falter-Podcast wird danach gefragt, ob die Wende zu Blauschwarz das Ende der 2. Republik bedeutet. Die Reportage zum Ende der Koalitionsgespräche macht sehr deutlich, dass jedenfalls die Epoche der Sozialpartnerschaft an ihr Ende gekommen ist. Den Horizont der Darstellung im Falter bilden – jedenfalls zu einem großen Teil – die Geschichte der 2. Republik und ihre Vorgeschichte. Die Stabilität der Demokratie, die Beziehungen zwischen Konservativen und Linken und die Problematik des Budgets (mit den konservativ-liberalen und den sozialdemokratisch-keynesianischen) Antworten sind Hauptthemen.
Elemente, die darüber hinausgehen und eine Rolle in diesen Geschichten spielen, sind die Moves der Neos, der digitale Kapitalismus und die digitalen Medien. Nicht oder kaum zum Thema wird, ob und wie diese Regierungsbildung mit der Klimakrise und den Krisen zusammenhängt, mit denen diese verbunden ist. Die Grünen, die die Klimakrise als politisches Theme verkörpern, spielen ebenfalls kaum eine Rolle. Der Falter hat einen guten Klima- und Umweltjournalismus. Aber politischer Journalismus und Klimajournalismus sind bei der Behandlung der Regierungskrise noch zwei paar Schuhe.
Fehlende Bezugsrahmen
Ich stelle das nicht besserwisserisch fest. Aus der Perspektive eines Lesers, der auf professionellen Journalismus angewiesen ist und ihn nicht selbst ersetzen kann, frage ich, wie diese Zeitgeschichtsschreibung aussehen würde, wenn man die Klimakrise tatsächlich als die bestimmende Krise unserer Zeit verstünde. Wenn die, die journalistisch dazu recherchieren, so genau auf die Indikatoren der sich verschlimmernden ökologisch-sozialen Krisen blicken würden wie in den Rückspiegel der Krisen des 20. Jahrhunderts.
Die Frage drückt eine Verlegenheit aus: Welche Bezugsrahmen gibt es, um Verbindungen zwischen der Klimakrise und politischen Ereignissen wie jetzt der Regierungsbildung herzustellen? Ich neige selbst dazu, einen ideologischen Bezugsrahmen zu verwenden, bei dem etwas die Aktionen der ÖVP vor allem von Kapitalinteressen bestimmt sind. Dieser Bezugsrahmen ist zu grob, um offensichtlich nicht vorhersehbare Ereignisse zu erklären. Das Scheitern der pink-schwarz-roten Koalitionsverhandlungen hat die Agierenden und auch die meisten, die es beobachtet haben, offensichtlich überrascht. Es war also nicht vorherbestimmt und auch nicht vorherhzusehen.
Deutlich wird aus der langen Falter-Story nur, dass es Akteure in ÖVP, Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung gab, die auf Blauschwarz hingearbeitet haben. Bei diesen Akteuren lässt sich am ehesten konkret feststellen, dass sie an einer Anti-Klimapolitik interessiert sind, die mit ihren Interessen an Investitionen und Regulierungen oder Nichtregulierungen zusammenhängt – so wie es Benedikt Narodoslawsky gestern im Standard getan hat . Damit ließe sich dokumentieren, wie die Themen der Klimakrise in die Koalitionsgespräche „übersetzt wurden“.
In der Polit-Berichterstattung fehlt die ökologische Ökonomie
Den Hintergrund für viele Artikel im Falter bilden ökonomische Debatten und ökonomisches Wissen – Debatten und ein Wissen, für das österreichische und zentraleuropäische Positionen im 20. Jahrhundert eine große Rolle spielten. Armin Thurnhers Perspektive verdankt Karl Polanyis Analysen viel, wenn ich es richtig sehe. Peter Michael Lingens greift auf die Diskussionen zum Keynesianismus zurück . Dagegen ist die ökologische Ökonomie, die sich vor allem in den letzten Jahrzehnten – und gerade in Österreich – herausgebildet hat, für die politische und wirtschaftliche Berichterstattung sehr wenig relevant – so wenig, wie offenbar auch für das wirtschaftspolitische Agieren vieler in der Politik und in den Verbänden. Diese Unkenntnis wäre ein Thema für die Berichterstattung. Darüber hinaus wäre es für eine Verbindung von Klima- und politischem Journalismus wichtig, den Abstand zwischen politischer Berichterstattung und ökologischer Ökonomie zu überbrücken, etwa indem politische Entscheidungen in ihren Zusammenhängen mit den Stocks und Flows von Energie und Materialien verstanden werden. Dass Sigrid Stagl gerade zur Wissenschaftlerin des Jahres erklärt wurde , ist dafür hoffentlich ein positives Signal.