Gestern habe ich erfahren, dass ich in meinem Job restlos versagt habe. Klaus Stimeder teilt allen, die in Österreich Journalisten unterrichten, mit:
Aber ich halte die institutionalisierte Journalistenausbildung, die es dort seit knapp einem Jahrzehnt gibt, für restlos gescheitert [„Ich hatte immer einen inneren Abstand“ (PDF!)].
Zwar schränkt Stimeder ein, dass er über die letzten Jahre nicht viel sagen kann. Er antwortet auf die Frage, ob er mit der jungen Journalistengeneration in Österreich zufrieden sei:
Ich lebe seit gut vier Jahren im Ausland, dementsprechend kann ich diese Frage nur basierend auf jenen Erfahrungen beantworten, die ich bis 2009 gemacht habe.
Er gesteht auch ein, dass
gerade das Datum von diesen Hochschulen in Sachen Nachwuchs enorm profitiert hat, …
Dann legt er aber noch eins drauf:
Die Mehrheit der Absolventen dieser Hochschulen bildet reines Quotenvieh, das einzig dazu dient, den Status quo zu legitimieren und damit zu erhalten. Wer aber den Status quo der österreichischen Medienlandschaft nicht beklagenswert findet, ist in meinen Augen ein ignoranter Idiot oder, noch schlimmer, ein Opportunist. Der einzige Sinn dieser Buden scheint mir heute in ihrer Funktion als Blasenmultiplikator zu bestehen, Motto: Dort lernt man die Leute kennen, die einem später Jobs geben.
Mich hat das Interview nicht nur getroffen, weil Stimeder unsere Absolventen bis auf Ausnahmen als Idioten und Opportunisten abqualifiziert. Er spricht auch den Lehrenden implizit den Willen und die Fähigkeit ab, sich nicht mit der österreichischen Medienmisere zu arrangieren. Gerade gestern haben meine Kollegen und ich besprochen, wie wir beim Zehnjahresjubiläum unseres Studiengangs am besten zum Thema machen, auf was sich unsere Ausbildung in den kommenden zehn Jahren einstellen muss. Ein Punkt dabei: Welche Aufgaben haben Journalistenschulen, wenn der kommerzielle und institutionalisierte Journalismus versagt? Ein weiterer: Wie gehen wir mit disruptiven Veränderungen in den Medien und der Gesellschaft um? Ein dritter: Wie fördern wir bei unseren Studenten kritische Distanz?
Ich arbeite jetzt seit acht Jahren in der institutionalisierten Journalistenausbildung in Österreich, in Graz und etwas auch in Wien. Ich habe in dieser Zeit keinen Kollegen und auch keinen Studenten getroffen, der den Status quo der österreichischen Medienlandschaft nicht beklagenswert findet. Die österreichische Medienlandschaft beklagenswert zu finden, ist ein Erkennungsritual der Bewohner dieser Landschaft. Es sagt nichts darüber aus, ob und wie jemand agiert. Die meisten Lehrenden und Studenten, die ich kenne, wollen diese Landschaft verändern.
Ich könnte Stimeders Ausbruch als das abtun, was er ist: ignoranter Blödsinn. Mich bringt das Interview aber auf die Frage: Wie lange braucht man eigentlich, um eine Journalistenausbildung hinzukriegen, mit der man selbst zufrieden ist? Mir kommen die acht Jahre, die ich hier arbeite, im Rückblick sehr kurz vor. Wer wie Stimeder einfach darüber schimpft, wie schlecht die Ausbildung der Journalisten ist, unterschätzt, wie schwierig es ist, so eine Ausbildung überhaupt hinzubekommen—ich habe das selbst auch unterschätzt. Wir haben nicht die Tradition der amerikanischen J-Schools, die seit Jahrzehnten Journalisten ausbilden und die sich übrigens gerade selbst neu erfinden, wenn sie gut sind. Und die Eigenheiten des österreichischen Journalisten, nicht zuletzt die selbstzufriedenen provinziellen Influencer in den sogenannten Qualitätsmedien, erleichtern uns die Arbeit nicht. Hier wissen ja alle, offenbar auch Klaus Stimeder, ganz genau, was Journalismus ist.
Wirklich ärgerlich an Stimeders Interview sind nicht die unüberlegten Beleidigungen. Ärgerlich und symptomatisch ist die großspurige Haltung, das eh schon wissen. Sie erstickt die Versuche, die österreichische Medienlandschaft tatsächlich aufzumischen.
Klaus Stimeder kämpft übrigens gegen den Status Quo der österreichischen Medienlandschaft, indem er für die Wiener Zeitung schreibt.
Jetzt mache ich hier einen quasi auf Watzlawick und kann auch nicht nichts sagen. Wie es der Zufall will, kann auch ich nur bis zum Jahre 2009 reden (Anmerkung: Ich war Student von 2005 bis 2009 am Studiengang Journalismus und Unternehmenskommunikation an der FH Joanneum Graz). Folglich bleibt es mir verwehrt, einen objektiven Kommentar zu verfassen, doch die gezwungenermaßen subjektive Seite liegt mir ohnedies mehr.
Als Mensch fällt es mir schwer den gesamten Kosmos der österreichischen Medienszene zu überblicken, daher versuche (!) ich mich von allgemeinen Äußerungen fernzuhalten. Ob die FH im Sinne dieser „Medienszene“ nur Quotenvieh und Fachidioten ausbildet kann ich weder bejahen noch verneinen, aber eine Sache nur nach ihrem Produkt alleine zu bemessen grenzt fast schon an sträfliche Vernachlässigung. Wenn wir den Zeitstrahl entlang ein wenig in die Vergangenheit reisen, dann wird uns – alleine am Beispiel FH Joanneum Graz – klar werden müssen, dass eine FH nicht nur eine FH für sich alleine darstellt, sondern ein Produkt massiver Einflüsse allerlei Couleur darstellt. Von daher sollte die primäre Frage gar nicht lauten „Bildet die FH gute Journalisten aus?“ (was sie, nebenbei gesagt wohl tut, Stimeder sei ein wenig mehr Bedacht und Umsicht eingeflüstert), sondern der Fairness halber „kann die FH Joanneum trotz des Ränkespiels der wirtschaftlichen und politischen Einflussnahme Absolventen zu Tage fördern, die sich nicht den schmierigen Gegebenheiten der Quotenprostitution ergeben, sondern mit Weitblick daran arbeiten, eben diese auszutrocknen. Und die Antwort ist – subjektiv – „Definitiv!“ Wenngleich es beim Versuch bleiben wird, doch das ist nicht das Problem der Ausbildung und überhaupt eine andere Geschichte. Aber darüber wollte ich eigentlich keine Zeile verlieren.
Worüber ich eigentlich schreiben wollte: Heinz, du hast die Frage gestellt, ob DU Quotenvieh ausbildest. Ich nehme diese Frage wortwörtlich und möchte – wieder subjektiv – darauf antworten: Das hast DU nicht. Von allen Lehrenden an der FH, und ich möchte betonen, dass ich sie mit wenigen Abstrichen alle bewundert und ihre Ausführen sehr genossen habe, bist du derjenige, der die Studenten wohl am meisten über den Tellerrand blicken lässt. Du hast mich auf so viele Pfade gesetzt, gar nicht so sehr mit dem was du unterrichten musstest, sondern mit dem, was du uns lehren wolltest. Ich hoffe ein jeder versteht diesen feinen aber bedeutenden Unterschied. Einzig die Verwunderung beim Lesen deiner Zeilen bleibt, denn ich kann nicht verstehen, warum du nur im Geringsten an dir zweifelst? Alleine deine Antwort zeigt ja schon – wieder ganz nach Watzlawick –, dass du scheinbar Zweifel hegst. Unbegründet, denn ein Lehrender deines Kalibers sollte es mit dem Spruch halten: „Was kümmert es die Eiche, wenn sich die Sau daran reibt?“
Und im Übrigen denke ich, dass Stimeders Interview nur der Quote dient.
Natürlich ist es ziemlich unredlich, viele Menschen pauschal zu beleidigen und die Vehemenz mit der das geschieht, hinterlässt bei mir den Eindruck von groteskem religiösen Fanatismus: Nur die reine Lehre führt ins Paradies.
Ich bin auch überzeugt, dass die meisten Lehrenden und Studenten diese (Medien-)Landschaft verändern wollen. Allein, es ist nicht wirklich geschehen, oder?
Die Kollegen, die ich kenne (war von 2002 bis 2006 dort Student), sind allesamt in gemachte Nester geschlüpft, sei es bei arrivierten Medien, in Unternehmenszentralen oder Bildungseinrichtungen. Das schließt auch mich mit ein. So betrachtet sind wir alle Teil des Systems geworden und Veränderungen haben wir (zumindest nach meinem Empfinden) nicht wirklich bewirkt.
Insofern ist an dem Vorwurf – rein vom Ergebnis her betrachtet – vielleicht sogar etwas dran. Wie gesagt ich stellen nicht die Überzeugung oder den Willen aller Beteiligten in Frage. Ich betrachte nur die Ergebnisse bis hier her. Vielleicht ist das auch einfach zu viel verlangt.
Ich persönlich glaube, wir hätten in der Studentenzeit Unternehmen gründen sollen, um frei von den wirtschaftlichen und psychosozialen Zwängen, die nach einem Studium herrschen, Dinge auszuprobieren. Sie am Markt zu testen. Vielleicht hätte uns das die Chance gegeben, mehr Veränderung zu gestalten.
Just my two cents 🙂
Ich wollte nicht sagen, dass wir alles richtig gemacht haben und uns jetzt auf die Schulter klopfen können (obwohl mich das Lob natürlich freut). Mir ging es nur darum, dass die Ausbildung von Medienleuten eine mühsame und schwierige Kleinarbeit ist, und dass sich nicht einfach dekretieren lässt, wie sie auszusehen hat und wohin sie führt. Einfach zu sagen, sie sei global gescheitert, ist ungefähr so schlau, wie der NASA vorzuwerfen, dass sie noch kein Leben auf dem Mars gefunden hat. Ich habe sehr viele konkrete Zweifel daran, ob ich Dinge richtig oder falsch mache, aber ich finde nicht, dass irgendjemand für den Gesamtzustand der österreichischen Medienlandschaft individuell verantwortlich ist.
Zum Begriff „System“: Ich mag ihn nicht, und ich glaube, dass er nur ganz selten, wenn überhaupt, angebracht ist. Man kann nicht Medienleuten vorwerfen, dass sie sich in das System integrieren, nur weil sie einen Job annehmen. Und man könnte Leuten, die draußen bleiben, genauso gut vorwerfen, dass sie nichts verändern.
Ich bin aber genau wie Flo der Meinung, dass wir heute nicht mehr vor allem auf Anstellungen hin ausbilden sollten. Das wird beim Jubiläum unseres Studiengangs übrigens ein eigenes Thema sein. Allerdings denke ich nicht, dass das gründen von Firmen oder die Existenz als Freelancer weniger systemerhaltend ist als die bequemen Anstellungen, von denen ich übrigens auch selbst profitiere.
Dieses Interview ist nichts weiter als eine unspannende Suderei ohne den geringsten konstruktiven Ansatzpunkt, aber mit einer schwachsinnigen Kernbotschaft: Wir alle sind Teil des bösen Systems.