Man kann wohl nicht definieren, was Philosophie ist, ohne sich schon in einer Philosophie zu befinden. Angeregt durch Bruno Latour und Isabelle Stengers, aber auch durch einen Facebook-Dialog mit einer Klima- und Covid-Schwurblerin, denke ich darüber nach, was ich unter Philosophie verstehe. Kurz dachte ich, dass für mich Philosophie mit der Prüfung von Argumentationen zusammenfällt, dass es in ihr also gar nicht um Aussagen über die Wirklichkeit oder die Welt geht. Aber dieses Konzept geht nicht weit genug.
Denn zu überprüfen, wann Argumente triftig sind, hängt ja schon damit zusammen, wie man ihre Beziehungen zur Realität (zur Welt, zum Seienden, zu dem, was es in der Welt gibt) versteht. Im Anschluss an den Titel von Latour würde ich eher sagen, dass es in der Philosophie um Seins- oder Existenzweisen (Latour, 2014), um modes d’existence geht. Philosophische Überlegungen und Aussagen müssen sich nicht auf einzelne Gegenstände, Dinge oder Ereignisse beziehen – vielleicht sind philosophische Aussagen dazu nicht möglich. Aber sie beziehen sich auf die Arten und Weisen, in denen etwas ist, sind also ontologisch. Dabei gibt es Philosophien, die einen spezifischen philosophischen Zugang zu diesen Existenzweisen annehmen, zum Beispiel bei den Spekulationen über das Eine im Platonismus, beim ontologischen Gottesbeweis und vielleicht auch bei Sartres Konzept der Freiheit. Und es gibt Philosophien, die spezifisch philosophische Erkenntnisquellen ablehnen. Bei diesen Philosophien kann man philosophisch nicht etwas erkennen, das außerhalb der Philosophie verborgen bleibt. Man kann aber zu größerer Klarheit über das kommen, was auch ohne Philosophie erkannt oder verstanden wird. So verstehe ich Skeptizismus und Empirismus. In der Philosophie interpretiert man, was erfahren wird, um Missverständnisse darüber aufzulösen, mit welchen Arten oder Seinsweisen von Dingen, Objekten oder Gegenständen man es in der Erfahrung, in der Praxis, zu tun hat.
Das klingt abstrakt, ist aber sehr konkret und immer politisch. Wenn ich mich im Klimaaktivismus mit der Klimaforschung oder mit dem Kapitalismus beschäftige, brauche ich dazu vielleicht keine Philosophie. Aber diese Themen führen zu Debatten darüber, mit welchen Gegenständen (Entitäten, Akteuren) ich interagiere. Ist die Wissenschaft ein privilegierter Zugang zu einer wahren Realität, über die ich außerhalb der Wissenschaft nichts sagen kann? Sind wissenschaftliche Aussagen stattdessen subjektiv, willkürlich oder sogar gekauft, wie es die Klimaschwurbler behaupten? Kann ich die ökologische Transformation, die jetzt nötig ist, mit marxistischen Begriffen wie Klassenkampf und Revolution erfassen – und wenn ich das tue, über was spreche ich dann? Diese Fragen sind für mich philosophisch, auch wenn ich mich in ihnen auf Erfahrungen und Praktiken beziehe, die nicht philosophiespezifische Gegenstände sind. Umgekehrt betreibe ich schon Philosophie, wenn ich beim Stellen und Beantworten dieser Frage überlegee, über welche Art von Dingen ich eigentlich spreche, warum ich über sie sprechen kann, und welche Alternativen es gibt. Nur, wenn ganz klar ist, welche Art oder Arten von Dingen es gibt, brauche ich keine Philosophie.
Zu fragen, mit welchen Arten oder Modi von Dingen man es in der Erfahrung zu tun hat, ist für mich ein Arbeitsverständnis von Philosophie. Die Themen, die mich interessieren, hängen immer mit dieser Frage zusammen, auch wenn ich sie nie so formulieren konnte.