Gestern Abend habe ich mir—wie von Stefan Münz empfohlen—die jung & naiv-Folge mit Maja Göpel angesehen. Das Video ist sehr dicht, und ich würde vielen Hinweisen zur Nachhaltigkeitsforschung gerne weiter nachgehen. Mich erstaunt, wie stark jemand wir Maja Göpel in Deutschland in die Definition der Politik involviert ist. Ich finde sehr interessant, wie sie Nachhaltigkeits- und Kreislaufwirtschafts-Themen mit dem offiziellen wissenschaftlichen und technokratischen Diskurs verbindet. Ich bin gespannt, ob das Drahtseil, auf dem sie tanzt, noch lange gespannt ist. Vielleicht bin ich aber nur selbst zu weit entfernt von einer akademischen und politischen Diskussion über Digitalisierung und Nachhaltigkeit, die tatsächlich politische Konsequenzen hat.
Am Beginn und am Ende des Interviews spricht Maja Göpel darüber, dass der Umweltbeirat der Bundesregierung die Digitalisierung als Brandbeschleuniger für Ressourcen-Raubbau und Ungleichheit bezeichnet hat. Die Formulierung in der Zusammenfassung des Gutachtens Unsere gemeinsame digitale Zukunft ist:
Im Großen wirken Digitalisierungsprozesse heute eher als Brandbeschleuniger bestehender nicht nachhaltiger Trends, also der Übernutzung natürlicher Ressourcen und wachsender sozialer Ungleichheit in vielen Ländern
Digitalisierung als Brandbeschleuniger trifft viel besser, als ich es bisher ausgedrückt habe, den Verdacht, dass die Mitarbeit an der digitalen Wirtschaft, also auch das, was ich beruflich schon lange tue, die ökologischen Katastrophen, die wir gerade erleben, weiter beschleunigt. Andererseits erinnert diese Formel so sehr an konservative Stereotype, dass es mir schwer fällt sie zu verwenden.
In dem langen Netzpolitik-Artikel über die Vorstellung der Kurzversion des Gutachtens werden einige Forderungen aufgestellt, die mir schon lange vernünftig erscheinen, vor allem die nach einer öffentlich-rechtlichen digitalen Infrastruktur und nach öffentlicher Förderung von Open Source-Projekten und -Technologien. Auch hier überrascht mich, wie weit zumindest ein Beratungsgremium der deutschen Bundesregierung inzwischen denkt. (Gleichzeitig feiert die deutsche Bundesregierung das Mercosur-Abkommen—attac-Stellungnahme dazu, PDF—mit dem Rindfleichschproduktion, Abholzung, Intensivlandwirtschaft und Autobau weiter beschleunigt werden sollen.)
Vielleicht das Faszinierendste bei Maja Göpel: Die Querverbindungen zwischen Aktivismus („Scientists for Future“) und Nähe zu einem politischem Machtzentrum. In solchen Kombinationen liegt wahrscheinlich die einzige Chance, nicht gegen die planetarischen Leitplanken zu prallen oder über sie hinausgetragen zu werden.
Das kann ich gut nachvollziehen Heinz. Brandbeschleuniger trägt ja eine emotionelle Ladung die man auch als Luddismus empfinden kann gegen Digitalisierung generell. Obwohl die Beschleunigung ja auch positives bewirken kann, bez. Wissensentwicklung usw.
Wie bei greifbare Produkte verbirgt und externalisiert Digitalisierung Kosten. Den Energieverbrauch von Bitcoin in etwa. Gibt es da einen Weg diese externalisierten Kosten bei Digitalisierung sichtbarer zu machen? Diese anders zu gestalten (zB eine Website die nur online ist, wenn genügend Solarenergie vorhanden ist, und die optimiert ist für niedrigen Energieverbrauch)? Können wir das ausreichend für andere Produkte, sodas ein Vergleich dieser externalisierten Kosten zwischen Greifbares und Digitales ermöglicht wird (zB conference calls gegen vermiedenen Flugreisen)?
Was betont Dringlichkeit, und hat die ‘richtige’ emotionelle Ladung in einem gewissen Kontext? Katalysator, in der Definition bereits neutral. Beschleuniger, Brandbeschleuniger,… gibt’s da mehrere Möglichkeiten in Parallel? Brandbeschleuniger für negative Konsequenzen, dark patterns. Fortschrittbeschleuniger oder was immer, für positive Konsequenzen?
Replied to „Digitalisierung als Brandbeschleuniger“ by Heinz Wittenbrink