In die Bibliographie meiner Präsentation Contentstrategie für das Postwachstum nehme ich zwei Dokumente auf, zwischen denen 40 Jahre liegen:

Die Scientists for Future haben ihre Erklärung auf deutsch und englisch mit Nachweisen und Erläuterungen auch auf ihrer Website publiziert.

Zu der Erklärung der Scientists for Future gehört eine Factbox, in der die wichtigsten Tatsachen zum Klimawandel festgehalten sind. Wir sollte an der Hochschule bei Aufnahme- und Abschlussprüfungen sicherstellen, dass alle, die bei uns studieren und studiert haben, diese Fakten kennen.

Der Klimawandel erscheint mir immer mehr als globales Trauerspiel—was nicht heisst, dass wir ihn akzeptieren müssen. Ein Aspekt dieses Trauerspiels ist das Scheitern der Wissenschaftler, die schon vor Jahrzehnten die Erhitzung der Atmosphäre vorausgesagt haben. Wenn man das Dokument des Climate Research Board jetzt, nach 40 Jahren liest, (am einfachsten ist das in dieser Version) ist man von der langfristigen Perspektive ebenso beeindruckt wie von der Genauigkeit der Argumentation. Man erkennt auch Voraussetzungen der Prognose des Klimawandels: die Möglichkeit, die Erde als einen Planeten zu beobachten, und Computersimulationen des Erdsystems. Als einen Nicht-Naturwissenschaftler fasziniert mich, wie viele unterschiedliche Faktoren berücksichtigt wurden, um Modelle der Klimaentwicklung zu berechnen: Von den unterschiedlichen Wolkentypen über die Rückstrahlung der Polarregionen bis zu den Schichten der Ozeane. Die Propaganda der Klimaleugner und der Beschwichtiger in Politik und Redaktionen ist da eigentlich nur einen Nebengedanken wert: Sie können zu diesen Modellen so viel sagen wir Astrologen zu Elementarteilchen.

Die beiden Dokumente richten sich an ein unterschiedliches Publikum: Das eine an eine Regierung, das zweite ausdrücklich an die Öffentlichkeit. Die Scientists for Future begründen ausführlich, warum sie sich an die Öffentlichkeit wenden: Weil nur die Öffentlichkeit dazu in der Lage sei, eine Politik gegen den Klimawandel zu erzwingen.

Damit ist die Stellungnahme der Scientists for Future eine wissenschaftliche Begründung für politischen Aktivismus. Die Wissenschaft ist auf öffentliche Akteure angewiesen, die die Konsequenzen aus den wissenschaftlichen Ergebnissen ziehen. Gleichzeitig organisiert sich ein relevanter Teil der wissenschaftlichen Community selbst als politischer Akteur. In dieser Form ist das, so weit ich weiss, noch nie der Fall gewesen. Für den Akteur Wissenschaft ist es wichtig, dass er von persönlichen politischen Präferenzen der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unabhängig ist. Diese schwierige Position wird im Anhang des Dokuments reflektiert. Das ist einer der wichtigen Aspekte dieser Veröffentlichung.


Eine Frage für mich ist, wie man diese Publikationen und ihre Inhalte besser hypertextuell verfügbar machen kann, wie sie zu besseren Citizens of the Web werden können. Die Scientists for Future benutzen, wenn ich es richtig sehe, für die inhaltlich relevanten Veröffentlichungen klassische Publikationsformen der Offline-Öffentlichkeit, wissenschaftliche Zeitschriften und öffentliche Erklärungen. Sie gestalten darum herum eine sehr effiziente Online-Öffentlichkeitsarbeit. Man kann überlegen, ob man den Aktivismus noch besser unterstützen kann, wenn man die wissenschaftlichen Inhalte und ihre Teile besser im Web verfügbar macht und damit die Mechanismen des aggregate, remix, repurpose, forward unterstützt. Das ist möglicherweise ein Themengebiet, bei dem man sich als Web-Content-Interessierter nützlich machen kann. (Ich formuliere eine Frage, ich muss erst recherchieren, wie die Web-Kommunikation der Scientists for Future aussieht.)


1979, als das erste der Dokumente verfasst wurde, war ich 23. In den 40 Jahren bis zum zweiten Dokument habe ich mich fast gar nicht mit ökologischen Themen beschäftigt, obwohl mich als Student Theoretiker wie Rudolf Bahro und André Gorz interessiert und Schriftsteller wie Hans Henny Jahnn und Pier Paolo Pasolini fasziniert haben. Ich habe auch erst in den letzten Wochen gemerkt, dass hier in Graz bei den Elevate-Festivals Wachstums-Kritiker wie Ulrich Brand gesprochen haben, die ich gerade entdecke. Beim Interpretieren dieser beiden Dokumente muss ich mir auch darüber klar werden, wie sehr ich mich selbst von der Wachstums- und Fortschrittsbegeisterung der letzten 40 Jahre habe mitreißen lassen—wenn ich ehrlich bin: wider besseres Wissen.

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