Bei den nächsten Grazer Gemeinderatswahlen kandidiere ich auf der Liste der Grünen—nicht auf einem der vorderen Plätze, aber als ein Mitglied des Teams, das Judith Schwentner unterstützt. Warum? Hier ein paar persönliche Argumente—ich habe sie mit niemandem abgesprochen.
Der Hauptgrund dafür, dass ich auf der Liste stehe und kandidiere, ist die Spitzenkandidatin Judith Schwentner. Ich bin schon lange davon überzeugt, dass Graz einen Wechsel an der Stadtspitze braucht: Die Verkehrspolitik ist vorsintflutlich—es tut mir weh zu sehen, wie in anderen Städten auf das Fahrrad als Hauptverkehrsmittel gesetzt wird, während man in Graz noch daran arbeitet, den Autoverkehr in die Innenstadt zu steigern. (Im Konflikt um die Josef-Huber-Gasse, in deren Nähe ich wohne, habe ich das hautnah mitbekommen.) Die investorenfreundliche Baupolitik hat die Stadt nicht nur ästhetisch an vielen Stellen verschandelt (von den Kommerzbauten am Pfauengarten bis zu den Zerstörungen historischer Bausubstanz in den Außenbezirken), sondern sie treibt die Mieten nach oben und ist ökologisch—wie die Verkehrspolitik—verantwortungslos. Die opportunistische Kooperation mit der rechtsradikalen FPÖ—einer Partei, die bei uns im Griesviertel mit rassistischen Plakaten gegen Muslime gehetzt hat —diskreditiert für mich einen Bürgermeister Nagl.
Judith Schwentner kenne ich persönlich ein wenig, und ich habe ihre Arbeit auch beobachtet, als sie noch im Nationalrat war. Mich hat sie durch ihre Kombination von Überblick, Energie und Anstand immer beeindruckt—ich könnte mich persönlich sicher nie so uneigennützig politisch engagieren. Sie ist die einzige realistische Alternative zu einer weiteren Stadtregierung unter Siegfried Nagl—ich habe in Graz noch niemand getroffen, der ihr persönlich nicht mehr vertrauen würde als dem jetzigen Bürgermeister. Es gibt einen weiteren Aspekt, den ich wichtig finde—ohne dass ich mich als alter weißer Mann anbiedern will: Ich glaube, dass ihr frauenpolitischer Zugang für Graz wichtig ist. Auto- und Betonpolitik—das ist auch männliche, patriarchalische Politik. Mir hat eine Kollegin erklärt, warum die Metro-Ideen Siegfried Nagls kaum von einer Frau stammen könnten: U-Bahnen sind für Frauen unsicherer als für Männer, und sie machen kleinere Besorgungen unterwegs, für die noch immer meist Frauen zuständig sind, schwieriger als z.B. eine Straßenbahn. Eine Frauenpolitikerin hätte solche Überlegungen bei der Planung berücksichtigt und auch weibliche Fachleute beteiligt.
Ich unterstütze bei diesen Wahlen aber nicht nur Judith Schwentner, sondern auch die Grünen. Die Argumente dafür sind, jedenfalls in meinem privaten und politischen Umfeld, schwieriger zu vertreten als die für Judith Schwentner als Alternative zu Siegfried Nagl. Ich engagiere mich seit fast zwei Jahren für Extinction Rebellion Austria, eine Bewegung, die massenhaften zivilen Ungehorsam als Weg zu einer ökologischen Umkehr propagiert. Auch dort gibt es Unterstützung für die Grünen, aber hier in Graz auch für Die PARTEI und Verantwortung Erde. Einige in meinem Freundeskreis sympathisieren mit den Grazer Kommunisten. Ich habe in den letzten Jahren nicht viele Menschen getroffen, die sich zur SPÖ bekennen, aber ich bemerke vor allem in meinem Social Media-Netzwerk auch viel sozialdemokratisch wirkende Skepsis gegenüber den letztlich bürgerlichen Grünen, die jetzt sogar den Türkisen die Mauer machen. Was spricht also aus der Sicht von jemand, der sich als Angehöriger der radikalen Klimabewegung versteht, für die Grünen?
Um es ganz knapp zu sagen: Dieselbe Verzweiflung, die auch für Extinction Rebellion spricht. Wir sind—zum ersten Mal in der Geschichte—in einer Lage, in dem das komplette Erdsystem in ein unbekanntes Gelände gerät, wobei nicht sicher ist, dass die menschliche Zivilisation in diesem Gelände überleben wird. Die wichtigen Gremien der Klimawissenschaft und der Biodiversitäts-Forschung sagen eindeutig, dass wir nur wenige Jahre Zeit haben, um die Erde in einem Zustand zu halten, der dem Holozän (der Epoche, in der sich die menschliche Zivilisation entwickelt hat) noch ähnelt. In dieser Situation brauchen wir überall auf der Welt so viel Macht wie möglich, um denen etwas entgegensetzen zu können, die unbeirrbar weiter in den Abgrund steuern. Das kann ein Klimaschutzministerium sein, oder auch das Bürgermeisterinnen-Amt in der zweitgrößten Stadt Österreichs. (Wir werden die Klimakatastrophe nicht von Graz aus verhindern—aber wenn sie sich verhindern lässt, dann nur durch weltweite lokale Aktionen.) Die traditionell linken Positionen, von denen aus die Grünen gern kritisiert werden, gehen wie übrigens auch die meisten konservativen und liberalen Argumentationen von einer Zeitperspektive aus, die nicht mehr gegeben ist, weil wir keine konstante Umwelt haben, in der wir dann etwas früher oder etwas später die richtige Politik durchsetzen. Auch manche Linke halten die wissenschaftlichen Aussagen zur Erreichbarkeit des 1,5° und des 2°-Ziels für verhandelbar—ein fataler Irrtum, den hoffentlich die Erfahrung des weltweiten Zusammenbruchs von Ökosystemen, den wir alltäglich beobachten, noch korrigiert.
Die Grünen haben zu wenig Macht, nicht zu viel. Es ist wichtig, dass sie von zivilgesellschaftlichen Bewegungen angetrieben werden—nur diese Basis macht sie handlungsfähig. Aber gerade aus der zivilgesellschaftlichen Perspektive bringt es nichts Gruppen zu unterstützen oder zu gründen, die überhaupt keine Macht haben, und denen bestenfalls genau die politischen Prozesse mit Kompromissen und internen Rivalitäten bevorstehen, die es so leicht machen die Grünen zu kritisieren. Die Gesellschaft muss schnell Kipp-Punkte erreichen, an denen das fossile System zusammenbricht. Stärkere grüne Parteien sind dafür nicht die einzige, aber eine wichtige Voraussetzung.
(Ergänzung: Bei der Wahlversammlung der Grünen habe begründet, warum ich mich aus einer Degrowth-Perspektive heraus für die Grünen engagiere.)