Nico_carpentier
Habe ich meine sehr allgemeinen Vorstellungen zur Partizipation revidiert oder konkretisiert? Mir ist wenigstens deutlich geworden, wo sie modifiziert werden müssen, und wie schwierig es sein kann, über Partizipation zu sprechen, ohne in Allgemeinplätze abzugleiten.

Durch die Podiumsdiskussion am Freitag und seine Session am folgenden Tag bin ich zum ersten Mal mit dem Ansatz Nico Carpentiers in Berührung gekommen, der sich auf mehreren Reflexionsstufen mit der Definition von Partizipation beschäftigt (PDF-Version von Carpentiers Präsentation hier). Im Vergleich zu dieser durchgeführten Reflexion sind meine eigenen Überlegungen naiv. Carpentier unterscheidet zwischen verschiedenen Formen von Partizipation. Er stellt einen Bezug zwischen diesen Formen der Partizipation — von der bloßen Anhörung bis zur gleichberechtigten Teilnahme an einer Entscheidung, die ein Kollektiv betrifft — und verschiedenen Organisationsformen partizipativer Medien her. Dabei kann man (wenn ich ihn richtig interpretiere) keine Form der Partizipation als die Partizipation bezeichnen, es gibt nicht nur mehr oder weniger Partizipation, sondern unterschiedliche Typen von Partizipation (z.B. parlamentarische oder direkte Demokratie); die Wahl zwischen ihnen ist zwangsläufig ideologisch (wobei sich in der Praxis verschiedene Formen der Partizipation miteinander verbinden). Der für mich interessanteste Aspekt bei Carpentier (in dem wenigen, was ich mündlich gehört habe) ist, dass er auch die Reflexion über Partizipation, die Theorie der Partizipation, an die verschiedenen Konzepte zurückbindet. Auch der Theoretiker kann der ideologischen Wahl nicht entgehen.

Carpentier unterscheidet unter den partizipativen Medien bewusst nicht zwichen Web- und Nichtweb-Medien. Hier kann ich ihm nicht folgen, auch wenn eine Argumentation für eine andere Position nicht einfach durchzuführen ist. Einerseits sind die Webmedien nicht Massenmedien im herkömmlichen Sinn, weil sie einen Dialog mit den Benutzern erlauben und von den Benutzern weiterentwickelt werden können. Andererseits ist ihre Entwicklung nicht nur, aber auch technisch determiniert. Qualitäten der Technik (z.B. programmierte Verarbeitung von Daten, Hypertextualität) bestimmen Eigenschaften dieser Medien, die sie mit den älteren Medien nicht teilen. Carpentiers Verzicht darauf, die Technik in seine Reflexion einzubeziehen (so habe ich ihn jedenfalls in Salzburg verstanden) macht die Unterschiede zwischen Web- und Nichtweb-Medien wenigstens z.T. unsichtbar.

Sehr wichtig finde ich den Gedanken Carpentiers, dass jede Theorie der Partizipation und partizipativer Medien sich mit dem Konzept der Repräsentation beschäftigen muss. (Das ist einer der Punkte, bei denen ich mir viel von der Actor-Network-Theory erhoffe.) Repräsentation ist ein Begriff, der sich sowohl auf die Politik wie auf Medien bezieht, und der hier wie dort Macht thematisiert (wer kann wen, wer darf wen repräsentieren? Wie wird das Repräsentierte, wie werden die Repräsentierten übersetzt? Was verändert sich bei dieser Übersetzung, was geht verloren?) Hier könnte so etwas wie ein Angelpunkt für eine politische Reflexion sozialer Medien liegen, und ausgehend vom Konzept der Repräsentation lässt sich vielleicht auch am besten beschreiben, in welchem Verhältnis alte und neue partizipative Medien zueinander stehen.

Update, 26.11.2020: Link zur Website Nico Carpentiers aktualisiert.

Seit zwei Wochen sortiere ich die Newsfeeds, die ich abonniert habe. Gleichzeitig überlege ich, was in allen diesen Nachrichte mich etwas, und was mich wirklich interessiert. Leider interessiert mich so viel etwas, dass ich mich anstrengen muss, zu den Dingen zu kommen, die mich wirklich interessieren.

Wenn ich eine große Menge von News filtere, und wenn ich über meine Arbeit nachdenke/diskutiere, bleibe ich bei drei Themen hängen:

  1. Vermittlung von Medienkompetenz/New Media Literacy (bürokratische Ausdrücke, Alternativen gesucht…)
  2. Schreiben im Web, Verfassen von Hypertext
  3. Soziologie von Web-Medien, sozialen Medien

Was mir in den viel zu vielen Newsfeeds, die ich abonniert habe, besonders auffällt, kann ich einem dieser Themen zuordnen. Die Themen hängen zusammen, aber diesen Zusammenhang kann ich nicht bezeichnen. Vielleicht würde es auf eine zu abstrakte Ebene führen, ihn zu beschreiben. (Vielleicht geht es auch eher um einen Ton oder eine Haltung.) Ein paar Blogs interessieren mich sehr, weil sie um einen ähnlichen Brennpunkt/ähnliche Brennpunkte herum geschrieben werden, vor allem die von Ton Zijlstra und David Weinberger. (lcom, das dritte der Blogs, die ich lesen würde, wenn ich nur drei Blogs lesen dürfte, hat eine ganz andere Bahnform.)

In the way that we produce content today, it is difficult to separate out where media literacy ends and where technology literacy begins—or where information literacy begins and where technology literacy ends. There is a convergence of literacies, and they can all inform academic work in separate but integrated ways. It is time to frame the discussion of literacies in the context of academic work products rather than in the context of organizational structures …

Wie können Fachleute für neue Medien Studenten und Wissenschaftlern dabei helfen, eine fachspezifische Kompetenz zum Umgang mit Online-Medien/sozialen Medien zu bekommen? Fragen und Vorüberlegungen zu diesem Thema von Joan Lippincott: Student Content Creators: Convergence of Literacies, gefunden via Howard Rheingold.

Fragen dazu:

  1. Wie sieht es mit akademischen Werken in Online-Formaten aus? Muss ich nicht — wenigstens als Lehrer auf diesem Gebiet — darauf bestehen, dass ich nur Werke in solchen Formaten, also Hypertext/Hypermedia, erhalte?
  2. Media-Literacy bei Hypertext/Multimedia als Ergänzung klassischer, literarischer Medienkompetenz. Ist das möglich? Muss die erste nicht die zweite ersetzen oder die zweite in die erste transformiert werden?

Noch ein, vielleicht etwas abwegiger, Gedanke: Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Disziplinen und Fachsprachen. Gehört zur fachspezifischen Medienkompetenz das Beherrschen fachspezifischer XML-Dialekte? Oder, etwas anders: Kann man Medienkompetenz zum Teil als Kompetenz im Umgang mit Hypertext-Formaten erlernen?

Über die selben Quellen wir beim letzten Eintrag gefunden: What the MySpace generation should know about working for free von Trebor Scholz. Ambivalenter Eindruck. Die Kritik an der Ausbeutung immaterieller Arbeit im Social Web stimmt und stimmt nicht. Sie basiert vielleicht auf einer moralisch wertenden, aber ökonomistischen Interpretation der Konsequenzen von Reed’s Law: Die Nützlichkeit von Netzen, speziell sozialen Netzen, wächst exponentiell mit ihrer Größe, weil diese Netze wiederum andere Netze innerhalb ihrer selbst erlauben. Man kann sich dieselbe ökonomistische Interpretation, nur mit umgekehrtem moralischen Vorzeichen, auch vorstellen, und dann ist man schnell bei den Apologeten der Internet-Ökonomie und der Segnungen des Neoliberalismus. (Dass Scholz Facebook als Yahoo!-Firma beschreibt, macht den Artikel nicht vertrauenswürdiger.)

Über Patrick Dax‘ Bookmarks und die Kursbeschreibung The Social Web bei Collectivate.net auf Henry Jenkins gestoßen, der sich beim MIT mit partizipatorischen Medien beschäfigt, und zwar mit einem Focus auf der Popkultur und der Rolle von Fans, nicht nur ausgehend von Online-Medien. Schrieb u.a. Convergence Culture: Where Old and New Media Collide. Online ein längerer Text über Media Literacy: Confronting the Challenges of Participatory Culture: Media Education for the 21st Century (Link zum PDF-Dokument). Wikipedia-Artikel. Blog: Confessions of an Aca-Fan: The Official Weblog of Henry Jenkins. Dort schreibt er in über sich:

The first thing you are going to discover about me, oh reader of this blog, is that I am prolific as hell. The second is that I am also long-winded as all get out. As someone famous once said (Thomas Jefferson, I think), I would have written it shorter but I didn’t have enough time.