Ich bin erst vor ein paar Monaten auf den englischen Ökonomen Tim Jackson und sein Buch Wohlstand ohne Wachstum gestoßen. Aufgrund der Texte und Vorträge Jacksons, die ich gelesen oder gesehen habe, ist er für mich im Augenblick der interessanteste Degrowth- und Postwachstumsökonom. Ein Grund dafür, ist, dass er sich mit der Rolle von Services in einer zukünftigen, ökologisch verträglichen Wirtschaft beschäftigt. Ich sehe eine Brücke zu meiner Vorstellung von Content-Strategie als Service Design mit Inhalten. Vor allem aber zieht mich sein einerseits offener, pragmatischer und andererseits radikaler Zugang an, der dem systemischen, komplexen Charakter der Krisen entspricht, in die das jetzige Wirtschaftssystem geführt hat. Ich sehe viele Bezüge einerseits zu dem Konzept der Planetaren Grenzen als Beschreibung der Ausgangssituation politischen Handelns heute und zum Aktivismus einer Bewegung wie Extinction Rebellion, an der ich teilnehme.
Zu Anfang formuliert er—in einer, wie er selbst sagt, simplistischen Weise—drei Forderungen an ein zukünftiges Wirtschaftssystem:
- Legt die Grenzen fest! (Establish the limits!)
- Repariert die Wirtschaft (Fix the economics!)
- Wechselt die soziale Logik! (Change the social logic!)
Das ganze Gespräch bewegt sich um diese drei Prinzipien.
„Establish the limits!“—Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen.
Das erste Prinzip besteht darin die Grenzen zu definieren, in denen die Wirtschaft arbeitet. Anders gesagt: Die Wirtschaft muss im Rahmen der planetary boundaries funktionieren. Die Folgen für den Planeten müssen bei allen wirtschaftlichen Aktivitäten bekannt sein und berücksichtigt werden. In diesem Gespräch mit Jackson steht diese Forderung nicht im Mittelpunkt. Über eine ihrer Folgerungen, nämlich einen CO2-Ausstieg in den hochindustrialisiereten Ländern bis 2025, hat Jackson gerade erst einen Aufsatz publiziert (dazu habe ich hier gebloggt.)
„Fix the economics!“—Ausstieg aus einem Wirtschaftssystem, das seine Ziele nicht erreicht
Der wichtigste Ausgangspunkt für Jacksons Überlegungen zu diesem Punkt ist die immanente Krise der Wachstumswirtschaft, die spätestens mit dem Crash 2008 für alle erkennbar geworden ist. In den industrialisierten Ländern funktioniert die Orientierung am Bruttosozialprodukt als oberster Maßstab des Erfolgs einer Volkswirtschaft nicht mehr. Jackson stellt fest, dass sich diese Ansicht auch bei Mainstream-Ökonomen immer weiter verbreitet.
„Change the social logic!“—Gerechtigkeit als Maßstab der Wirtschaft
Ein neues Wirtschaftssystem muss an Gerechtigkeit orientiert sein, also große Ungleichheiten zwischen den verschiedenen communities vermeiden. Die Wirtschaft darf nicht darauf beruhen, dass Wachstum durch immer weiteres Ausnutzen der Arbeitskraft entsteht, also durch eine Steigerung der Produktivität im Interesse der Kapitaleigner, bei der man die Konsequenzen für die workforce einem immer weiter deregulierten Markt überlässt. Die soziale Logik unserer Wirtschaft steigert den ökonomischen Druck auf die Beschäftigten immer weiter und verkleinert dabei ebenso kontinuierlich den Anteil der Nicht-Kapitaleigner an den Ergebnissen des Wachstums.
In der seit Jahren deutlichen Krisensituation gibt es laut Jackson zwei mögliche Strategien: Die eine besteht darin, den Druck auf die Arbeitskräfte noch weiter zu vergrößern und die ökologischen Folgen noch mehr zu ignorieren als bisher. Auch wenn Jackson das hier nicht erwähnt, ist klar, dass das der Weg der harten Rechten in den USA und auch in Europa ist. Die Alternative bestünde darin, umgekehrt den Anteil der Arbeitskraft an den Ergebnissen der Volkswirtschaft zu steigern, indem man allen Beschäftigten ein Einkommen, von dem man leben kann, und die damit verbundenen Rechte sichert. Dieser zweite Weg ist nur über eingreifende Regulierungen möglich. Jackson unterscheidet seinen Weg von verschiedenen, seiner Ansicht nach unzureichenden, Versuchen, soziale Gerechtigkeit herzustellen und auf die Krise des Wachstums-Kapitalismus zu antworten: höhere Einkommenssteuern, stärkere Besteuerung von Kapital oder ein allgemeines Grundeinkommen. Jachson lehnt diese drei Mittel nicht ab. Sie reichen für ihn aber nicht aus, um mit der Krise der Wachstumsökonomie fertig zu werden.
Aktivismus, linker Populismus, Extinction Rebellion
Jackson sieht Aktivismus als notwendiges Mittel an, um eine alternative Wirtschaft zu erreichen. Die Politik kann sich gegenüber dem Kapital und seiner enorm gewachsenen Macht nur durchsetzen, wenn der Druck der Straße groß genug ist. Jackson fordert einen linken Populismus—sehr ähnlich wie Rupert Read, einer der Strategen von Extinction Rebellion in seinem Micro-Pamphlet Truth and its consequences. Jackson erwähnt außer Extinction Rebellion Bewegungen wie Occupy und die Gelbwesten in Frankreich. Für ihn ist klar, dass diese Bewegungen einen Systemwandel fordern müssen und sich nicht auf einzelne soziale oder ökologische Forderung beschränken dürfen.
Zu Extinction Rebellion: Jackson spricht zunächst von der Sonderrolle dieser Bewegung, die ökologisch und nicht sozial ausgerichtet ist, und stellt dann fest, dass Extinction Rebellion nicht nur vom Planeten spreche, sondern auch von Systemwechsel. Mein Eindruck ist, dass Extinction Rebellion im Augenblick ambivalent agiert, so wie es nach der letzten Rebellion Week auch der Guardian in einem Editorial festgestellt hat. Der Guardian schreibt, dass sich diese Bewegung zwischen Reform und Revolution entscheiden muss. Der Weg den Jackson vorschlägt, entspricht dem, was der Guardian Revolution nennt. Ich würde selbst lieber von einer radikalen Transformation sprechen, weil der Ausdruck Revolution für mich suggeriert, dass man aus dem bestehenden System einfach aussteigen könne. Aber dass wir Veränderungen brauchen, die revolutionär sind und nicht über langsame Reformen erreichbar sind, daran zweifle ich immer weniger.