Heute wird in Berlin Barbara Schieb beerdigt. Ich bin nicht zu dieser Feier gefahren, weil ich Barbara kaum kannte – anders als ihre Schwester und ihren Bruder, den Mann meiner Schwester. Ich habe mir öfter vorgenommen sie zu besuchen, hatte aber, wenn ich in Berlin war, immer zu viel anderes zu tun. Das tut mir leid. Es gibt Besuche, die man nicht aufschieben kann.

Über ihr Leben und ihre Krankheit weiss ich nicht viel. Aber ich habe immer wieder mitbekommen, womit sie sich beruflich beschäftigt hat: mit der Rettung von Jüdinnen und Juden vor 1945 durch Deutsche, die dafür viel riskiert haben. Sie hat ihr Leben lang dazu geforscht, hat Überlebende getroffen, eingeladen und betreut, wenn sie nach Berlin gekommen sind, und sie hat ihr Wissen in Veröffentlichungen und Ausstellungen vermittelt, lange in der Gedenkstätte Stille Helden. Sucht man im Netz nach ihrem Namen, findet man dazu leider kaum Zusammenhängendes. Sie hat sich selbst nicht in den Vordergrund gestellt, und andere haben nur selten auf sie aufmerksam gemacht. Ich weiss nicht, wie groß ihr eigener Anteil an den viele Projekten und Publikationen war, an denen sie beteiligt war – ziemlich sicher aber viel größer, als er nach außen sichtbar wird.

In der Gedenkstätte Stille Helden ist viel von ihren Inhalten zusammengekommen – sie war, so heisst es in der Todesanzeige der Gedenkstätte „maßgeblich an Entstehung und Entwicklung“ dieses Zentrums beteiligt.

Einen Eindruck von ihrer Person – auch ihrer Bestimmtheit und Genauigkeit – gibt dieses Video:

(Quelle: „Jeder konnte ein Helfer werden“ | bpb.de)

Ich versuche, ein paar Fundstücke zusammenzustellen.

Sie hat viel geschrieben, so die Bücher Nachricht von Chotzen. „Wer immer hofft, stirbt singend“ und Zwischen legalem Tod und illegalem Leben – Ilse und Werner Rewald im Berliner Untergrund und die Nachwörter zu: Für Freudensprünge keine Zeit : Erinnerungen an Illegalität und Aufbegehren 1942 – 1948 und Als die Gestapo an der Haustür klingelte. Sie war Herausgeberin u.a. von Über Mut im Untergrund von Ilse-Margret Vogel, Aufzeichnungen aus dem Versteck – Erlebnisse eines polnischen Juden 1939-1946 und Walter Herzberg
Künstler, Karikaturist, Humanist. 1898 bis 1943
. Die Titel zeigen, dass sie biografisch forschte, am Detail interessiert war, und dass sie gegen das Vergessen von Lebensläufen anarbeitete.

So weit ich es weiss, widmete Barbara einen großen Teil ihrer Zeit nicht nur archivarischer Forschung, sondern intensiven und lange dauernden persönlichen Beziehungen zu Überlebenden. Begonnen hat sie mit ihrer Arbeit in Verbindung mit dem Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Vor der Gründung der Gedankstätte Stille Helden war sie auch für die Gedenkstätte Deutscher Widerstand tätig. Schon 1988 war sie maßgeblich am Ausstellungsbereich „Hilfen für Verfolgte“ der Gedenkstätte beteiligt, lesen wir in flitzen – verstecken – überleben? Hilfe für jüdische Verfolgte 1941–1945 (PDF). Über ihre Arbeitsweise als Historikerin berichtet sie in dem Vortrag Möglichkeiten und Grenzen der Helferforschung heute.

Barbara Schiebs Eltern waren Vertriebene aus Schlesien. Sie hat vom Nationalsozialismus und vom Krieg vermutlich schon als Kind fast jeden Tag zuhause gehört – so wie es auch bei meinen Eltern war. Sie hat sich dann sehr bewusst mit Opfern der Nazis beschäftigt und mit Deutschen, die persönlichen Widerstand geleistet haben. Sie hat sich für Biografien interessiert, nicht für Kollektivzuschreibungen, ohne die der Massenmord nicht möglich gewesen wäre. Ihre eigene Biografie ist die einer Nachgeborenen der Kriegsgeneration. Ich hoffe, dass sich viele Menschen der nächsten Generation, die niemand mehr kennen, der den Horror vor 45 erlebt hat, auch an Menschen wie Barbara erinnern. Ohne sie wären Fäden abgerissen, die uns einen Zugang zu den grauenhaften Lebenwelten dieser Zeit geben können.

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