Vorgestern habe ich den Film über die Expedition der Polarstern im deutschen ersten Programm gesehen: ein Beispiel für das, was Journalismus angesichts der ökologischen Krisen leisten kann.
Der Film ist als Chronik der Expedition angelegt. Dabei wechseln sich Interviews mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern und Aufnahmen von Ereignissen im Schiff und während der Forschungsaktivitäten auf dem Eis ab. Informationen zur Route und zum Standort des Schiffs werden über Infografiken eingeblendet.
Die Interpretation des Geschehens wird den interviewten Teilnehmerinnen und Teilnehmern und den Zusehenden überlassen. Es gibt keine auktoriale Erzählfigur, sondern nur Kameras und Mikrofone die das Geschehen festhalten. Dabei ist ein großer Teil dieses Geschehens Sammlung, Archivierung und Interpretation von Daten.
Während der Polarnacht überquert das Forschungsschiff, festgefroren in dem durch die globale Erhitzung dünn gewordenen Eis, den arktischen Ozean. In den Interviews betonen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler immer wieder, dass eine Expedition wie diese noch nie stattgefunden hat, dass man viele Daten zum ersten Mal erheben kann. Die Polarnacht, die den Rahmen für die erste Hälfte des Films bildet, wird zur Metapher für das Unbekannte, mit dem die Forschenden auf dem Schiff zu tun haben, aber auch für die unbekannte Zone, in die sich die Erde bewegt, nachdem sie die stabilen Verhältnisse des Holozäns verlassen hat. Es schwingt immer mit, dass diese Forschungen nicht nur zum ersten, sondern wahrscheinlich auch zum letzten Mal stattfinden. Wenn sie nicht sofort unterbrochen wird, wird die globale Erhitzung die Arktis, die hier untersucht und dargestellt wird, völlig zerstören.
Der Film erzählt die Geschichte eines Kollektivs von Forschenden und Seeleuten, die auch als Individuen porträtiert werden. Er zeigt ohne rhetorisches Pathos die enormen Belastungen durch die Expedition. Deutlich drückt sie sich in der Erleichterung aus, die die Ablösung durch einen Kollegen für den ersten Kapitän der Expedition bedeutet.
Eingehend, aber nicht pedantisch stellt der Film die unterschiedlichen Forschungstätigkeiten vor, z.B. die Dokumentation der Fauna, die Beschäftigung mit dem Energiehaushalt und die chemische Analyse des Wassers unter dem Eis. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heben immer wieder hervor, wie das Geschehen in der Arktis mit anderen Systemen der Erde, etwa den Strömungen im Atlantik, verknüpft ist. Zugleich wird klar, dass die verschiedenen Ebenen, auf denen die Arktis hier erforscht wird, untereinander dynamisch verbunden sind.
Expedition Arktis erzählt von der Entzifferung kleiner Teile eines offenen und dramatischen Geschehen—verbildlicht in den nicht vorhersagbaren Bewegungen der Eisschollen, die unerwartete Leaks freigeben oder, wie auf Caspar David Friedrichs Eismeer, plötzlich Barrieren bilden. Dass die Arktis eine Umgebung ist, in der Menschen nur mit extremen Anstrengungen überleben können, wird in den Interviews immer wieder betont.
Ich habe den Film als Darstellung dessen verstanden, was Lovelock, Margulis und Latour Gaia nennen: eine sich verändernde Verbindung von heterogenen Entitäten und Akteuren. Menschliche Akteure sind Teile dieser Geschichte. Sie rekonstruieren dieses Geschehen durch die Interpretation der Daten, die sie in den kritischen Zonen aufzeichnen, von denen ihr Leben abhängt.
Der Film zeigt die Arktis als entscheidenden und signifikanten Teil des dynamischen Erdsystems. Er appelliert, unsere Verantwortung innerhalb dieses Systems wahrzunehmen. Er stellt unsere Lebensformen in Frage, indem zeigt, welche planetaren Prozesse mit ihnen gekoppelt sind und wie viel wir noch darüber lernen müssen.