Samstag in Leibnitz in der Austellung „Fresh Evidence“ mit Bildern von Helmut Tezak. Helmut Tezak hat uns zu Anfang in seine Arbeit eingeführt und auch später einiges erläutert.
Der Teil-Titel Am Arnstein bezieht sich auf eine Wand im Hauptraum der Ausstellung, die drei Räume der Marenzi-Galerie umfasst. Diese Wand gehört zu einem Projekt, das zu vollenden Tezak bisher nicht gelungen ist: Die Darstellung von 9 Orten in unserer Region, wobei, wenn ich es richtig verstanden habe, alle Orte jeweils in einer Serie zugleich dokumentiert und narrativ erfasst, aber auch durch Einzelbilder dargestellt werden sollten. Helmut Tezak versucht, wie es im Beiblatt zur Ausstellung heisst:
methodisch, in ausschnitthaften Foto-Bildsequenzen, Dokumentation und Erzählung zu verknüpfen.
Die Wand Am Arnstein besteht aus einzeln gedruckten hochformatigen Bildern. In einem Nebenraum wird auf Bögen eine Serie zu Maribor gezeigt: Auch hier hochformatige Bildern mit den gleichen Proportionen wie in der Am Arnstein-Serie, streng in Horizontalen und Vertikalen mit immer gleichen Abständen angeordnet. In beiden Serien fehlt in diesem Raster ein Bild—ein Bruch mit dem Ordnungsprinzip, den ich erst nach einiger Zeit bemerkt habe.
Außer diesen beiden Serien sind viele weitere Aufnahmen Tezaks ausgestellt, als relativ große Einzelbilder oder als Zusammenstellung kleinerer Bilder auf Bögen. Dazu kommen eine größere Anzahl von gedruckten Büchern und Alben. Insgesamt ist die Ausstellung eine Dokumentation von Tezaks work in progress. Dieses Werk wirkt so unabgeschlossen, dass ich den Ausdruck Retrospektive unpassend finde. Tezak wies darauf hin, dass eine Gruppe großer hochformatiger Bilder aus Selbstporträts besteht. Eines zeigt ihn selbst vor ein paar Jahren mit Zigarette, die anderen sind Aufnahmen von Ponyköpfen. Er habe, sagte Tezak, erst durch Workshops von Lewis Baltz und Ralph Gibson wirklich angefangen zu fotografieren. Eines der Alben Tezaks bezieht sich auf Alfred Kolleritsch und sein letztes Buch. Tezak dankt Kolleritsch darin dafür, von ihm lesen gelernt zu haben. Fotos, sagte er uns, verstehe er auch als Schrift.
Ein Bild der Grazer Münzgrabenstraße in der Nähe der Technischen Universität zeigt für mich gut, was ich als charakteristisch für viele Arbeiten Tezaks empfinde: Das Foto ist zugleich ein Architektur- und Stadtbild und eine Momentaufnahme. Die Linien des großen modernen Gebäudes, das einen großen Teil des Bildes einnimmt, sind etwas verzerrt. Es wird nicht kaschiert, dass es sich um eine Aufnahme mit einem Kamerobjektiv handelt, das sich vom Blick mit den Augen unterscheidet. Die Straße im Vordergrund hat Bühnencharakter und führt den Blick in das Bild. Zum Teil von der Stange eines Verkehrsschilds verdeckt, bewegt sich ein Motorradfahrer mit Helm so schnell, dass er etwas verwischt dargestellt wird. Verkehrsschilder zeigen Richtungen an, sowohl Fahrspuren wie steirische Orte in der Umgebung. Das schwarze Nummernschild eines Mercedes auf der dem Betrachter gegenüberliegenden Straßenseite datiert das Schwarzweiß-Bild. Viele Graustufen und Kontraste geben ihm Relief. Auffällig sind die langen Schatten auf der Straße, die auf eine helle, aber schon tiefer stehende Sonne weit rechts vom Bildraum hinweisen.
Damit dieses Bild zustande kam, sind eine genau kontrollierte Apparatur und eine zufällige Situation zusammengekommen. Das Bild zeigt die Spuren der Apparatur in einer gewählten räumlichen Konstellation genau in dem Moment, in dem das schnell fahrende Motorrad das Verkehrsschild im Vordergrund passiert. Man sieht das Gesicht des fast schemenhaften Fahrers nicht, nur seinen Helm. In ihrer Künstlichkeit wie in ihrer Zufälligkeit macht die Aufnahme etwas sichtbar, das ohne Apparatur verborgen geblieben wäre. Sie ermöglicht eine Außenperspektive, in der alle Bildelemente fremdartig wirken, von der fixierten Bewegung des Motorradfahrers bis zu den Verkehrszeichen, die zwar die Blicke der Betrachtenden lenken, aber von ihnen nicht in Körperbewegungen übersetzt werden können. Die Vertikalen der Schilder und des relativ neuen Gebäudes auf der gegenüberliegenden Straßenseite gehören wie die Kamera in einen technischen Zusammenhang, der in Opposition zur spontanen Bewegung des Motorradfahrers steht.
Menschen in Bewegung, wegen der Belichtungszeit manchmal verwischt und schemenhaft, kommen auch auf einigen anderen Bildern Tezaks auf dieser Wand vor. Das Transistorische dieser Figuren steht deutlich im Gegensatz zu den Bauten, in oder vor denen sie sich bewegen. Der Rockmusiker auf dem obersten Bild des Bogens ganz links wirkt fast geisterhaft. Tezak hält dieses Bild ebenso für eines seiner besten wie die Aufnahme aus Tokio ganz rechts mit Passanten, die durch die Glasscheibe eines Autos oder Busses fotografiert worden sind. Sonst sind auf den Bildern an den Wänden kaum Menschen dargestellt, während die Alben auf den Tischen auch Porträts enthalten.
Den Gegensatz zwischen Zufälligem, Transitorischem, darunter Menschen, und stabilen oder stabileren gebauten Strukturen, die in mit den betonten Hoch- und Querformaten der Bilder korrespondieren, finde ich in der Ausstellung immer wieder. Auf mich wirkt es so, als würde Tezak die direkte Abbildung von Menschen scheuen, seine Bilder aber mit einem anthropologischen Subtext versehen. Die menschliche Figur ist vor allem indirekt anwesend.
Indirekte Porträts lassen sich vielleicht sogar in den Hochformaten der Bildserien Am Arnstein und Maribor finden, zu deren Sujets Holzfiguren gehören, die aber auch andere einzeln im Vordergrund dargestellte Gegenstände durch den Ausschnitt figurahnlich werden lassen. In Am Arnstein geben die Darstellungen von verwundet wirkenden Holzfiguren und eines Graffito der ganzen Serie fast Passionscharakter. Vielleicht ist es überzogen: Auf mich wirken die Serien regelmäßig angeordneter hochformatiger Bilder wie Ikonostasen, die eine Teilhabe an ihren nur über Bilder erfassbaren Gegenständen andeuten oder suggerieren. Die querformatigen Bilder Tezaks, fast immer Stadtlandschaften oder Landschaften, verhindern dagegen eine Überhöhung ihrer Gegenstände, die sie in einem weiteren Umraum zeigen.
Tezaks Bilder haben einen betonten—in der Terminologie von Peirce—Index-Charakter. Sie sind Spuren, die ihre Gegenstände in der Kamera hinterlassen haben, weil sich ihr Autor zu diesen Gegenständen hinbewegt hat. Sie bilden diese Gegenstände als Icons ab, sind ihnen und untereinander ähnlich. Und sie deuten eine symbolische Ebene an, die Ebene, die Tezak wohl mit Erzählung meint.